"Stig Broeckx kämpft immer noch um sein Leben", titelt Gazet van Antwerpen. "Stig Broeckx liegt weiter im Koma", schreibt Het Belang van Limburg auf Seite eins.
Viele Zeitungen bringen heute auf ihrer Titelseite spektakuläre Fotos von dem Unfall, der sich am Wochenende bei der Belgien-Rundfahrt ereignet hat. Ein Begleitmotorrad, das das Fahrerfeld überholen wollte, verlor die Kontrolle und verursachte einen Massensturz. 16 Fahrer kamen zu Fall, fünf von ihnen wurden zum Teil schwer verletzt. Am schlimmsten traf es den 26-jährigen Stig Broeckx, der eine schwere Kopfverletzung davon trug. "Wir arbeiten mit unbezahlten Amateuren, das kann nur schief gehen", zitiert Het Nieuwsblad den Rennleiter.
"Wie wäre es mit einem neuen Radsportgesetz?", fragt sich derweil Het Laatste Nieuws auf Seite eins. Die derzeit geltende Gesetzgebung ist 25 Jahre alt. Der zuständige föderale Arbeitsminister Kris Peeters hat jedenfalls die Arbeitsinspektion damit beauftragt, Reformvorschläge auszuarbeiten. "Eine Risikoanalyse vor jedem Radrennen soll zur Pflicht werden", resümiert Het Laatste Nieuws auf Seite eins.
Minimaldienst
Viele Zeitungen beschäftigen sich aber auch heute wieder mit der anhaltenden Protestwelle. Gestreikt wird ja derzeit in den wallonischen und Brüsseler Haftanstalten sowie bei der nationalen Eisenbahngesellschaft SNCB. Für morgen hat die sozialistische Gewerkschaft CGSP im gesamten öffentlichen Dienst zum Ausstand aufgerufen.
Vor diesem Hintergrund macht die Regierung offensichtlich Druck: "SNCB, Flughäfen, Gefängnisse: Die Koalition wird den Minimaldienst durchsetzen", schreibt La Libre Belgique auf Seite eins. Die entsprechenden Pläne werden offensichtlich jetzt beschleunigt vorangetrieben.
Bruch zwischen flämischen und wallonischen Gewerkschaften
Die Proteste sorgen aber auch mehr und mehr für eine Spaltung innerhalb der Gewerkschaften. "Die wallonischen Gefängniswärter stehen jetzt mutterseelenallein da", notiert etwa Het Nieuwsblad. Denn es ist so: "Die flämischen Gefängniswärter akzeptieren das Angebot von Justizminister Koen Geens", wie Gazet van Antwerpen berichtet. Im Gegensatz dazu wird erwartet, dass sich die frankophonen Kollegen heute für eine Fortsetzung ihres seit mehr als einem Monat andauernden Streiks aussprechen werden.
Die internen Meinungsverschiedenheiten gehen aber offensichtlich weit darüber hinaus. "Der flämische Flügel der CGSP kritisiert die frankophonen Streikenden", notiert etwa La Libre Belgique. Laut De Standaard verweigern die flämischen Gewerkschafter den wallonischen sogar die Solidarität. Die Vorsitzende der flämischen ACOD protestiert nicht gegen die Ankündigung von Arbeitsminister Kris Peeters, der den Teilnehmern an den wilden Streiks bei der Bahn eine Geldbuße auferlegen will. "Geldbußen?, Naja, wenn es sein muss", sagt die ACOD-Chefin Chris Reniers in der Zeitung. Ein anderer Verantwortlicher geht noch einen Schritt weiter: "Die frankophonen Kollegen der CGSP haben ihre Mitglieder dermaßen aufgestachelt, dass sie jetzt die Kontrolle verloren haben".
Der Bruch zwischen den flämischen und wallonischen Gewerkschaftsflügeln ist offensichtlich, meint dazu Het Laatste Nieuws in seinem Leitartikel. Die wallonische FGTB arbeitet nach eigenen Worten am Sturz der Regierung. Die flämischen Roten plädieren dagegen für einen deutlich gemäßigteren Kurs. Das dürfte Bart De Wever sehr gefallen. Auf der einen Seite: das unternehmenfreundliche Flandern, und auf der anderen Seite die revolutionären Wallonen.
Risse in der Fassade
In den letzten Tagen und Wochen haben sich in der Fassade des "Hauses Belgien" mehr und mehr Risse aufgetan, konstatiert L'Avenir. Auf der einen Seite ist es so, dass immer mehr Sektoren Sturm gegen die Regierung laufen. Auf der anderen Seite zeigen sich aber auch Bruchlinien innerhalb der Gewerkschaften. Hier mag der eine oder andere den Beweis dafür sehen, dass die Wallonen tatsächlich unfähig sind, ihr Schicksal in die Hand zu nehmen und nötige Reformen durchzuführen. All diese Risse spielen aber letztlich nur den Nationalisten und Extremisten in die Karten.
La Libre Belgique versucht sich in einer psychologischen Erklärung. Die Wut ist eigentlich doppelt gelagert, meint das Blatt. Auf der einen Seite ist da die Wut auf die Politik der Regierung, Wut auf die Rentenreform, den Indexsprung, den Mangel an Sozialem Dialog. Hier ist der Eindruck entstanden, dass sich die nötigen Reformen darauf beschränken, dass die Regierung den Armen das Geld nimmt, um es den Reichen zu geben. Auf der anderen Seite gibt es aber auch die Wut der Bürger auf die Gewerkschaften, insbesondere auf die FGTB. Die Roten wollen die Regierung stürzen. Sind sie dafür gewählt worden? Nein! Haben sie wirklich gute Gründe, den arbeitswilligen Bürgern das Leben zur Hölle zu machen? Nein! In einer Demokratie liegt die Macht allein beim Volk und gewählt wird im Jahr 2019.
Referendum und Sinnkrise
Apropos: "Ablehnung für Michels Referendum", titelt Le Soir. Der Premierminister hatte am Wochenende angeregt, in wichtigen gesellschaftlichen Fragen die Bürger um ihre Meinung zu bitten. Zweifel kommen da aber schon vom Koalitionspartner N-VA: In einer Demokratie wählt das Volk seine Vertreter, und die treffen dann für fünf Jahre die Entscheidungen, heißt es bei den Nationalisten.
Auch Le Soir glaubt nicht, dass die Einführung des Referendums eine Patentlösung wäre für die derzeitige Sinnkrise der Demokratie. Das Übel steckt viel tiefer. Der zügellose Kapitalismus sorgt für zu viele Kollateralschäden, was nur Ängste schürt. Und die Politik ist nicht dazu in der Lage, dem Kapitalismus soziale Leitplanken zu geben. Die Politik sollte sich mal die Zeit nehmen, in sich zu gehen. Es geht, nicht immer nur um das Hier und Jetzt, etwa bei der aktuellen Konfrontation zwischen der Regierung und den Gewerkschaften. Nein, unser Zivilisationsmodell ist in Gefahr. Retten können wir es nur gemeinsam.
Roger Pint - Bild: David Stockman/BELGA