Experten warnen längst vor der schlimmsten humanitären Katastrophe seit dem Zweiten Weltkrieg. Ganz besonders betroffen ist die Region am Horn Afrika: Somalia und Süd-Sudan im Westen und Jemen im Osten des Roten Meers. Ursache sind neben Klimakapriolen vor allem die militärischen Konflikte in der Region. Im Jemen tobt seit zwei Jahren ein blutiger Bürgerkrieg, bei dem sich, ganz grob zusammengefasst, sunnitische Regierungstruppen und schiitische Milizen gegenüberstehen. Im Grunde handelt es sich um einen Stellvertreterkrieg: Der Iran unterstützt die Rebellen, Saudi-Arabien führt eine Koalition an, die an der Seite der sunnitischen Streitkräfte kämpft.
Genau hier hakt Alexander De Croo ein, der föderale Minister für Entwicklungszusammenarbeit. In der Region seien 20 Millionen Menschen vom Hungertod bedroht, darunter 1,5 Millionen Kinder. Belgien gehöre zu den Ländern, die über finanzielle Unterstützung versuchen, das Leid in der Region zu lindern. Und da sei es doch absurd, wenn wir auf der anderen Seite über Waffenexporte den Krieg weiter befeuern.
60 Prozent der wallonischen Waffenexporte gehen nach Saudi-Arabien
Nur: Wer "belgische" Waffen sagt, der macht in diesem Land erfahrungsgemäß ein Fass auf und ist dann schnell bei der wallonischen Waffenschmiede FN. De Croo macht daraus auch gar keinen Hehl und nennt Ross und Reiter: 60 Prozent der wallonischen Waffenexporte gehen nach Saudi-Arabien, sagte De Croo in der VRT. Und, seien wir mal ehrlich: Man kann nicht auf der einen Seite Waffen in die Region verkaufen, die dazu dienen, Menschen über den Haufen zu ballern, und auf der anderen Seite als Föderalregierung nach einer politischen Lösung suchen, um so viele Menschen wie möglich zu retten.
Der Präsident der FGTB-Delegation bei FN Herstal befürchtet, dass die Firma nun zum Sündenbock gemacht wird. Er sagte, man werde sich nicht in geopolitische Angelegenheiten einmischen und sicher stellen, dass eventuelle Regelungen um ein Waffenembargo nicht nur für den Betrieb in Herstal gelten, sondern für alle Waffenproduzenten.
Das leidige Thema Waffenexporte... In der Vergangenheit haben sich Flamen und Wallonen darüber immer wieder in die Haare gekriegt, bis man die Materie am Ende regionalisiert hat. Konkret: Die Regionen entscheiden eigenständig über die Ausfuhrlizenzen.
De Croo soll Worten Taten folgen lassen
Die Reaktion von wallonischer Seite fiel denn auch eher verschnupft aus. Der Herr De Croo sollte seinen Worten doch bitte Taten folgen lassen, sagte CDH-Chef Benoît Lutgen am Montagmorgen in der RTBF. Wenn De Croo wirklich ein Problem damit hat, dass Waffen aus Europa in die Konfliktregion verkauft werden, dann solle er die Problematik auf der EU-Ebene ansprechen, um dafür zu sorgen, dass die Geschäftsbeziehungen zwischen Europa und Saudi-Arabien mal grundsätzlich thematisiert werden. Es wäre doch scheinheilig, fügt Lutgen hinzu, wenn wir uns hier in Belgien strenge Regeln auferlegen, und andere dafür weitermachen dürfen.
Die Retourkutsche von Alexander De Croo fiel dann aber ebenso giftig aus. "Wenn ich den Herrn Lutgen und auch den wallonischen Ministerpräsident Paul Magnette richtig verstehe", so reagierte De Croo in der RTBF, "dann ist es den beiden wohl lieber, die Kinder im Jemen werden mit wallonischen Waffen massakriert, und nicht mit französischen oder deutschen". Das sei eine doch sehr grausame Haltung.
Altbekannter Gewissensstreit
Spätestens mit diesem Satz ist das Ganze zu einem Remake des altbekannten Gewissensstreits geworden. Wobei die Wallonen den Flamen da immer vorwerfen, dass sie vielleicht keine Waffen im eigentlichen Sinne verkaufen, dafür aber Hochtechnologie, die in Waffen verbaut werden.
"Wir haben all unsere Exporte nach Saudi-Arabien gestoppt", beteuerte aber der flämische Ministerpräsident Geert Bourgeois. Und er hoffe, dass die Wallonen dem Beispiel folgen werden. Allerdings, so räumt auch Bourgeois ein: Es wäre vielleicht wirklich besser, wenn es ein europäisches Embargo geben würde.
"Wer sagt, dass Europa das Problem lösen soll, der spielt ganz klar auf Zeit", sagt De Croo. Es gibt aber Momente, da müssen humanitäre Prinzipien wichtiger sein als wirtschaftliche Interessen.
Roger Pint - Bild: Mohammed Huwais/AFP