Zum vierten Mal hatten die Gewerkschaften jetzt schon zu einer nationalen Protestkundgebung gegen die Politik der Regierung aufgerufen. Diesmal wollten sie auf ihre Art den zweijährigen Geburtstag der Regierung Michel begehen.
Zum Feiern war allerdings niemandem zumute. "Das ist die asozialste, die ungerechteste, die unehrlichste Regierung seit 30 Jahren", rief FGTB-Chef Rudi De Leeuw den Demonstranten zu.
An der Spitze des Protestzuges marschierten die Mitarbeiter von Caterpillar, die vor drei Wochen erfahren mussten, dass sie ihren Job verlieren. "Wir sind an eurer Seite", erklärte FGTB-Generalsekretär Marc Goblet mit etwas lädierter Stimme. "Das gilt auch für die Leute von Axa, Douwe Egberts oder P&V - für alle, deren Jobs gerade bedroht sind."
"Und eben diese Sozialdramen zeigen, wie wirkungslos die Maßnahmen der Regierung sind", sagte eine Demonstrantin. "Wir sind doch eindeutig auf dem falschen Weg."
Haushaltsloch
Einmal mehr war Arbeitsminister Kris Peeters Zielscheibe des Protestes. Nach ihm ist ein Gesetzesvorschlag benannt, der auf eine "Flexibilisierung" des Arbeitsmarktes abzielt. Grob zusammengefasst: Die 38-Stundewoche soll aufgeweicht werden. "Wie kann man da auf Dauer noch Arbeit und Familie unter einen Hut bringen?", fragte ein Demonstrant.
"Und wofür das Ganze?", fragen sich viele der Kundgebungsteilnehmer. Warum haben wir in den letzten Jahren die Opfer gebracht? Um jetzt festzustellen, dass im Föderalen Haushalt ein Loch klafft - in Höhe von 4,2 Milliarden Euro.
Ein paar Zahlen aus dem Mund des CSC-Vorsitzende Marc Leemans: "Der Indexsprung hat dafür gesorgt, dass die arbeitende Bevölkerung auf 2,7 Milliarden Euro verzichten musste. Rentner und Leistungsempfänger haben 2,3 Milliarden verloren. Die diversen Sparmaßnahmen hatten einen Gegenwert von drei Milliarden."
"Macht unterm Strich acht Milliarden, die Ottonormalverbraucher jährlich beisteuern muss. Die Leute mit höheren Einkommen, die lässt man dagegen in Ruhe", so Leemans.
Zeitungen berichten von neuem Indexsprung
Wo ist das Geld? Und damit verbunden ist gleich die nächste Frage: Wie soll man besagtes Haushaltsloch von 4,2 Milliarden stopfen? Auf dem Weg zur Kundgebung konnten die Demonstranten da in einigen Zeitungen bedrohliche Schlagzeilen lesen. Laut Het Laatste Nieuws und L'Echo ist demnach ein neuer Indexsprung in der Mache.
Normalerweise steht im Herbst nächsten Jahres eine Indexanpassung an. Dann müssten also die Löhne und auch die Sozialleistungen angehoben werden. Der eine oder andere würde das aber anscheinend gerne mindestens aufs nächste Jahr verschieben. Die Regierung könne nur die Entscheidungen verteidigen, die sie treffe, werde aber nicht auf Mutmaßungen reagieren, sagte dazu Premier Michel in der Kammer.
"Mit uns nicht", betonte aber Vizepremier Kris Peeters in der VRT. Man sei sich dessen bewusst, dass die Menschen schon Opfer gebracht hätten. Ein zweiter Indexsprung stehe nicht zur Debatte.
Katalog der Verzweiflung
Die Gewerkschaften nehmen der Regierung das aber nur bedingt ab. Nach seinen Informationen wolle die Regierung einfach einige Produkte oder Dienstleistungen aus dem Indexkorb herausnehmen, sagte CSC-Chef Marc Leemans in der VRT. Das würde also bedeuten, dass diese Produkte nicht mehr in die Berechnung des Index mit einfließen, wie zum Beispiel die Strompreise, die ja nur deswegen gestiegen seien, weil die Regierung die Mehrwertsteuer auf Elektrizität angehoben hat.
Nach Zeitungsinformationen liegt auf dem Tisch der Regierung eine Liste von rund 100 Maßnahmen, die zur Haushaltssanierung beitragen könnten. Das Spektrum reicht da von eher harmlos bis ziemlich explosiv. Het Laatste Nieuws hat der Liste auch schon einen Namen gegeben: Es ist der "Katalog der Verzweiflung".
Je nach dem, was die Regierung aus diesem Katalog umsetzt, könnten die Gewerkschaften ihren abgeblasenen Generalstreik doch wieder aus der Schublade holen.
Roger Pint - Bild: Laurie Dieffembacq/Belga