"Das ist beispielslos. Wir sind hier nicht weit von Mafia-Methoden". Der CDH-Politiker und Abgeordnete im Brüsseler Regionalparlament, Benoît Cerexhe, kann es immer noch nicht fassen.
Die Bombe war kurz zuvor im Untersuchungsausschuss des Brüsseler Regionalparlaments geplatzt, in der Kommission, die die Samusocial-Affäre ausleuchten soll. Der Ecolo-Abgeordnete Alain Maron hatte eine E-Mail verlesen, in der sich Michel Degueldre, der Verwaltungsratspräsident des Samusocial, an den Kommunikationsverantwortlichen der Vereinigung wendet.
Degueldre ordnet "gründliche Nachforschungen" an über zwei, wie es hämisch heißt, "journalistische Stars" von RTBF und Le Vif, sowie über einen Ecolo-Parlamentarier - "gründliche" Nachforschungen über das Leben, die Studien, die Gewohnheiten, die Überzeugungen, die Freunde und die Familie der besagten Personen. Der besagte "Ecolo-Parlamentarier" ist Maron selbst.
Starker Tobak, in jedem Fall. Besagte "gründliche Nachforschungen", die Michel Degueldre anordnet, begründet er wie folgt: Er wolle die Motivationen, die Verbindungen und die Ambitionen der Personen besser verstehen.
Die Mail endet mit den Worten: "Die Zeiten der netten Leute, die sind vorbei". "Das mag darauf hindeuten, dass man dafür sorgen will, dass Menschen, die bislang als "nett" galten, plötzlich als "böse" dargestellt werden sollen", sagte Maron.
Über die genauen Absichten des Samusocial-Präsidenten kann man nur spekulieren. Man darf allerdings davon ausgehen, dass diese "gründlichen Nachforschungen" nicht dazu dienen sollten, den Menschen möglichst passende Weihnachtsgeschenke auszusuchen.
Fakt ist: Wer die beiden Journalisten sind, das lässt sich ableiten. Ebenso wie der Ecolo-Abgeordnete Alain Maron waren es Leute, die im Zusammenhang mit der Samusocial-Affäre allzu oft allzu kritische Fragen gestellt haben.
Skandalöse Praktiken
"Wir sind ebenso irritiert wie entrüstet", reagierte Jean-François Dumont, stellvertretender Generalsekretär des frankophonen Journalistenverbands AJP. Skandalös seien diese Praktiken, ein eindeutiger Einbruch in das Privatleben der Journalisten.
Genau das mache die Sache auch so problematisch, sagt Dumont. Dass Journalisten eingeschüchtert werden sollen, das kenne man ja leider. Neu und zugleich beängstigend sei aber im vorliegenden Fall die Aggressivität, die Tatsache, dass im Privatleben der Journalisten herumgeschnüffelt werden soll.
Das bette sich ein in einen weltweiten Trend, sagt der AJP-Vertreter. Leute wie etwa Donald Trump machten es vor: Sie hegten einen Hass auf die Medien, und das nur, weil sie die Überbringer der schlechten Nachrichten sind.
Ein Sprecher des Europäischen Journalistenverbandes FEJ gab sich derweil deutlich undiplomatischer und sprach von "Mafia-Methoden mit faschistischem Anstrich".
Le Vif-L'Express und die RTBF, deren Journalisten im Visier waren, reagierten ihrerseits mit einer Mischung aus Empörung, Bestürzung und Kampfgeist, nach dem Motto: "Wir sind schockiert angesichts solcher Praktiken, wir lassen uns aber nicht einschüchtern und werden 'jetzt erst recht' unabhängig berichten".
Stellte sich noch die Frage: Sind besagte Nachforschungen letztlich denn auch angestellt worden? Gefragt hat man bereits den Kommunikationsverantwortlichen, der der Adressat der Mail war. Er wurde ohnehin im Untersuchungsausschuss angehört - und gab an, dass er zunächst nicht gewusst habe, wie er mit der Aufforderung umgehen sollte, ihr aber nicht Folge geleistet habe.
Einige Ausschussmitglieder wollen jetzt aber auch schnellstens den Autoren vorladen: Michel Degueldre. Der Mann ist übrigens ein in Brüssel recht bekannter und renommierter Arzt. "Wir wollen seine Version hören", sagte der CDH-Abgeordnete Benoît Cerexhe. "Und auf der Grundlage werden wir auch über mögliche rechtliche Schritte nachdenken."
Roger Pint - Archivbild: Nicolas Lambert/BELGA