"Erklärung von Antwerpen: 73 Unternehmenschefs bitten darum, die europäische Industrie zu retten", schreibt Gazet van Antwerpen auf ihrer Titelseite. "Ein neuer Vertrag zwischen Industrie und den Europäern", notiert L'Echo auf Seite eins.
Ein Treffen zwischen europäischen Industriebossen und hochrangigen EU-Vertretern gestern in Antwerpen ist zwar kein großes Thema auf den Titelseiten, wird aber von mehreren Zeitungen in ihren Leitartikeln aufgegriffen.
Het Belang van Limburg berichtet: Wie in den guten alten Zeiten war Antwerpen gestern wieder die Wirtschaftsmetropole von Westeuropa. Im Rahmen der belgischen EU-Ratspräsidentschaft versammelten sich gestern rund 70 internationale Topmanager zu einem Industriegipfeltreffen auf dem Gelände des Chemieriesens BASF. Mit ihrer Erklärung von Antwerpen für einen europäischen Industriedeal bitten sie Premierminister Alexander De Croo und die EU-Kommissionsvorsitzende Ursula von der Leyen darum, der europäischen Industrie eine Zukunft zu geben. Nach dem Green Deal brauche Europa unbedingt einen Industriedeal. Das ist völlig gerechtfertigt. Mehr denn je droht der Kontinent, seine Industrie zu verlieren, warnt Het Belang van Limburg.
Industrie als Trumpf
De Tijd bemerkt: Allmählich scheint es den europäischen Entscheidungsträgern zu dämmern, dass sie sich endlich auch mal um die Industrie kümmern müssen. Dass sie sich gestern mit den Industrievertretern getroffen haben, ist ein erster Schritt. Diese Industrievertreter haben in der Antwerpener Erklärung die Dinge formuliert, die ihrer Meinung nach in einem europäischen Industriedeal stehen sollen. Darin stellen sie die Klimaziele nicht in Frage. Sie fordern Rechtssicherheit, schnellere Genehmigungsprozesse und weniger Bürokratie. Europa täte gut daran, diese Forderungen umzusetzen. Europa sollte seine Industrie wieder als Trumpf sehen, fordert De Tijd.
Auch L'Echo bemerkt: Ein neuer Pakt zwischen Industrie und den Europäern ist dann sinnvoll, wenn er sich einbettet in die globale Zukunftsvision von Europa. Ein Industriedeal sollte deshalb nicht um jeden Preis an allen Industriezweigen festhalten, sondern vor allem die fördern, die in die Zukunft weisen. Europa sollte wieder ein Standort werden, an dem Industrieunternehmen aufblühen können. Eine ambitionierte Aufgabe für die EU-Entscheider, weiß L'Echo.
Das Wohl der Bürger?
Le Soir zeigt sich verwirrt durch das politische Hickhack um die neuen Staatsanleihen und erinnert: Vor nicht einmal sechs Monaten war alles ganz klar. Da ging es um die Bürger. Da sollte durch die Ausgabe von Staatsanleihen mit einer guten Rendite und abgesenkter Quellensteuer gleichsam Rache an den Banken genommen werden, weil sie ihre Zinsen auf Spareinlagen einfach nicht anheben wollten. Jetzt weiß man nicht mehr, worum es geht. Um das Wohl der Bürger? Um politische Profilierung? Es wäre schön, darauf eine Antwort zu bekommen, betont Le Soir.
Het Nieuwsblad berichtet: Innenministerin Annelies Verlinden macht jetzt ernst mit ihren Plänen. Sie hat alles dafür getan, dass Raser im Straßenverkehr künftig auch zur Kasse gebeten werden. Denn zum einen sollen bald alle Blitzer, die es im Land gibt, tatsächlich immer funktionieren. Zum anderen gibt es jetzt genügend Mitarbeiter, um die Bußgelder tatsächlich einzufordern. Die Ungerechtigkeit, die es bis heute gibt, weil nämlich etwa die Hälfte der Bußgelder ohne Konsequenzen gar nicht bezahlt werden, ist damit vorbei. Zum Glück! Jetzt sollte es noch darum gehen, die Strafe für zu schnelles Fahren wirksamer zu gestalten. Man könnte über Führerscheinentzug nachdenken, oder auch die Höhe des Bußgeldes am Einkommen des Verkehrssünders ausrichten, so wie das schon in Skandinavien gemacht wird, überlegt Het Nieuwsblad.
Schmutzige Wäsche
La Libre Belgique meint zu den Streitigkeiten, die es an der Spitze der Partei DéFI gibt: Was für ein Geschenk an die MR und Les Engagés. Kurz vor den Wahlen trägt DéFI einen internen Machtkampf aus und droht sich selbst zu zerfleischen. Den Streit ausgelöst hat der ehemalige Vorsitzende Olivier Maingain. Ohne nachvollziehbaren Grund ist er dem aktuellen Vorsitzenden, Pascal De Smedt, in den Rücken gefallen und wäscht öffentlich seine schmutzige Wäsche. Es geht um Einfluss in der Partei. Maingain schafft es einfach nicht loszulassen. Zum großen Schaden seiner Partei, kritisiert La Libre Belgique.
L'Avenir zieht ein Vergleich zwischen den Schicksalen des Kremls-Kritikers Alexej Nawalny und des Wikileaks-Gründers Julian Assange und stellt fest: Sowohl Nawalny als auch Assange sind Opfer ganz unterschiedlicher politischer Systeme, die aber jeweils gnadenlos gegen Personen vorgehen, die sie stören und durch ihr Handeln herausfordern. Aus diesem Blickwinkel scheinen Diktatur und Demokratie plötzlich gar nicht mehr unterschiedlich zu sein. Oder sollte das etwa ein unpassender Vergleich der beiden Fälle sein?, fragt sich L'Avenir.
Kay Wagner