Auriane Pirmez zeigt dem VRT-Kamerateam ein Foto von zwei Kindern: Das Mädchen ist acht, ihr kleiner Bruder fünf Jahre alt. Zusammen mit ihren Eltern wohnen sie in Aleppo, der syrischen Stadt also, die in den letzten Wochen zum Inbegriff des Bürgerkriegs mit seinen furchtbaren Gräueln geworden ist. Die Stadt wird seit Wochen quasi permanent bombardiert.
Und mitten drin sei eben besagte vierköpfige Familie, sagt Auriane Pirmez. "Wir kennen diese Leute", sagt die 52-Jährige. Ihre Tochter habe in Istanbul studiert und dort den Vater kennengelernt, Mohammed, der aus beruflichen Gründen dort war. Und seinerzeit habe sich da eine Freundschaft entwickelt.
Francken lehnte Asylgesuch ab
Irgendwann wurde die Sorge um die syrischen Freunde unerträglich. Auriane beschloss, zu handeln. Sie will die Familie hier in Belgien bei sich aufnehmen. Und um sicherzustellen, dass sich die Leute nicht in die Hände von Schleppern geben und dann die gefährliche Überfahrt über das Mittelmeer wagen müssen, wählte man den vermeintlich einfachsten Weg: Die Familie beantragte beim belgischen Konsulat ein Visum, verbunden mit einem Asylgesuch.
Ein solcher Antrag auf ein "humanitäres Visum" landet quasi von Amts wegen auf dem Tisch von Asylstaatssekretär Theo Francken. Und der N-VA-Politiker lehnte das Gesuch ab. Humanitäre Visa werden in der Regel in dem Fall ausgestellt, wo es familiäre Bindungen gibt. Rein freundschaftliche Bande reiche nicht aus, begründet Francken seine Entscheidung. Also: Kein Visum für die syrische Familie...
4.000 Euro Zwangsgeld täglich
Auriane Pirmez wollte es aber darauf nicht beruhen lassen und reichte eine Klage ein. Und das zuständige Gericht fällte ein doch bemerkenswertes Urteil: Der Richter verdonnerte den belgischen Staat zu einem Zwangsgeld. Für jeden Tag, an dem die Familie kein Visum bekommt, muss Belgien 4.000 Euro zahlen.
Doch kann selbst dieses Urteil den Asylstaatssekretär nicht umstimmen. Für ihn geht es hier nicht nur um die Einhaltung - oder eben die Nicht-Einhaltung - von irgendwelchen bürokratischen Kriterien, hier geht es ums Prinzip: "Stellen Sie sich mal vor, wie die Folgen dieses Urteils aussehen können", sagte Francken in der VRT. "Wenn wir einlenken, dann kann das Beispiel Schule machen, dann beantragen am Ende 60 Millionen Syrer in einem belgischen Konsulat ein humanitäres Visum."
Francken legt Berufung ein
Das Gericht beruft sich auf Artikel 3 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte: "Jeder hat das Recht auf Leben, Freiheit und Sicherheit der Person". Bislang wird der in der Regel so ausgelegt, dass man niemanden in ein Land zurückschicken kann, in dem er - aus welchem Grund auch immer - Angst um Leib und Leben haben muss. "Kein Land wendet diesen Artikel in beide Richtungen an", sagt Francken vehement. Kein Land interpretiere das so, dass man Menschen, die in ihrer Heimat um ihr Leben bangen müssen, automatisch aufnehmen müsse. Francken legt in jedem Fall Berufung gegen das Urteil ein...
Unverständnis derweil auf der Seite der Kläger. "Vier Mal hat uns das Gericht Recht gegeben", sagt Anwältin Mieke Van Den Broeck. Und da sei es geradezu unfassbar, dass der Asylstaatssekretär da einfach auf Durchzug schalte. Das sei eine flagrante Missachtung der Justiz und damit der Demokratie.
Und auch Auriane Pirmez ist enttäuscht. Dem belgischen Staat entstünden im vorliegenden Fall nicht einmal Kosten, sagt Auriane. Sie würde die Familie in ihrem Haus unterbringen. Das sei groß genug. Dazu muss man wissen, dass Auriane eine waschechte Baronesse ist. In ihrem Pass steht immer noch der Name "Auriane van Zuylen von Nyvelt". Ihr Vater hat Karriere in der Finanzbranche gemacht. Geld ist für Auriane kein Thema.
Und jetzt will die barmherzige Baroness eigentlich nur helfen. "Wir wären auch froh, wenn man uns in schwierigen Momenten beistehen würde", sagt sie. Leider scheitert das bislang an den bürokratischen Hürden.
Roger Pint - Bild: Nicolas Maeterlinck/BELGA