Ja, es wurde wieder einmal gerufen und geschimpft, sich gerechtfertigt und applaudiert. Die Kammer - ein Tollhaus, wie eigentlich immer nach so einer Regierungserklärung. Die von Charles Michel am Dienstag machte da keine Ausnahme.
Viel haben sich die Abgeordneten zu sagen. Die Vormittagssitzung wurde überzogen, der Nachmittag fing mit Verspätung an, auch am Abend soll weiter diskutiert und gestritten werden - bis dann Donnerstagnachmittag die Vertrauensabstimmung stattfinden wird. Klar, dass Michel die überstehen wird. Die Mehrheit - das zeigte sich am Mittwoch auch - steht geschlossen hinter dem Premier.
Da macht es auch nichts aus, dass die Opposition kräftig gegen ihn wettert. Schon am Mittwochmorgen hatte PS-Präsident Elio Di Rupo da den Ton angegeben. "Diese Selbstgefälligkeit, mit der der Premierminister gestern aufgetreten ist, stößt mir enorm auf", sagte Di Rupo in der RTBF. "Er täte besser daran, ein bisschen bescheidener aufzutreten."
Regierung der Reichen
Und Di Rupo begründete: Die Zahlen, die Michel am Dienstag vorgestellt hätte, seien vielleicht alle richtig, aber auch nur die Hälfte der Wahrheit. Denn tatsächlich hätte Michel Arbeit geschaffen, die viel beschworenen Jobs. Aber das seien zumeist prekäre Jobs, keine dauerhaften. 60 Prozent der Verträge bei Zeitarbeitsfirmen sind Ein-Tages-Verträge. Verstehen Sie? Verträge für einen Tag. Und das erwähnt Michel natürlich mit keinem Wort. Der Reichtum werde zu unterschiedlich verteilt. Die Regierung von Michel sei vor allem eine Regierung der Reichen, so Di Rupo.
In dieser Art ging es weiter im Plenarsaal der Kammer oder auch in den Nebenräumen. Dort, mit mehr Ruhe, bestätigt PS-Fraktionsführer Ahmed Laaouej die Sichtweise seines Präsidenten. "Wir haben einen Premierminister, der nicht mit beiden Beinen im richtigen Leben steht. Das ist das, was am meisten stört. Es gibt so viele Menschen, die am Ende des Monats jeden Cent zusammenkratzen müssen, Beamte, deren Arbeitsbedingungen sich immer weiter verschlechtern. Einsparungen im Gesundheitswesen - die Medikamente werden immer teurer. Und für Michel läuft alles rund. Nein, Herr Premierminister, es läuft nicht alles rund. Sie stehen nicht im wirklichen Leben", sagt er.
Rückschritte
Bei der CDH sieht Fraktionschefin Catherine Fonck das genauso. "Die Regierung scheint den Alltag der Bürger zu ignorieren. In diesem Alltag sieht man ganz deutlich einen Rückschritt bei den Gesundheitsdienstleistungen und bei den Renten. Aber auch Fakten scheint die Regierung zu ignorieren. Denn wenn der Premierminister sagt: Wir schaffen Arbeitsplätze, dann stimmt das zwar. Aber gleichzeitig ist das deutlich weniger, als in einer ganzen Reihe von Nachbarländern, obwohl die Wirtschaftskonjunktur positiv ist. Es lohnt sich, mal etwas zu wagen und mutig zu sein", sagt sie.
Bei den Grünen stieß sich besonders Kristof Calvo von Groen die Hörner an der Regierung ab. Die Grünen stellten neben vielen anderen, vor allem sozialen Kritikpunkten, noch die Umweltpolitik in den Mittelpunkt. "In diesem Bereich, um einen Bezug zur Aktualität herzustellen, macht die Regierung weniger als einen Minimaldienst, schimpfte Calvo.
Die Regierung reagierte auf all die Kritik mit Rechtfertigung. Es war ein Spiel der Zahlen, der Statistiken, des vorgegebenen Wissens über die reale Wirklichkeit in Belgien. Und vielleicht war das das beste Ergebnis der Debatte: Eben zu sehen, es wird noch gestritten. All die positiven Zahlen der Regierung werden nicht so einfach geschluckt. Die Opposition lebt, die Demokratie auch. Belgien kann sich freuen.
Kay Wagner - Bild: Nicolas Maeterlinck/BELGA