Publifin-Nethys, wirklich ein mafia-ähnliches System? Dieser Frage sind die RTBF-Journalisten Sylvie Duquenoy und Laurent Mathieu nachgegangen. Die Reportage wurde im Rahmen der Sendung "Questions à la Une" ausgestrahlt. Und der Film wirft dann doch nochmal ein durchaus neues Licht auf den Skandal.
Zunächst beschäftigen sich die Autoren mit der Schlüsselfigur in der Affäre, dem Nethys-Geschäftsführer Stéphane Moreau. Um erstmal festzustellen, dass der Mann höchst selten in Erscheinung tritt. Selbst in dem doch reichhaltigen Archiv der frankophonen Rundfunkanstalt gibt es so gut wie kein Interview mit dem PS-Politiker.
Es war jedenfalls Stéphane Moreau, der aus Publifin-Nethys das gemacht hat, was es heute ist. Eine weitverzweigte, milliardenschwere Holding, die mindestens 50 Tochterunternehmen kontrolliert. Eine Erfolgsgeschichte, in den Augen vieler zumindest.
Nethys ging ein bisschen als der Inbegriff der wirtschaftlichen Renaissance von Lüttich durch. Im Zentrum: Stéphane Moreau.
Dessen Managerqualitäten stellt niemand infrage. Allerdings, so sagt Gaspard Grosjean, Journalist bei der Mediengruppe Sudpresse, gilt Moreau auch als "sehr ungeduldig". Und da neige er auch schonmal dazu, Druck auszuüben oder gar Drohungen auszusprechen.
Wie weit Moreau bereit ist, zu gehen, dafür präsentieren die RTBF-Journalisten in der Reportage einige anschauliche Beispiele.
Besonders vielsagend ist das, was die MR-Politikerin Viviane Teitelbaum erlebt hat. Sie war Vizepräsidentin des Brüsseler Kabelanbieters Brutélé. Tecteo, heute Publifin-Nethys, wollte die Gesellschaft übernehmen, aber die Brüsseler Braut wollte nicht so recht.
Irgendwann wurde ein Tecteo-Verantwortlicher ihr gegenüber ziemlich direkt "Wenn ihr nicht mitmacht, dann werdet ihr schon sehen, was ihr davon habt", sollen die Lütticher gesagt haben.
Die Brutéle-Verantwortlichen blieben aber hart. Bis ein Brief hereinflatterte. Der war unter anderem auch an die Verwaltungsratsmitglieder persönlich adressiert. In dem Schreiben wurde ihnen damit gedroht, dass sie persönlich zur Rechenschaft gezogen werden könnten. "Einige meiner Kollegen sind da regelrecht in Panik geraten", sagte Teitelbaum.
Dass Stéphane Moreau und der Publifin-Chef André Gilles nicht mit Widerworten umgehen können, das haben auch Parteikollegen erfahren müssen. Publifin wollte die Gas- und Strom-Interkommunale von Andenne übernehmen. Claude Eerdekens, der PS-Bürgermeister der Stadt, weigerte sich.
"Da kamen die Lütticher plötzlich an und versprachen, dass wir einen Vertreter im Verwaltungsrat bekommen sollten, der stattliche Bezüge beziehen würde", sagt Eerdekens. "Man hat also versucht, Sie zu kaufen?", fragt die Journalistin. "Ja!" Die Stadt Andenne blieb bei ihrem Nein.
Diese Episode lässt aber ein System erkennen. Mehr noch: Es sei tatsächlich eine Mafia-ähnliche Struktur, sagt der Lütticher Politologe François Gemenne.
Eigentlich ist der nur konsequent. Er war der erste, der vor einigen Wochen den Mafia-Vergleich in den Raum stellte. Mafia-ähnlich sei das System insofern, als Publifin-Nethys buchstäblich die Regeln festlegt. Und damit alle zusammen- und vor allem dichthalten, werden schöne Summen verteilt, die dann wechselseitige Abhängigkeiten schaffen.
Claude Eerdekens, der PS-Bürgermeister von Andenne, schlägt in dieselbe Kerbe und spricht die Dinge aus, die in der Wallonie niemand hören will. Als Tecteo umgewandelt wurde in Publifin-Nethys hatte das zur Folge, dass den Gemeinden ihre bisherigen Dividenden durch die Lappen gingen.
"Und die Leute, die das System aufgebaut haben, was haben die gemacht? Sie haben Kommunalpolitiker buchstäblich gekauft, damit sie wegschauen. Und die Lütticher Lokalsektionen der vier traditionellen Parteien, die tragen dafür eine Mitverantwortung", sagt Erdekens.
"Die Lütticher Sektionen von PS, MR, CDH und ECOLO, die haben davon gewusst?", fragt die Journalistin. "Wenn nicht", sagt Eerdekens, "wenn nicht, dann sind sie blöd; und blöd sind sie nicht"
Roger Pint Foto: Eric Lalmand/Belga