"Wilders ohne Machtoption", fasst das GrenzEcho auf Seite eins die Parlamentswahlen in den Niederlanden zusammen. "Wer ist Rob Jetten? Er eroberte die niederländische Flagge von Geert Wilders zurück", schreibt De Standaard zum jungen Chef der linksliberalen D66-Partei. "Rob Jetten, der pro-europäische Zentrumspolitiker von D66, der die extreme Rechte in den Niederlanden schwächt", titelt La Libre Belgique. "In den Niederlanden ist die extreme Rechte noch stärker geworden", hebt aber Le Soir hervor.
Die niederländischen Wähler haben sich bei den dritten Parlamentswahlen in vier Jahren erneut von ihrer sprunghaftesten Seite gezeigt, analysiert De Standaard in seinem Leitartikel. Ein Drittel der 150 Parlamentssitze wechselt nach dem jüngsten Urnengang. Das ist auch eine Folge der extrem zersplitterten, postideologischen und dynamischen Parteienlandschaft in den Niederlanden, die quasi jeden Geschmack bedient. Noch nie war die größte Partei so klein wie nach diesen Wahlen. Die Wähler haben die Parteien, die wohl das Rückgrat der nächsten Regierung bilden werden, auch in etwa gleich stark gemacht. In dem Sinne muss man schon fast von einem salomonischen Urteil sprechen. Rob Jetten von D66 wird zwar vielleicht der nächste Regierungschef des Landes werden, aber er wird nur ein Primus inter pares sein. Aber die neue Konstellation bietet auch Chancen, denn es wird kein Schulhofschläger mehr dabei sein, glaubt De Standaard.
Unbestreitbar ein Lichtblick
Es gibt Wahlabende, die den herrschenden Fatalismus über die Politik Lügen strafen, schreibt La Libre Belgique. Der Wahlabend in den Niederlanden mit dem Erfolg der sozialliberalen Zentrumspartei D66 gehört dazu. In einem Europa, in dem die extreme Rechte mit jeder Wahl weitere Erfolge verbuchen kann, ist das Abschneiden des jungen pro-europäischen Politikers Rob Jetten eine wichtige Erinnerung, dass das Spiel noch nicht gelaufen ist. Der Erfolg von D66 lehrt, dass noch Platz ist für einen anderen politischen Diskurs und dass es Wähler gibt, die dafür empfänglich sind. Und die Schwächung von Geert Wilders und seiner PVV ist wohl auch auf die klare Ansage aller moderaten Parteien vor der Wahl zurückzuführen, nicht mit ihm koalieren zu wollen. Natürlich ist es zu früh, um von einem nachhaltigen Wunder zu sprechen. Aber dieser unerwartete Sieg ist unbestreitbar ein Lichtblick, betont La Libre Belgique.
Noch ist unklar, ob nach dem Auszählen aller Stimmen die PVV von Wilders oder die D66 von Jetten die Nase vorn haben wird, erinnert Het Laatste Nieuws. Aber politisch-strategisch wird das keinen Unterschied machen. Denn niemand ist noch bereit, zusammen mit Wilders zu regieren nach den Sperenzien, die er sich beim letzten Mal geleistet hat. Wilders ist von den Wählern knallhart abgestraft worden, weil er nichts auf die Reihe bekommen hat. Die Niederlande haben sich für den Wetterumschwung entschieden und für die alte politische Mitte, die Sicherheit, nachdem die angeblichen Alternativen nicht lieferten, was sie vor den letzten Wahlen versprochen hatten. Jetzt wird Jetten beweisen müssen, dass er mehr kann als Marketing. Denn falls er und seine Partei versagen, wird das die Rückkehr von Wilders bedeuten, warnt Het Laatste Nieuws.
Die nächste Regierung muss liefern
Die Niederlage von Wilders ist noch nicht der Sieg der politischen Mitte, hebt De Tijd hervor: Denn die Stimmen, die er verloren hat, scheinen vor allem zu anderen rechtsradikalen Alternativen gewandert zu sein. Die große Herausforderung für die politische Mitte bleibt, sich der Sorgen der Bürger über die Migration anzunehmen. Denn das tiefsitzende soziokulturelle Unbehagen in großen Teilen der Bevölkerung ist nicht verschwunden, im Gegenteil. Und das gilt nicht nur für die Niederlande, sondern auch für unser Land. Die traditionellen Parteien haben also keine Wahl als nach Lösungen dafür zu suchen. Dabei geht es nicht darum, der radikalen Rechten hinterherzurennen. Aber wir brauchen einfach eine strenge, aber gerechte Asyl- und Migrationspolitik, eine durchgreifende Integrationspolitik und einen verbindenden gesellschaftlichen Diskurs. Wer glaubt, dass diese Seite umgeblättert worden ist, hat die Wahlergebnisse nicht gründlich studiert, mahnt De Tijd.
Bei den Wahlen in den Niederlanden ging es nicht um Links gegen Rechts, scheint auch Het Nieuwsblad einzuhaken: Dass D66 so stark zulegen konnte, hat maßgeblich damit zu tun, dass die Partei vor den Wahlen deutlich ins Zentrum gerückt ist. Die D66-Wähler wollen vor allem eine wirksame Politik mit weniger Feuerwerk und mehr Ergebnissen. Das wollen die PVV-Wähler zwar eigentlich auch. Aber sie glauben nicht mehr daran, dass "normale" Parteien das noch liefern können. Auch bei uns und in vielen anderen europäischen Ländern stimmen deswegen immer mehr Menschen für Anti-System-Parteien. Die Folge ist, dass das Spielfeld für die Politik immer kleiner wird. In den Niederlanden werden nun vier Parteien nötig sein für die Regierungsbildung. Es droht ein Vivaldi-Szenario und wir wissen ja alle, wie gut das hier funktioniert hat. Aber wenn es den Parteien, die eine wirksame Politik versprochen haben, nicht gelingt, die auch zu liefern, wird das die Anti-System-Kräfte nur noch weiter stärken, ist Het Nieuwsblad überzeugt.
Vorsicht vor dem Flaschengeist
Das Wahlergebnis in den Niederlanden illustriert einmal mehr ein ehernes Gesetz, kommentiert De Morgen: Wer eine Regierung stürzen lässt, bezahlt den Preis dafür, wie Geert Wilders nun selbst feststellen durfte. Und das ist eine Lektion, die auch unsere Politiker nie vergessen sollten. Zum Beispiel Premierminister Bart De Wever, der ja mit seinem Rücktritt gedroht haben soll, falls sich die Regierungskoalition nicht bis zum 6. November auf einen Plan einigt, um zehn Milliarden Euro einzusparen. Ob es wirklich so weit kommen könnte, ist natürlich fraglich, niemand hat aktuell wirklich ein Interesse an einem Sturz der Regierung. Aber die Geschichte lehrt, dass solche Drohungen ein Eigenleben entwickeln können. Und ist der Geist erst mal aus der Flasche, bekommt man ihn nur schwer wieder hinein, befürchtet De Morgen.
Boris Schmidt
