"Wir sind weiterhin gegen den Minimaldienst im Streikfall", sagt Ludo Sempels von der sozialistischen Gewerkschaft FGTB. Das war ja ein feierliches Versprechen der Regierung Michel, eben dafür zu sorgen, dass die Zugpendler im Falle eines Streiks nicht mehr komplett im Regen stehen.
Ursprünglich hatte es die Regierung den Sozialpartnern überlassen, diesen Minimaldienst auszuhandeln. Direktion und Gewerkschaften konnten aber in monatelangen Verhandlungen keine Einigung erzielen, wohl auch, weil die Gewerkschaften hier eigentlich Bedenken prinzipieller Natur hatten.
Für den Fall, dass die Sozialpartner nicht zu einem Kompromiss kommen, stand aber von Anfang an eine Drohung im Raum: In dem Fall würde die Regierung den Minimaldienst durchdrücken, per Gesetz. Dass das jetzt passiert ist, sei regelrecht frustrierend, sagt Pierre Lejeune von der FGTB. Frustrierend, weil die Bahn-Gewerkschaften der Ansicht sind, dass sie durchaus gute Gründe haben, um gegen den Minimaldienst zu sein.
Worum es geht
Die Regelung sieht vor, dass jeder Streik bei der SNCB spätestens acht Tage vorher angekündigt werden muss. Drei Tage vor dem Ausstand muss dann jeder Mitarbeiter der Direktion mitteilen, ob er teilnimmt oder doch zur Arbeit kommt. Auf der Grundlage dieser "Verfügbarkeiten" müssen die Verantwortlichen dann einen Notfahrplan erstellen, der 24 Stunden vor Beginn des Streiks den Zugreisenden mitgeteilt werden muss.
Die Gewerkschaften bleiben dabei, dass damit de facto das Streikrecht beschnitten wird. Wenn jeder Mitarbeiter für sich entscheiden muss, ob der streikt oder doch arbeitet, dann könne jeder einzelne auch unter Druck gesetzt oder zumindest dahingehend beeinflusst werden, damit er doch arbeiten kommt, sagt Ludo Sempels.
Hinzu komme, dass damit eigentlich der Soziale Dialog in den Hintergrund gerate, sagt Ludo Sempels. Bislang war es so, dass man bis zuletzt verhandelte, um einen Streik doch noch abzuwenden. Der Minimaldienst werde dazu führen, dass die Direktion in den Tagen vor dem Streik nicht mehr reden werde, sondern nur noch damit beschäftigt sein werde, den Notfahrplan zu organisieren.
Die Mehrheit fegt diese Bedenken vom Tisch: "Min Gott, es darf doch weiterhin gestreikt werden", sagte etwa die N-VA-Abgeordnete Inez De Coninck in der VRT. Man wolle lediglich dafür sorgen, dass die dadurch verursachten Probleme abgemildert werden. Und da sei es doch legitim, wenn man versucht, mit den Arbeitswilligen ein Minimalangebot bereitzustellen.
Minimaldienst schwer umsetzbar
Bei der Diskussion über das Streikrecht geht es noch um Bedenken prinzipieller Natur. Die Gewerkschaften sind aber auch davon überzeugt, dass der Minimaldienst in der Praxis nur schwer umsetzbar sein wird. Man gaukelt den Zugreisenden eine Fata Morgana vor, glaubt Pierre Lejeune. Man tut so, als stünde da ein "normales" Zugangebot zur Verfügung, mit allem was dazugehört. Ein "Notfahrplan" mit einem - von Natur aus - begrenzten Angebot, damit könne doch eigentlich niemand glücklich sein.
Und eben das werde auch ganz praktische Probleme mit sich bringen, glaubt der Gewerkschafter. Beispiel: Nehmen wir mal an, auf einer Strecke, wo sonst vier Züge verkehren, fährt am Streiktag nur einer. "Was glauben Sie wohl. Das wird doch ein Hauen und Stechen, wenn viel zu viele Menschen versuchen, in einen viel zu kleinen Zug einzusteigen. Das kann am Ende richtig gefährlich werden", sagt Lejeune.
"Und wissen Sie was? Hier wird doch mit Kanonen auf Spatzen geschossen", sagt Pierre Lejeune. Streiks seien letztlich doch nur für ein Prozent der Verspätungen verantwortlich.
Vielleicht ging es am Ende tatsächlich nur ums Prinzip. Die Regierung, genauer gesagt der MR-Transportminister François Bellot, kann jetzt jedenfalls behaupten: "Wir haben geliefert".
Roger Pint