Bereits Anfang des Monats hatte der Jude Philippe Markiewicz eine Parallele gezogen zwischen dem geplanten Schächtverbot und den Maßnahmen, die die Nazis 1940 während ihrer Besatzung von Belgien erlassen hatten. Kein direkter, aber doch ein indirekter Nazi-Vergleich also.
Manche Politiker hatten vielleicht gehofft, dass Markiewicz am Donnerstag milder mit seinem Urteil sein werde. Doch sie wurden enttäuscht: Markiewicz blieb bei seinem Standpunkt.
Parteiübergreifend war die Empörung, die das knappe Dutzend Abgeordnete im Umweltausschuss ergriff. "Alle waren wütend", zitiert die Zeitung Le Soir die Ecolo-Abgeordnete Hélène Ryckmans am Freitag. "Solche verbalen Entgleisungen hätte man unterbinden müssen", sagte Déborah Géradon von der PS. Und MR-Politikerin Christine Defraigne gab zu Protokoll: "Das ist beleidigend, ich fühle mich verletzt".
Der für das Dossier Schächtverbot zuständige Minister Carlo Di Antonio von der CDH verließ sogar zehn Minuten den Saal, kam danach zurück, polterte später gegenüber der RTBF: "Was für ein Vergleich! Das ist doch total deplatziert. Das ist respektlos gegenüber all denjenigen, die während des Kriegs gelitten haben. Die sehen sich heute verglichen mit Prozeduren, wo es um das Wohl von Tieren geht. Ich war schockiert, und nicht nur ich."
Markiewicz hielt dagegen. Er sagte, es wäre doch absurd, wenn er als Präsident des israelitischen Zentralkonsistoriums nicht daran erinnern dürfe, was 1940 passiert sei. Damals, als die Nazis das rituelle Schlachten in Belgien das bislang letzte Mal verboten hätten. Das sei nun mal eine historische Tatsache. Und es sei unverständlich, dass allein der Fakt, dass er an diese historische Tatsache erinnere, so einen riesigen Aufschrei erzeuge.
Mit dieser Meinung repräsentiert Marckiewicz allerdings nicht mehr die gesamte jüdische Gemeinschaft in Belgien. Diese zeigt sich vielmehr gespalten. Unterstüttz der Großrabbiner Albert Guigui Marckiewicz auf voller Linie, so distanziert sich Yohan Benizri als Präsident des Koordinationsausschusses der jüdischen Organisationen in Belgien (CCOJB) deutlich von Marckiewicz. Der Verband der laizistischen Juden scheint gespalten. Ihr Präsident Henri Gutman verurteilt den Quasi-Nazi-Vergleich. In der Zeitschrift des Verbandes wird das rituelle Schächten allerdings verteidigt.
Das tut - naturgemäß - auch Marckiewicz. Und das habe nichts damit zu tun, dass gläubige Juden Tiere quälen wollten. Ganz im Gegenteil. Gläubige Juden würden Tiere hoch achten. Markiewicz sagte: "Wir Juden dürfen nicht essen, bevor wir nicht zuvor unserem Hund oder unserer Katze zu Fressen gegeben haben. Das ist eine absolut geltende, religiöse Regel bei uns. Zuerst die Tiere, dann der Mensch. Für uns Juden steht das Tier im Mittelpunkt. Die Schlachter, die Tiere nach jüdischem Brauch schächten, sind dazu ausgebildet worden das Tier so zu töten, dass es nicht leidet."
Carlo Di Antonio sieht das völlig anders. Er sei mal bei einer rituellen jüdischen Schlachtung dabei gewesen. Was er da gesehen habe, na ja, das habe mit dem Wohl des Tieres nicht mehr viel zu tun. Das Tier leide enorm, es leide lange, mehrere Minuten dauere es, um alles Blut aus ihm herausfließen zu lassen, bevor es stirbt. Das sei nicht einfach mit anzuschauen. Er könne nicht zulassen, dass man diese Praxis weiterführt.
Der Nazi-Vergleich ist das eine, die Frage um das Leiden der Tiere das andere. Beides sind gleichsam ethische Fragen. Über sie hätte man am Donnerstag diskutieren können. Zum Beispiel sich austauschen darüber, ob Nazi-Vergleiche grundsätzlich möglich sind oder nicht? Wenn ja, wann, wenn nein, warum nicht? Was müssen Politiker aushalten können, was Glaubensgemeinschaften? Was ist das Wohl der Tiere? Warum letztlich will die Wallonie gerade jetzt das Schächten verbieten - was steckt da außer dem Wohl des Tieres vielleicht noch dahinter? Eine Diskussion darüber wurde vertan. Keine Seite schien zum Kompromiss bereit. Nach aktuellem Stand der Dinge will die wallonische Regierung das Dekret zum Schächtverbot Anfang Mai wie geplant erlassen.
Kay Wagner - Illustrationsbild: Jim Hollander/EPA