Bis zum 14. September ist jetzt erstmal alles geregelt. Zumindest für einen Teil der Papierlosen, die in den vergangenen Tagen in Etterbeek mehrere leerstehende Gebäude besetzt hatten. Rund 60 von ihnen sind jetzt in einem ehemaligen Altersheim untergekommen. Das Gebäude stand leer. Erst ab Mitte September sollen dort Arbeiten beginnen, um es in ein Studentenwohnheim umzuwandeln.
Die Beschlagnahmung durch die Gemeinde erfolgte in Absprache mit dem Eigentümer. Der war nicht begeistert über den Anruf von Bürgermeister Vincent de Wolf (MR), billigte aber ein. "Er hat mir bestätigt, dass er das Gebäude zwei Monate lang nicht braucht", sagte De Wolf gegenüber der RTBF. Und fügte hinzu: "Bei der Abwägung der Alternativen, also entweder die Menschen wieder auf die Straße zu setzen oder ein Gebäude zu belegen, dass zwei Monate sowieso leer gestanden hätte, habe ich etwas gemacht, was bislang noch nie in Brüssel gemacht worden ist: Ich habe einen Erlass zur Beschlagnahmung eines Gebäudes in Privatbesitz angeordnet, um den Menschen ein Dach über dem Kopf zu geben."
In dem Erlass ist auch festgeschrieben, dass die Papierlosen das Gebäude am 14. September verlassen müssen. Sollten sich die angekündigten Bauarbeiten im Gebäude verzögern, könnten auch die Papierlosen länger bleiben. Aber das ist alles Zukunftsmusik. Genauso wie das Schicksal, dass auf die Papierlosen dann wartet.
"Historische Entscheidung"
Trotzdem freuen sich Vertreter von Hilfsorganisationen erst einmal über diese bislang einmalige Entscheidung des Bürgermeisters von Etterbeek. Serge Noël vom Verein "SOS Migrants" bezeichnet sie sogar als "historisch". Er sagt: "Das wird als Beispiel für andere Gemeinden dienen. Sie werden vielleicht selbst Gebäude von Privatpersonen beschlagnahmen, um Obdachlosen oder Papierlosen eine Unterkunft zu bieten. Das wäre ein historischer Fortschritt bezüglich des Rechts auf Wohnen in Brüssel."
Dieses Recht auf Wohnen ist übrigens ein Menschenrecht. Es hat Vorrang vor dem Recht auf Privateigentum. Das sagt zumindest Véronique Gérard von der Brüsseler Wohn-Vereinigung Fébul in der Dienstags-Ausgabe der Zeitung La Libre Belgique. Dennoch haben Papierlose und ihre Unterstützer häufig Probleme, Wohnraum zu finden, obwohl viele Gebäude in Brüssel leer stehen. Vorbildlich ist dabei sicher das Vorgehen der Hilfsorganisationen: Sie suchen zumeist das Gespräch mit den Eigentümern, um eine Einigung zu erzielen. So, wie das De Wolf auch in Etterbeek getan hat.
Problem der Papierlosen längst nicht geregelt
Vollkommen zur Freude der Betroffenen übrigens. "Das ist ein Paradies hier", jubelt diese afrikanische Frau, "denn wir haben draußen auf der Straße gelebt. Es ist das erste Mal, dass man uns in einen Bus geladen hat, dass Polizei da war, die uns begleitet hat. Dass wir hierhin gekommen sind und dass man uns gesagt hat: Sie sind herzlich willkommen."
Aber nicht alle jetzt in dem Gebäude aufgenommenen Papierlosen sind damit vollkommen zufrieden. Ihre Forderungen gehen weiter. Die meisten von ihnen sind abgewiesene Asylanten aus Afrika. "Ich bin seit Jahren hier", sagt dieser Mann gegenüber der RTBF. "Einige von uns sind zehn, 15 Jahre hier. Wir haben Kinder, die hier geboren wurden. Es ist also langsam Zeit, dass dieses Land diese Tatsache anerkennt und uns als Teil des Landes betrachtet."
Das Problem der Papierlosen - und nicht nur derjenigen in Etterbeek - ist mit der Unterbringung in Privathäusern also längst nicht geregelt. Der Staat müsste die Sache in die Hand nehmen und entscheiden: entweder die abgewiesenen Asylanten konsequent in ihre Herkunftsländer zurückschicken, oder sie eben doch in Belgien dulden. Aber dann mit einem richtigen Status, der ihnen ein normales Leben in der Gesellschaft ermöglicht.
Kay Wagner - Illustrationsbild: BELGA