"Kernkabinett will heute über Linie im Gaza-Krieg beraten – Föderalregierung am Rande der Krise", meldet das GrenzEcho. "De Wever macht einer schnellen Anerkennung Palästinas einen Strich durch die Rechnung", schreiben De Standaard und Het Belang van Limburg. "De Wever schließt die Tür für eine schnelle Anerkennung Palästinas", formuliert es Het Nieuwsblad ähnlich. "Heute Beratungen der Regierung: Premier De Wever macht eine schnelle Anerkennung Palästinas höchst unwahrscheinlich", hebt auch De Tijd hervor.
Heute wird Premier De Wever sich endlich mit seinem Kernkabinett zusammensetzen, um über Gaza zu sprechen, kommentiert Gazet van Antwerpen. Aber schon gestern hat er, im Rahmen seines Deutschlandbesuchs, gesagt, dass er eine Anerkennung Palästinas "sinnlos" findet. Das war zweifelsohne Musik in den Ohren des deutschen Bundeskanzlers Friedrich Merz. Der ist einer Anerkennung Palästinas ja auch nicht sonderlich zugeneigt. Aber in jedem Fall dürften De Wevers Aussagen das heutige Treffen nicht leichter machen. Es zeugt auch nicht gerade von Respekt für seine Minister, dass De Wever erst wochenlang geschwiegen hat, um sich dann im Ausland zu äußern. Es bleibt auch nicht nachvollziehbar, warum Belgien so zurückhaltend ist in der Angelegenheit. Eine schnelle Anerkennung Palästinas mag symbolisch sein. Aber das macht sie noch lange nicht "sinnlos". Belgien hat nichts zu verlieren, wenn es sich den europäischen und arabischen Ländern anschließt, die sich mit einer Anerkennung für die Zukunft des palästinensischen Volks engagieren. Im Gegenteil, ist Gazet van Antwerpen überzeugt.
De Wevers Aussagen haben auch symbolischen Wert
Als Premier De Wever die lang erwarteten Worte über die belgische Gaza-Politik sprach, tat er das nicht auf Niederländisch oder Französisch, hält De Standaard fest. Sondern auf Deutsch, während seines Besuchs in Berlin. Das hat durchaus auch symbolischen Wert. Denn De Wever hat deutlich gemacht, wo Belgien, wenn es nach ihm geht, in puncto Anerkennung Palästinas steht. Nämlich ganz hinten im europäischen Team, zusammen eben mit Deutschland. De Wever hat die Anerkennung Palästinas als Staat an Bedingungen gekoppelt, die kurzfristig unerfüllbar sind. Damit schiebt Belgien die Anerkennung auf die sehr lange Bank. De Wever behauptet, eine Anerkennung jetzt wäre "sinnlos" und "kontraproduktiv". Das Gegenteil ist wahr. Und De Wever vertritt in dieser Frage auch eine Haltung, die immer weniger Belgier teilen, unterstreicht De Standaard.
Wird sich Belgien dieses Mal auf die richtige Seite der Geschichte stellen?, fragt Le Soir. Die verzweifelte und unbeschreibliche Lage in Gaza stellt die Arizona-Regierung und die gesamte internationale Gemeinschaft vor ihre Verantwortung. Drohungen, Zurechtweisungen, Forderungen, Demonstrationen – nichts hat den israelischen Premierminister Benjamin Netanjahu und seine Regierung zum Einlenken gebracht. Frankreich, Großbritannien, Australien und andere sind nun bereit, einen Schritt weiterzugehen mit der Anerkennung Palästinas als Staat. Das wollen sie am 9. September tun, bei der Generalversammlung der Vereinten Nationen. Währenddessen stehen die Arizona-Parteien nach Wochen des Zögerns und öffentlicher Kabbeleien mit dem Rücken zur Wand. Angesichts des Ausmaßes des Dramas im Nahen Osten sollten wir von unseren Politikern erwarten, dass sie sich der Herausforderung gewachsen zeigen. Hier geht es nicht nur um ihren Ruf und ihre Glaubwürdigkeit. Sondern auch um ihre Ehre, meint Le Soir.
Wird sich das Kernkabinett heute einigen können?, so L'Avenir. Das bleibt abzuwarten. Fakt ist aber, dass Untätigkeit keine Option mehr ist. Lasst uns hoffen, dass unsere Enkel eines Tages zurückblicken und dann stolz sein können auf das Verhalten Belgiens. Auf ein Land, das den Mut hatte, die richtigen Maßnahmen zu ergreifen für Gerechtigkeit und Frieden. Selbst wenn diese Maßnahmen bescheiden waren. Das ist eine simple Frage des Anstands, findet L'Avenir.
Bayrou begeht Harakiri
La Libre Belgique blickt nach Frankreich: Nur Mut! Auf zur Flucht! So könnte man die jüngste Krise der französischen Politik umschreiben. Premierminister François Bayrou weiß, dass die Chance, grünes Licht für seinen Haushaltsentwurf zu bekommen, quasi Null ist. Deshalb hat er beschlossen Harakiri zu begehen, rituellen Suizid, indem er im Parlament die Vertrauensfrage stellt. Das ist noch nicht mal Pokern, weil der Spieler keinen einzigen Trumpf auszuspielen hat. Lösen wird Bayrou damit natürlich nichts. Er macht die Herausforderungen für seinen Nachfolger nur noch größer. Mehr noch, er beschleunigt die große politisch-wirtschaftliche Krise damit sogar, urteilt La Libre Belgique.
Die große Herausforderung kommt erst noch
Die wirtschaftlichen Probleme betreffen längst nicht mehr nur die Peripherie der Europäischen Union, merkt De Tijd an. Mit Frankreich und Deutschland wüten sie im Herz der Eurozone. Das sollte auch uns eine Lehre sein. Denn im Herbst werden auch wir vor ähnlich schweren Entscheidungen stehen wie die Franzosen und Deutschen. Die belgische Staatsschuld ist ähnlich hoch wie die Frankreichs. Auch wir stehen also vor dem dringenden Auftrag, die Staatsfinanzen zu sanieren und schockbeständiger zu machen. Und wenn sich Deutschland schon Sorgen macht um seine sinkende Wettbewerbsfähigkeit, was soll dann erst Belgien sagen? Deutschland hat ja noch nicht einmal die automatische Lohnindexierung. Im Augenblick mag alle Aufmerksamkeit noch legitimen geopolitischen Diskussionen gelten. Aber bis in ein paar Wochen wird sich diese Aufmerksamkeit auf die sozioökonomischen Dossiers verlagern. Und auf einen der schwierigsten Aufträge für die belgische Politik: einen glaubwürdigen Haushalt für das kommende Jahr aufzustellen, mahnt De Tijd.
Boris Schmidt