"22 Uhr und dann standen sie da", so die Schlagzeile von Het Nieuwsblad. "SNCB: Die Rückkehr der Gemeinschaftspolitik", schreibt Le Soir auf Seite eins.
Bei der Nationalen Eisenbahngesellschaft SNCB wird heute gestreikt. Seit Dienstagabend 22 Uhr geht nichts mehr. Zumindest gilt das für Brüssel und die Wallonie. In Flandern sollten hingegen viele Züge doch verkehren. Es ist ja so, dass am Ende einzig die frankophonen Flügel der Gewerkschaften zu dem Streik aufgerufen haben, die flämischen Kollegen zogen die Ankündigung zurück. Für N-VA-Chef Bart De Wever ist das Grund genug, für eine Aufspaltung der Zuglinien zu plädieren: Verbindungen zwischen Flandern und der Wallonie sollten demnach in Brüssel gekappt werden, um die Auswirkungen eines Streiks auf wallonischer Seite für flämische Pendler zu begrenzen. Viele Zeitungen halten das allerdings für unrealistisch. "Die Trennung der Netze, das ist nicht für Morgen", stellt etwa De Morgen fest. Und auch politisch ist die Idee wohl auf einem toten Gleis. "Die N-VA ist isoliert", konstatiert etwa Le Soir.
Die Antwort auf eine Karikatur ist eine Karikatur, meint die Zeitung dazu in ihrem Leitartikel. De Wevers Idee ist schlicht und einfach idiotisch, weil nicht umsetzbar. Es ist bekannt, dass eine Trennung der Netze quasi eine Verdopplung der Züge mit sich bringen würde, was das Brüsseler Schienennetz überfordern würde. Das weiß auch De Wever. Es ging ihm wohl lediglich darum, noch einmal zu beweisen, dass seine Spaltungsthesen nicht jeglicher Grundlage entbehren. Und die frankophonen Gewerkschaften haben ihm da fast schon vorbildlich in die Karten gespielt, meint Le Soir.
Der wohl größte strategische Rohrkrepierer aller Zeiten
Dieser Bahnstreik wird wohl in die Sozialgeschichte des Landes eingehen - und zwar als der wohl größte strategische Rohrkrepierer aller Zeiten, glaubt De Standaard. Die nicht durchdachte Idee mit den fünf Streiktagen ist den Gewerkschaftsverantwortlichen in der Hand explodiert. Die flämischen Gewerkschaftsflügel sind diskreditiert: Mit der Streikwaffe herumzufuchteln, um sie am Ende doch wieder wegzustecken, das ist wohl das Dümmste, was man machen kann. Und je sturer die Frankophonen ihrerseits an ihrer Protestaktion festhalten, desto mehr Wasser auf den Mühlen derer, die für eine Regionalisierung der Bahn plädieren. Dieser selbstzerstörerische Streik ist vielleicht das Ende der gewerkschaftlichen Selbstüberschätzung.
Dieser Streik trifft in erster Linie die Gewerkschaften selbst, meint auch Het Nieuwsblad. CSC und CGSP liefern ihren Gegnern eine Menge Munition. Nicht nur, dass man der SNCB-Direktion jetzt eine perfekte Ausrede auf dem Silbertablett serviert, um den Modernisierungsplan im Alleingang durchzuziehen. Dieser Streik ist auch ein Geschenk für all diejenigen, die den Gewerkschaften die Flügel stutzen wollen.
Neues zu den Terrorzellen von Paris und Verviers
"Bouzid und Kayal, die Brüsseler Strippenzieher der Pariser Anschläge", so derweil die Aufmachergeschichte von La Libre Belgique. Die Ermittler gehen ja davon aus, dass am Abend des 13. November die Attentäter ihre Instruktionen aus Brüssel bekommen haben. Sie hatten jedenfalls Kontakt mit Handys in Brüssel. Und La Libre Belgique glaubt jetzt zu wissen, wer am anderen Ende der Leitung gewesen sein soll. Eben diese beiden Verdächtigen sollen am 17. November auch Geld überwiesen haben an die Terrorzelle von Saint-Denis.
Insbesondere De Standaard und La Libre Belgique räumen übrigens heute mit einer Legende auf: "Salah Abdeslam ist nicht in einem Schrank entkommen". Beide Blätter berufen sich dabei auf die Aussagen eines anderen Verdächtigen, die so im Übrigen von der Polizei auch bestätigt werden.
De Morgen bringt seinerseits neue Erkenntnisse über die Terrorzelle von Verviers, die vor fast genau einem Jahr ausgehoben worden war. Einige Medien haben die Ermittlungsakten einsehen können. Demnach stand die Gruppe wirklich kurz davor, loszuschlagen. "Der Zugriff erfolgte keine Minute zu früh", kann das Blatt nur feststellen. Offenbar planten die Terroristen unter anderem, die Generalkommissarin der Föderalen Polizei, Catherine De Bolle, zu entführen und zu enthaupten.
Nach Silvestervorfällen in Köln: Nicht alle in einen Topf werfen
Viele Zeitungen blicken heute auch nach Deutschland, genauer gesagt nach Köln. Im Mittelpunkt stehen die Ereignisse vor dem örtlichen Hauptbahnhof in der Silvesternacht. Hunderte Männer sollen dabei Frauen systematisch sexuell belästigt, bedrängt und bestohlen haben. "Deutschland unter Schock nach 'Massen-Nötigung'", titelt De Morgen. Das Blatt wundert sich allerdings darüber, dass die Bestürzung in Deutschland erst "mit Verspätung" kam. Dafür aber wohl umso heftiger: "Merkel nach Silvestervorfällen unter Beschuss", schreibt Het Nieuwsblad auf Seite eins. De Standaard ist noch drastischer: "Sexistische Gewalt in der Silvesternacht wird zur Staatsaffäre".
De Morgen warnt in seinem Leitartikel vor Verallgemeinerungen. Die Berichte über die Ereignisse in Köln sind ebenso merkwürdig wie potentiell gefährlich. Auch heute weiß immer noch niemand so ganz genau, was da passiert ist. Doch schon jetzt werden hier wahllos alle in einen Topf geworfen: Migranten, Flüchtlinge, Asylbewerber, Moslems. Als wäre die Sache nicht so schon schlimm genug, sind jetzt gleich schon wieder Leute am Start, die das Ganze ideologisch ausschlachten wollen. Es bedarf einer nüchternen Debatte über die Integration, jedenfalls brauchen wir bestimmt keinen Kulturkampf mit dem Islam.
Obama weint
Viele Blätter zeigen schließlich auf ihren Titelseiten das Foto des weinenden US-Präsidenten Barack Obama: "Der Präsident verliert für einen Moment die Fassung", so die Schlagzeile von Het Laatste Nieuws. Obama hat ja in einer flammenden Rede Maßnahmen zur Begrenzung des Waffenverkaufs in den USA angekündigt.
Het Belang van Limburg schreibt denn auch kurz und knapp: "Obama weint für strengere Waffengesetze".
Roger Pint - Bild: Nicolas Maeterlinck (belga)