BHV - Brüssel-Halle-Vilvoorde: Drei Buchstaben standen jahrzehntelang symbolhaft für die gemeinschaftspolitischen Spannungen in Belgien. Die Region Brüssel hat ihr verschärftes Lärmschutzgesetz um Mitternacht in Kraft treten lassen, wird vorerst aber keine Bußgelder von den Airlines eintreiben.
Das Problem ist so kompliziert, weil es erstens seit Jahrzehnten besteht und nie grundlegend gelöst wurde. Zweites, weil die Beteiligten aneinander vorbeireden. Und drittens, weil derzeit eine Zuspitzung des Konflikts stattfindet. Einige Akteure lassen die Muskeln spielen und das war bislang nur selten förderlich bei der Lösungssuche.
Die Region Brüssel will ihre Einwohner vor zu viel Fluglärm schützen und hat deshalb schon vor Jahren strengere Lärm-Obergrenzen eingeführt. Allerdings hat man bei der Einhaltung eine gewisse Toleranz walten lassen. Das will die Region nicht mehr machen und spätestens in zwei Monaten ihr Lärmschutzgesetz strikt anwenden. Der Brussels Airport in Zaventem ist ja nur wenige Kilometer von Brüssel entfernt und drei Flugrouten führen über das Hauptstadtgebiet.
Auf der anderen Seite haben wir Flandern. Viele der flämischen Anrainergemeinden sind zwar noch mehr Fluglärm ausgesetzt, doch die flämische Regierung setzt auf die wirtschaftliche Karte. Brussels Airport ist der zweitwichtigste Wirtschaftspol des Landes mit insgesamt 60.000 Arbeitsplätzen. Einige Airlines drohen wegen der Brüsseler Bußgelder und der erheblichen Mehrkosten, Zaventem zu verlassen. Und das will Flandern auf jeden Fall verhindern. Lärmschutz gegen Umwelt: Beide Regionen kommen nicht auf einen gemeinsamen Nenner.
Besonders absurd ist die Situation, weil der Lärmschutz eine regionale Zuständigkeit ist, die Flugrouten aber auf föderaler Ebene festgelegt werden. Das heißt: Die Fluglotsen schicken eine Maschine beim Start auf eine bestimmte Route, die muss der Pilot auch befolgen. Es könnte aber sein, dass er dafür von der Region Brüssel bestraft wird, weil sein Flugzeug zu laut ist.
Es ist ein bisschen so, als würde die föderale Autobahnpolizei wegen eines Unfalls eine Umleitung einrichten und den LKW-Fahrern sagen: Bitte nehmt die Ortsdurchfahrt. Dort steht dann aber ein Beamter der Lokalpolizei und stellt einen Strafzettel aus, weil in der Straße eigentlich nur Ortsverkehr zulässig ist. Belgiens komplizierte Aufteilung der Zuständigkeiten sorgt jetzt dafür, dass immer mehr Fluggesellschaften ungeduldig werden. Sie fordern Klarheit. Vor allem die Frachtairlines. Die fliegen oft noch mit alten Jumbos wie der Boeing 747, die viel Lärm machen. Die riskieren die höchsten Bußgelder. Und so ein Flug droht dann ganz schnell unrentabel zu werden. Deswegen haben sechs Frachtairlines damit gedroht, Zaventem zu verlassen und ins Ausland zu gehen. Mehr als 3.000 Jobs wären betroffen.
Um eine Lösung auf dem Verhandlungsweg zu erzwingen, hat Flandern zum zweiten Mal einen Interessenkonflikt eingeläutet. Dadurch kann jetzt 60 Tage nach einem Kompromiss gesucht werden. Die Region Brüssel zweifelt die Vorgehensweise aber an. Denn Flandern hat schon mal eine Prozedur des Interessenskonflikts gestartet. Dadurch waren die Brüsseler Lärmschutznormen nicht schon Anfang Januar, sondern erst am Dienstag in Kraft getreten.
Eine Interessenkonflikt-Prozedur kann ein Teilstaat in Belgien ja ausrufen, wenn er sich durch die Gesetzgebung eines anderen Teilstaats benachteiligt fühlt. Das ist beim Fluglärm ja der Fall. Allerdings hat Flandern eine Spitzfindigkeit genutzt: Die erste Prozedur hatte die flämische Region ausgelöst, jetzt ist es die flämische Gemeinschaft – obwohl beide Institutionen des Landes eigentlich längst zusammengelegt wurden. Das geht nicht, sagt Brüssel - das sei nicht verfassungskonform.
Gerade die Frankophonen sollte sich in dieser Angelegenheit aber zurückhalten, sagen die Flamen. Bei der Spaltung von BHV ist der Interessenkonflikt insgesamt fünf Mal ausgelöst worden - erst durch die Französische Gemeinschaft, dann durch die Wallonische Region, die Region Brüssel, das frankophone Brüsseler Parlament und schließlich sogar durch die unbeteiligte Deutschsprachige Gemeinschaft - was die flämischen Nationalisten den Ostbelgiern übrigens bis heute übel nehmen.
Föderalregierung, Flandern und Brüssel tagen am Donnerstagmorgen im Konzertierungsausschuss.
Alain Kniebs - Bild: belga