Es ist eins dieser Gespenster, das schon seit Jahren durch die Flure in der Brüsseler Rue de la Loi geistert. Der Minimaldienst - genauer: die garantierte Mindestversorgung im Streikfall. Bei jeder Protestaktion, insbesondere bei der Nationalen Eisenbahngesellschaft SNCB, kocht das Thema gleich wieder hoch. Die Regierung Michel schrieb den garantierten Minimaldienst für die SNCB dann in ihrem Koalitionsvertrag fest, aus der Idee wurde eine Absicht...
In einer ersten Phase überließ man aber den Sozialpartnern das Feld: Direktion und Gewerkschaften sollten sich einen gemeinsamen Text ausarbeiten, der also festlegen sollte, wie ein solcher Minimaldienst aussehen und wie man ihn organisieren könnte. Da bestand allerdings wenig Hoffnung auf Einigung. Die Gewerkschaften lehnen einen solchen Minimaldienst kategorisch ab.
Und daran hat sich nichts geändert: "Für uns ist eine erzwungene Minimalversorgung eine inakzeptable Beschneidung des Streikrechts", sagte Marianne Lerouge von der christlichen Gewerkschaft CSC in der RTBF. Den Mitarbeitern müsse es auch in Zukunft erlaubt sein, auf Probleme zu reagieren, etwa auf Sparmaßnahmen oder Umstrukturierungen.
Minimaldienst à la Bellot
Die roten und blauen Kollegen sehen das ähnlich: Die Verhandlungen mit der Direktion kamen also nicht von der Stelle. Eine Deadline verstrich, die zweite auch und Ende vergangenen Jahren lief dann die dritte und letzte Frist ab. Heißt: Wie angedroht nahm die Regierung die Akte im Januar selbst in die Hand.
Fünf Monate später hat der zuständige Transportminister François Bellot jetzt also offenbar einen Entwurf fertig. Den will der MR-Minister in den nächsten Wochen dem Ministerrat unterbreiten. Einige Zeitungen haben aber offenbar schonmal einen Blick drauf werfen können. Der Minimaldienst à la Bellot, den könnte man demnach mit einem simplen Zahlencode zusammenfassen: 8-4-1.
8-4-1: Fangen wir mal vorne an. Jeder Streik bei der Bahn muss mindestens acht Tage im Voraus angekündigt werden. Vier Tage vor dem Termin muss jeder Mitarbeiter sich klar äußern: Will er an dem Streik teilnehmen oder nicht? Diese Entscheidung ist verpflichtet und bindend. Heißt: Jeder Mitarbeiter ist gezwungen, seine entsprechende Entscheidung mitzuteilen - und diese Entscheidung ist verbindlich: Wer gesagt hat, dass er zur Arbeit kommt, der muss auch antreten - anderenfalls droht eine Disziplinarmaßnahme. Auf der Grundlage der Zahl der Arbeitswilligen soll ein Notfahrplan erstellt werden.
8-4-1
8-4-1: Die Eins steht für das Ziel der Regierung, das da lautet: Die Zugreisenden sollen spätestens einen Tag vor der Protestaktion wissen, was Sache ist, 24 Stunden vor Streikbeginn die Gewissheit haben, ob ihr Zug fährt oder nicht. "Und wenn kein Zug fährt, dann fährt eben keiner", heißt es sinngemäß in dem Entwurf. Konkret: Es wird keine Zwangsverpflichtungen geben, man plant mit denen, die arbeitswillig sind. Wenn das nicht ausreicht, Pech gehabt... In ersten Reaktionen blieben die Gewerkschaften aber bei ihrer ablehnenden Haltung.
Klar: "Dieser Minimaldienst ist und bleibt eine Einschränkung des Streikrechts", sagt Marianne Lerouge von der CSC. Und das sei umso unnötiger, als diese Regelung nicht alle Probleme löse. Konkret: Der Plan des Ministers betreffe nur angekündigte Streiks, nicht aber spontane Protestaktionen. Es seien doch diese wilden Streikaktionen, die den Pendlern das Leben schwer machten, sagt die Gewerkschafterin. Das Problem könne man nur an der Basis lösen. Erstens: Man sollte der SNCB die Mittel geben, die sie benötigt. Und zweitens: Man braucht einen ehrlichen und respektvollen sozialen Dialog.
Es sind eben solche Reaktionen, die einige Beobachter fast schon zur Verzweiflung bringen. "Der Minimaldienst, das ist doch eine Illusion", schreibt am Freitag etwa der Leitartikler des flämischen Massenblatts Het Laatste Nieuws. Solange die Gewerkschaften wilde Streiks abdecken, werde sich tatsächlich nichts ändern. Außerdem: Auch bei vorangekündigten Streiks reiche es, dass sich ein paar Protestler in Brüssel an die Gleise ketten, um den ganzen Verkehr doch zum Erliegen zu bringen.
Erstmal muss der Plan ohnehin durchs Parlament. Nach Prüfung des Entwurfs durch den Staatsrat dürfte der Text frühestens Ende Juni auf dem Tisch der Abgeordneten landen.
Roger Pint - Illustrationsbild: Siska Gremmelprez, belga