"Die EU einigt sich auf eine Reform der Asylregeln", titelt nüchtern das GrenzEcho. "Europa schließt ein historisches, aber zugleich heftig kritisiertes Abkommen über Migration", so die Schlagzeile von L'Echo. "Ein 'historisches' Abkommen, an dem sich die Geister scheiden", schreibt auch Le Soir auf Seite eins.
Nach jahrelangen Verhandlungen haben sich die EU-Institutionen auf eine Reform der gemeinsamen Asyl- und Migrationspolitik geeinigt. Vertreter der EU-Staaten und des Parlaments konnten sich gestern auf einen Kompromiss verständigen. Wichtigste Neuerung: An den EU-Außengrenzen sollen beschleunigte Asylverfahren stattfinden. Auf diese Weise will man dafür sorgen, dass Migranten, die keine Chance auf Asyl haben, gar nicht mehr in die EU gelangen.
"Abgewiesene Asylbewerber können schneller weggeschickt werden. Die Frage ist nur: Wohin?", so bringt aber De Tijd das wichtigste Problem auf den Punkt. Zweite wichtige Neuerung: Die Flüchtlinge sollen nach einem festgelegten Schlüssel auf die Mitgliedstaaten verteilt werden. Länder, die nicht mitmachen, die müssen bezahlen.
"Historischer" Migrationspakt ohne Erfolgsgarantie
Man muss immer auf der Hut sein, wenn das Wort "historisch" fällt, dämpft Het Laatste Nieuws in seinem Leitartikel die Erwartungen. Aber, damit wir uns richtig verstehen, meint das Blatt: Dass sich eine Mehrheit der EU-Staaten auf eine Reform der Migrationspolitik einigen konnte, das ist mit Sicherheit eine gute Sache. Beschleunigt wurde der Prozess zweifelsohne durch den krachenden Wahlsieg der rechtsextremen PVV in den Niederlanden. Überall in Europa sind Rechtsextremisten auf den Vormarsch. Die Botschaft lautet also: "Liebe Wähler, wir haben eure Sorgen und Ängste gehört". Die Frage aller Fragen lautet aber: Ist das neue Abkommen überhaupt in die Praxis umsetzbar? Ob der Migrationspakt wirklich "historisch" ist, das wird sich erst noch zeigen müssen.
Zum Jubeln ist es noch viel zu früh, ist auch Gazet van Antwerpen überzeugt. Nach wie vor wird viel davon abhängen, inwieweit die einzelnen Mitgliedstaaten das Spiel mitspielen wollen. Wer keine Flüchtlinge aufnehmen will, der muss bezahlen. Die Gefahr ist also nicht klein, dass Länder wie Griechenland oder Italien am Ende zwar viel Geld bekommen, aber auf einem Heer von Migranten sitzen bleiben.
Het Nieuwsblad sieht das genauso: Man kann sich an den fünf Fingern abzählen, dass insbesondere osteuropäische Länder noch lieber bezahlen als Flüchtlinge aufzunehmen. Es steht also zu befürchten, dass sich in ein paar Jahren zwar viel Geld im europäischen Topf befindet, wobei sich weiterhin nur eine Handvoll Staaten um die Aufnahme der Menschen bemühen muss. Dieser Pakt bietet letztlich also immer noch keine Garantien für mehr Einmütigkeit und Solidarität innerhalb der EU, und damit auch keine Garantie für einen Erfolg der neuen Politik.
Ob nun unmenschlich oder naiv, es geht um Kontrolle
Und damit sind auch die erhofften Auswirkungen auf die gelebte Wirklichkeit bis auf Weiteres bloße Theorie, glaubt Het Belang van Limburg. Die föderale Asylstaatssekretärin Nicole de Moor geht etwa davon aus, dass nach dem Inkrafttreten des neuen Migrationspaktes jährlich 20.000 Asylbewerber weniger in Belgien anklopfen werden. Erstmal ist das alles aber nur ein frommer Wunsch. Gleiches gilt für die angestrebte, beschleunigte Abschiebepolitik. Das hat noch nie funktioniert. Denn das Problem ist und bleibt, dass viele Drittstaaten nicht mal ihre Landsleute zurücknehmen, geschweige denn Transitmigranten. Flüchtlinge an den Außengrenzen einzusperren hingegen, das wird wohl funktionieren. Menschenrechtsorganisationen sind darüber zu Recht besorgt.
Ob dieser Pakt nun zu unmenschlich oder zu naiv ist, das ist aber nicht die Frage, findet De Tijd. Hier geht es vielmehr allein darum, erstmal wieder die Kontrolle zurückzugewinnen. Denn es war doch letztlich der Eindruck, dass die Migration völlig aus dem Ruder gelaufen ist, der dazu geführt hat, dass die demokratische Akzeptanz weggebrochen ist. Was die EU-Staaten jetzt vorhaben, das ist denn auch der erste logische Schritt: Zuallererst muss man die Flüchtlingspolitik wieder unter Kontrolle bekommen. Erst dann können Politiker nüchtern und besonnen ihre Wähler mit der Frage konfrontieren, inwieweit die Tore an den Grenzen geöffnet werden können im Namen der Solidarität und der Menschlichkeit.
"Festung Europa" – eine teure und schmerzhafte Illusion?
L'Echo sieht das nuancierter. Eine solche "Festung Europa", ist das wirklich das, was wir wollen? Eine EU, die an ihren Außengrenzen sogar Kindern einsperren will? Klar: Die Verhandlungsführer haben wohl den heißen Atem der Rechtsextremisten im Nacken gespürt. Und das spätestens nach dem Sieg von Geert Wilders in den Niederlanden. Die Tatsache, dass das alternde Europa, das unter Arbeitskräftemangel leidet, sich gerade abschotten will, das ist aber letztlich widersinnig, totaler Nonsens. Viel nötiger hätten wir ein Migrationsmodell, das den wirtschaftlichen Notwendigkeiten angepasst wäre.
Das mag stimmen, aber letztlich ging es wohl nur um das Signal, meint nachdenklich De Morgen. Ziel war allein die Begrenzung der Flüchtlingsströme. Und man mag es bedauern, aber in fast allen EU-Staaten wächst die Zahl derer, die damit einverstanden sind. Insofern ist die jetzt gewählte Herangehensweise eigentlich demokratisch legitimiert. Ob das funktionieren wird, das steht auf einem anderen Blatt. Denn letztlich ist keine Mauer hoch genug. Zu glauben, dass eine Politik der Abschreckung die Lösung bringt, das könnte sich als eine teure und schmerzhafte Illusion erweisen.
Roger Pint