"Alle Mitgliedsstaaten sind bei Ceta an Bord – bis auf Belgien", sagte der slowakische Wirtschaftsminister Peter Ziga, der zurzeit den Vorsitz des zuständigen EU-Rats inne hat. Beim Treffen in Luxemburg war Außenminister Didier Reynders ein gefragter Mann. Ganz Europa will von ihm wissen: Was hat es mit dem wallonischen Veto auf sich?
Seit der Ablehnung durch das wallonische Parlament habe es ein Treffen nach dem anderen gegeben, sagt Reynders. Er stehe in ständigem Kontakt zum wallonischen Ministerpräsidenten Paul Magnette. Das Ziel: Eine Lösung auf dem Verhandlungsweg bis zum EU-Gipfel Ende der Woche.
Nicht nur der Föderalstaat, auch die EU-Kommission redet mit Engelszungen auf die Wallonische Region ein, um doch noch eine Einigung hinzubekommen.
Bis zum Treffen der Staats- und Regierungschefs am Freitag muss das gelingen, sagt EU-Handelskommissarin Cecilia Malmström. Ansonsten ist der für kommende Woche geplante EU-Kanada-Gipfel gestorben. Und Ceta möglicherweise auch.
"Unsere kandadischen Freunde müssen ja langsam wissen, ob sie nun ein Flugticket nach Brüssel buchen sollen oder nicht", meint die Kommissarin ironisch. Die intensiven Gespräche mit der Wallonie würden unterdessen fortgeführt.
Verbraucher verunsichert
Die PS- und CDH-Regierung in Namur ist besorgt über mögliche negative Auswirkungen von Ceta. Im Landwirtschaftsbereich oder für den Öffentlichen Dienst etwa gebe es zu wenig Garantien. Politisch stehen die Wallonen allein auf weiter Flur, haben europaweit kaum Unterstützung. Anders sieht es vor dem Ratsgebäude aus. Dort protestieren Umweltschützer aus ganz Europa und loben das Nein von Paul Magnette und Co.
Dass solche Ängste aufkommen, kann der deutsche Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel – ebenfalls Sozialdemokrat – nachvollziehen. "Früher haben die Leute Freihandelsabkommen gut gefunden, weil die Zölle und damit die Preise gesunken sind. Heute geht es um Standards, weil die meisten Zölle weg sind. Und das verunsichert viele Verbraucher. Die wollen wissen, ob das unsere Lebensmittelstandards gefährdet, was mit dem Arbeitnehmerschutz los ist. Insofern finde ich es erstmal normal, dass die Leute interessiert sind."
Bei Ceta seien diese Sorgen aber unbegründet, erklärt Gabriel. Denn dem umfangreichen Vertragswerk hat die EU-Kommission eine Zusatzerklärung beigefügt. Das Dokument soll Grauzonen beseitigen und Lücken schließen. Es soll also keinen Interpretationsspielraum mehr geben. Außerdem verspricht die Kommission, dass die Zusatznote rechtsverbindlich ist.
Damit dürfte jetzt klar sein, "dass es eben nicht zur Absenkung von Verbraucherschutzstandards kommt. Dass Arbeitnehmerrechte nicht gefährdet sind. Dass ist nicht zu einem Zwang zur Privatisierung kommt. Im Gegenteil. Das alles hat die Kommission in einer rechtsverbindlichen Erklärung noch einmal deutlich gemacht."
Ceta als Messlatte
Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn hofft, dass folgende Punkte seine sozialistischen Kollegen in der Wallonie überzeugen können. "Es sind Garantien drin. Zum Beispiel sind wir weg von diesen privaten Schiedsgerichten. Zweites können die Länder weiter Gesetze erlassen, ohne dass sie dafür verklagt werden können, wenn die Gewinne runtergehen. Wichtig auch: Die öffentlichen Dienste können nicht durch Ceta privatisiert werden."
Kommt Ceta nicht zu Stande, verliert Europa weltweit an Glaubwürdigkeit. Wenn nicht mit den Kanadiern, die in vielen Punkten mit Europäern auf einer Wellenlänge seien, mit wem sollten die EU-Staaten dann Freihandel betreiben?
"Das Wichtige daran ist, dass wir einen Rahmen schaffen, in dem der internationale Freihandel sich bewegen kann. Der muss von der Politik bestimmt werden und nicht von den Interessen der großen internationalen Firmen. Es ist also ein Rahmen auf einem sehr hohen Niveau."
"Ich bin auch überzeugt, dass in Zukunft kein Freihandelsabkommen beschlossen werden kann, was hierunter liegt. Es ist eine Messlatte, die für alle späteren Freihandelsabkommen zählt. Auch mit großen Ländern wie zum Beispiel Amerika", so Asselborn.
Ceta als Vorbild, darauf hofft auch die EU-Kommission. Doch erstmal müssen die Wallonen grünes Licht geben. Spätestens bis Ende Oktober – denn dann findet der EU-Kanada-Gipfel in Brüssel statt. Stimmen nicht alle 28 Mitgliedsländer zu, muss die Vertragsunterzeichnung verschoben werden. Im schlimmsten Fall scheitert Ceta sogar. Trotz langjähriger Verhandlungen.
"Es bleibt ja noch Zeit. Wir werden jetzt mit unseren Freunden aus Belgien sehen, wo wir dran sind. Man darf nie aufgeben in der Politik", sagt Asselborn.
akn/km - Bild: John Thys/AFP
Der vorhergesagte Gewinn für den Bürger durch den Freihandel mit Kanada ist so gering, dass man sich fragt, ob nicht die jahrelangen Verhandlungen durch Spitzenleute schon gehaltsmäßig wesentlich teurer waren. Kanada ist mit 35 Mio Einwohnern gerade mal ein "bisschen" größer als Belgien, und die Wirtschaftsbeziehungen laufen prächtig. Man hat eher das Gefühl, hier soll ein Exempel statuiert werden.