Lubna Selassi hat die Nase voll. Ihr Mann wurde bei den Explosionen in der Abflughalle des Brüsseler Flughafens schwer verletzt. Die Ärzte mussten ihm ein Bein amputieren. Die Versicherungsgesellschaften würden der Familie seit einem Jahr aber das Leben zur Hölle machen: Immer müssten sie neue Dokumente einreichen, sich immer wieder rechtfertigen.
Dabei sei die Diagnose doch klipp und klar: Amputation des rechten Unterschenkels. Das Bein werde ganz sicher nicht nachwachsen, fügt die Frau sarkastisch in der RTBF-Sendung "Devoirs d’enquête" hinzu.
Auch die föderale Gesundheitsministerin Maggie De Block findet: Die Versicherungsgesellschaften lassen sich ganz schön viel Zeit bei der Bearbeitung der Fälle. Die Betroffenen würden dadurch zum zweiten Mal zu Opfern, so die Politikerin im VRT-Radio: "Es ist nicht normal, dass man so lange die Rückerstattung medizinischer Versorgungskosten oder einer Proteste warten muss."
Die Versicherungsgesellschaften wollen diesen Vorwurf nicht auf sich sitzen lassen. Bei Todesfällen hätten die Versicherer sofort gezahlt. Bei den Verletzten müsse man hingegen abwarten, um sich ein umfassendes Bild machen zu können.
Es sei nicht immer deutlich, welche Versicherung für den Schaden aufkommt und ob die Policen der Betroffenen Terrorfälle deckt, erklärt Assuralia-Sprecher Robyns die Länge der Verfahrensdauer. Die meisten Opfer hätten allerdings eine Rechtsbeistandsversicherung, die ihnen jederzeit zur Seite stehe.
Vier von fünf Opfern warten immer noch auf eine Entschädigung
Bislang seien nur 18 Prozent der Schadensfälle abschließend geklärt, bedauert das Gesundheitsministerium. Das heißt mehr als vier von fünf Opfern warten knapp ein Jahr nach den Anschlägen noch auf eine Entschädigung. Einige sind dadurch in große finanzielle Schwierigkeiten geraten.
Viele Opfer und deren Angehörige fühlen sich aber auch vom Staat im Stich gelassen. Es gebe zu viele Ansprechpartner und keine zentrale Koordinierungsstelle für ihre unzähligen Fragen. Bei den Anschlägen am Flughafen Zaventem und in der U-Bahn-Station Maelbeek wurden 32 Menschen getötet, mehr als 300 wurden verwundet.
Zahlreiche Verletzte und Augenzeugen kämpfen weiter gegen seelische Schmerzen und befinden sich, ein Jahr danach, weiter in psychologischer Behandlung. Einige haben wieder Hoffnung und ein wenig Lebensmut. Bernadette überhaupt nicht: "Manchmal sagt mein kleiner Sohn mir: 'Mama, du bist aber schon lange krank. Wann wirst du wieder gesund?' Und dann denke ich: 'Ich wäre besser bei den Anschlägen gestorben. Denn wenn man tot ist, leidet man wenigstens nicht mehr.'"
akn/sh - Foto: Aurore Belot/BELGA