Die MR reagierte am schnellsten. Noch am Montagabend erteilte das MR-Parteibüro ihren Präsidenten Olivier Chastel das Mandat, den Dialog mit der CDH über die Bildung neuer Regierungen zu führen. In der Wallonie könnte das Zusammengehen von CDH und MR reichen, um eine neue Regierungsmehrheit zu stellen. In Brüssel und der Französischen Gemeinschaft müssten weitere Partner hinzukommen.
Im Verlauf des Dienstagvormittags dämpfte die MR allerdings selbst die Hoffnung, dass alles sehr schnell gehen könnte. Chastel ließ aus seinem Kabinett verkünden, dass es Aufgabe der CDH und nicht der MR sei, den ersten Schritt zu tun. Sprich: Bei der MR wartet man darauf, dass die CDH sie bittet.
Und dann wird die MR ihre Forderungen stellen. Die machte Chastel gegenüber der RTBF deutlich: Natürlich, so sagte Chastel, spreche man jetzt über eine Veränderung des Politikstils und die Maßnahmen, die man dafür ergreifen muss. "Aber ich möchte auch gerne Regierungen sehen, die mit den Maßnahmen übereinstimmen, die auf föderaler Ebene von der Föderalregierung getroffen werden." Im Klartext heißt das: Die CDH müsste sich künftig dem Kurs der föderalen Regierungsparteien anpassen. Frage, ob sie das will?
Potentielle Koalitionspartner stellen Forderungen
Doch auch die anderen Parteien, die zurzeit als heiße Koalitionspartner der CDH gehandelt werden, stellen Forderungen. Und zumindest verbal hören die sich so an, als ob die CDH sie noch schwerer erfüllen könnte.
Die Grünen wollen ihre Vorstellungen vor allem in Hinsicht auf einen neuen Politikstil durchsetzen. Dabei ist Ecolo zunächst offen für alle Gesprächspartner - unausgesprochen also auch für die PS. Ecolo-Co-Präsident Patrick Dupriez sagte ebenfalls in der RTBF: "Wir werden am Mittwoch an alle politischen Parteien eine Liste mit Vorschlägen schicken, wo es um Sachen wie Ethik geht, um die demokratische Erneuerung, um die politischen Einrichtungen, Abschaffung der Provinzen, Entpolitisierung der Administrationen. Natürlich gehört auch die Abschaffung der Ämterhäufung dazu, die Offenlegung der Gehälter." Werden diese Forderungen nicht erfüllt, werde sich Ecolo auch nicht an Regierungen beteiligen.
Für Défi, die sich vor allem in Brüssel als eine Alternative für die CDH neben anderen Partnern anbieten würde, legt Parteipräsident Olivier Maingain die moralische Latte sehr hoch. Sowohl bei PS, aber auch CDH und MR müssten Köpfe rollen. Politiker, die sich in der Vergangenheit unethisch verhalten hätten, müssten ihre Ämter niederlegen. Von der RTBF-Moderatorin dazu gedrängt, konkrete Beispiele zu nennen, sagte Maingain: "Wie kann man sich auch nur einen Augenblick lang vorstellen, dass ein Armand De Decker nach dem ganzen Kasachgate-Skandal noch als Abgeordneter der Mehrheit im Brüsseler Parlament sitzt? Bei der CDH haben wir Madame Milquet, gegen die ein Rechtsverfahren läuft. Die Leute müssen jetzt zurücktreten, wenn wir glaubwürdig bleiben wollen."
CDH lädt MR, Ecolo und Défi zu Gesprächen über Regierungsbildung ein
Ab Mittwoch will die CDH mit MR, Ecolo und Défi über die Bildung von neuen Mehrheiten sprechen. Das kündigte CDH-Präsident Benoît Lutgen am Dienstagnachmittag an. Die Gespräche sollen ein erster "konstruktiver Dialog" sein, wie Lutgen in einer Mitteilung schreibt. Die Treffen sollen jeweils einzeln stattfinden. MR und Défi sollen am Mittwoch mit der CDH sprechen, Ecolo am Donnerstag.
Ecolo und Défi lehnten ihre Teilnahme an solchen Gesprächen laut Medienberichten aber bereits ab. Man wolle sich nicht von der CDH die Agenda diktieren lassen, hieß es seitens der Grünen. Ecolo Co-Präsidentin Zakia Khattabi teilte mit, dass ihre Partei sich an so einem Casting nicht beteiligen wolle. Für Ecolo hat die Erneuerung des Politikstils höchste Priorität. Nur darum müsse es in den ersten Gesprächen gehen.
PS appelliert an Gewissen der politischen Mitte-Links-Kräfte
Und was passiert unterdessen bei der PS? Für sie stellte sich Rudy Demotte, Ministerpräsident der Französischen Gemeinschaft, den Fragen der RTBF - und überraschte, denn er ging zum Gegenangriff über. Er appellierte an die linken bzw. Mitte-links-Kräfte bei Ecolo, CDH und Défi.
Wörtlich sagte Demotte: "Ich lanciere einen Aufruf an die Fortschrittlichen innerhalb der christlich-demokratischen Familie, die es immer noch gibt, und ich lanciere einen Aufruf an die Grünen, an die Mitglieder des Mitte-links-Flügels von Défi. Und ich werde sie fragen: Sind Sie bereit, sich in eine politische Konstellation zu begeben, die eine Neuausrichtung Ihrer Partei hin zum rechten Wählerpotenzial bedeutet? "
Ein Appel an das Gewissen der politischen Mitte-Links-Kräfte eben. Was natürlich ein Schachzug der PS ist. Mögliche neue Koalitionspartner sollen innerparteilich auseinanderdividiert werden. Eine Art Rache der PS an der CDH.
Welche der vielen Strategien letztlich erfolgreich sein wird: Am Ende von Tag eins nach dem Paukenschlag der CDH ist das noch nicht absehbar.
Kay Wagner - Bild: Thierry Roge/BELGA