"Die Reichensteuer: Wen betrifft sie?", fragt L'Avenir auf Seite eins. "Kapitalgewinnsteuer kommt – mit Freibetrag", meldet das GrenzEcho in seinem Aufmacher. "Anleger suchen nach Wegen, die Kapitalertragssteuer zu umgehen", so die Schlagzeile von Gazet Van Antwerpen.
Das Kernkabinett der Föderalregierung hat sich auf die Einführung einer Kapitalertragssteuer geeinigt. Dazu kommentiert Le Soir: Diese Steuer ist vor allem symbolisch. Belgien war bislang eins der ganz wenigen Länder in Europa, die keine Reichensteuer kannten. Das wird sich jetzt ändern. Bei genauerem Hinsehen allerdings ist die Maßnahme fast nur homöopathisch zu nennen. Denn viel Geld wird dadurch nicht in die Staatskasse gespült, und es kann gut sein, dass die Allerreichsten sich der Steuer entziehen können. Die Entscheidung zeigt, dass die Föderalregierung mit zweierlei Maß misst. Die Beschränkung des Arbeitslosengeldes auf zwei Jahre wird die Schwachen mit Sicherheit stark treffen. Die Starken werden durch die neue Steuer nur ein bisschen, ganz leicht gekitzelt, ärgert sich Le Soir.
Ein typisch belgischer Kompromiss
Auch De Morgen findet: Wirklich hart trifft diese Reform die reichen Bürger nicht. Und es ist sehr gut möglich, dass die allergrößten Vermögen die Steuer komplett umgehen können. Aber der Beschluss von gestern hat immerhin den Verdienst, dass Belgien endlich seine passive Haltung gegenüber hohen Vermögen aufgibt. Erstmals werden auch sie besteuert. Das ist ein kleiner Schritt, aber ein Schritt in die richtige Richtung. Für ein Kompromiss-Land wie Belgien ist das schon viel, meint De Morgen.
De Standaard schreibt ebenfalls: Diese Einigung ist vor allem ein sehr belgischer Kompromiss. Fast alle Parteien der Regierungskoalition können zufrieden sein. Vooruit kann sich auf die Schulter klopfen, weil das Tabu der Kapitalertragssteuer durchbrochen wurde. Die CD&V hat es geschafft, dass Gruppenversicherungen und Rentensparanlagen von der Steuer ausgenommen werden. Die N-VA freut sich, dass der Weg jetzt frei ist für den Kauf von zusätzlichen F-35-Kampfjets. Nur der MR-Vorsitzende Georges-Louis Bouchez hadert damit, dass es jetzt noch eine Steuer mehr gibt, beobachtet De Standaard.
Weg frei für weitere Reformen
L'Echo stellt fest: Die gestrige Entscheidung ist gut für die Regierungskoalition. Sie wird jetzt nicht, wie zu befürchten war, am Thema Kapitalertragssteuer zerbrechen. Vooruit wollte die Steuer, Vooruit hat sie bekommen. Das bedeutet aber auch: Jetzt gibt es eine Steuer mehr, womit das belgische Steuersystem noch umfangreicher geworden ist. In einem nächsten Schritt muss die Regierung jetzt eine grundlegende Steuerreform angehen, die zum Ziel haben muss, alles einfacher, verständlicher und gerechter zu gestalten, fordert L'Echo.
La Libre Belgique freut sich: Der Beschluss zur Kapitalertragssteuer macht den Weg frei für weitere Reformen der Regierung. Die kann jetzt endlich ihre wirkliche Arbeit beginnen, nachdem sie das Damoklesschwert, das über ihr schwebte, beseitigt hat. Jetzt können die wahren Baustellen, die strukturellen Reformen angegangen werden: eine grundlegende Steuerreform, Förderung der Kaufkraft, eine nachhaltige Strategie für den Arbeitsmarkt und die Gestaltung einer attraktiven Unternehmer-Kultur. Auf geht's!, ermutigt La Libre Belgique.
Klimawandel – nicht so wichtig?
Gazet Van Antwerpen notiert: Natürlich ist es richtig, dass alle seit gestern fast nur noch über die Kapitalertragssteuer sprechen. Gleichzeitig erleben wir aber eine außergewöhnlich große Hitze in Belgien. Auch darüber sollte eigentlich gesprochen werden. Und das mit größerer Ernsthaftigkeit, als das in der Regel gemacht wird. Es ist zu bedauern, dass die Klimapolitik immer in den Hintergrund rückt, wenn anscheinend aktuellere Themen sich in den Vordergrund drängen. Um das Land gegen eine militärische Bedrohung durch Russland zu wappnen, sind plötzlich 22 Milliarden Euro da. In zehn Jahren gibt es diese Bedrohung vielleicht gar nicht mehr. Unter dem Klimawandel werden wir dann aber immer noch leiden, mahnt Gazet Van Antwerpen.
Das GrenzEcho beschäftigt sich mit der Verschuldung der Deutschsprachigen Gemeinschaft und führt aus: Die DG steht mit rund 1,35 Milliarden Euro in der Kreide. Ein schwindelerregender Schuldenberg – doch erst die Zinslast macht ihn wirklich gefährlich. Bereits 2026 könnten fast 45 Millionen Euro jährlich allein zur Zinstilgung fällig werden. Wo gestern noch Spielraum für politisches Handeln war, ist heute Belastung. Der öffentliche Aufschrei bleibt bislang aus. Warum eigentlich? Vielleicht, weil die Einschnitte noch nicht spürbar sind. Vielleicht aber auch, weil sich über Jahre die Feststellung festgesetzt hat, dass es irgendwie immer weitergehen soll. Was aber, wenn das Sparen nicht mehr bequem ist, sondern schmerzt? Wenn nicht mehr dort gekürzt wird, wo es am wenigsten wehtut, sondern dort, wo es an die Substanz geht?, fragt das GrenzEcho.
Kay Wagner