"Mehrere Verletzte nach einer Schießerei an der Porte de Namur", schreibt Le Soir auf Seite eins. Die Brüsseler Zeitung ist die einzige, die den Vorfall auf ihre Titelseite gesetzt hat. Gegen 19:30 Uhr waren in dem belebten Geschäftsviertel Schüsse gefallen. Vier Menschen wurden verletzt, einer von ihnen schwer. Im Moment geht die Polizei offensichtlich nicht von einem terroristischen Hintergrund aus, sondern von einer Abrechnung im Bandenmilieu.
"Ab 2024 keine russischen Diamanten mehr in den G7-Ländern", titelt derweil De Morgen. "Der Boykott russischer Diamanten wird Antwerpen zu einer Neupositionierung zwingen", so die Schlagzeile von De Standaard. Die G7, also die sieben größten Industrienationen der Welt, haben sich auf ein Einfuhrverbot für russische Edelsteine geeinigt. Für das Antwerpener Diamantenviertel wird das zu einer Herausforderung, denn die Scheldestadt ist nach wie vor eine wichtige Drehscheibe für den internationalen Handel mit Diamanten.
Schmutziger Wahlkampf mit Muskelspielchen
Viele Leitartikler beschäftigen sich derweil mit dem beginnenden Wahlkampf. "Die Kampagne startet sehr polarisierend", konstatiert L'Avenir schon auf seiner Titelseite.
La Dernière Heure hat denselben Eindruck: "Ja, das wird ein schmutziger Wahlkampf", meint das Blatt in seinem Kommentar. Einige Parteien scheinen sich vor allem von ihren Gegnern abgrenzen zu wollen. Sie sagen weniger, wofür sie stehen, sondern wesentlich deutlicher, wogegen sie sich positionieren. Und da kennt man offensichtlich weder Freund noch Feind. Zum Beispiel haben insbesondere die MR und Défi zuallererst auf Ecolo eingeprügelt, wobei beide Parteien auf unterschiedlichen Ebenen mit den frankophonen Grünen doch eigentlich in der Mehrheit sitzen. Vor allem die MR scheint den Wahlkampf auf eine einfache Formel reduzieren zu wollen: Wir, die Guten, gegen den Rest der Welt. Es geht also offensichtlich nicht mehr um Inhalte, sondern nur noch darum, den politischen Gegner zu disqualifizieren.
De Morgen macht eine ähnliche Analyse. In diesen Zeiten des Vorwahlkampfs sehen wir vor allem Muskelspielchen. Die Themen, die eigentlich zentral stehen müssten, die kommen nicht vor. Stattdessen redet insbesondere die N-VA wieder über eine neue Staatsreform. Dabei weiß jeder, dass wir uns diesen Luxus nicht leisten können: Die fortschreitende Vergreisung der Bevölkerung mit ihren immer spürbareren budgetären Auswirkungen und auch die Haushaltslage insgesamt, das sind die wirklichen Herausforderungen für die nächste Regierung. In den kommenden Jahren wird allein die Haushaltsdisziplin im Vordergrund stehen. Und es wäre schön, wenn die Parteien den Bürgern klar und deutlich sagen würden, welche Schwerpunkte sie da setzen wollen.
Verbindliche Referenden als zweischneidiges Schwert
Und die Parteien werden vor allem mehr auf die Bürger hören müssen, ist Gazet van Antwerpen überzeugt. Mehr noch: Laut einer neuen Umfrage sind zwei Drittel der Flamen für die Einführung von verbindlichen Referenden, bei denen sich also die Menschen in regelmäßigen Abständen über wichtige Entscheidungen aussprechen könnten. Das allerdings ist ein zweischneidiges Schwert. Was wäre etwa, wenn sich eine Mehrheit für einen Austritt aus der Europäischen Union entscheiden würde? Nur zur Erinnerung: Eine Mehrheit der Briten hält den Brexit inzwischen für einen Fehler. Hinzu kommt: Wir leben in einem komplexen Land. Die Volksbefragung über die Zukunft von König Leopold III. hat gezeigt, wie gefährlich es sein kann, wen sich Flamen und Frankophone mehrheitlich für diametral entgegengesetzte Positionen entscheiden. Es gibt also kein Patenrezept. Nicht auf die Bürger zu hören, das ist eine Sache. Aber sie zu nachdrücklich um ihre Meinung zu bitten, um diese dann doch zu ignorieren, das wäre noch schlimmer.
Klimapolitik: Es bedarf "sozialer Korrekturen"
De Standaard beschäftigt sich in seinem Leitartikel seinerseits mit den Herausforderungen in der Klimapolitik. Im Moment kann man nur feststellen, dass viele Klimaschutzmaßnahmen in erster Linie auf die Mittelschicht zugeschnitten sind. Zuschüsse mit Blick auf Elektrofahrzeuge, Photovoltaikanlagen oder Wärmepumpen kommen in erster Linie den finanziell besser gestellten Haushalten zugute. Mehr noch: Einschränkungen wie etwa Umweltzonen in Städten oder Renovierungsverpflichtungen treffen ärmere Familien nochmal besonders stark. Das Problem ist nach wie vor, dass die oft versprochenen "sozialen Korrekturen" in der Praxis nicht wirklich existieren beziehungsweise nicht ausreichend Wirkung zeigen. All das führt dazu, dass die so dringend nötige Klimawende weiter Sand im Getriebe hat. Schuld sind auch die verschiedenen Regierungen des Landes, die manchmal mehr Energie darauf verwenden, die anderen zu kritisieren, statt wirklich zusammen an einer langfristigen Vision zu arbeiten.
Kakophonie um den Marsch gegen Antisemitismus
Le Soir schließlich blickt mit gemischten Gefühlen auf den für Sonntag geplanten Marsch gegen Antisemitismus. So löblich und nötig diese Initiative ist, so bedauerlich ist doch zugleich die allgemeine Kakophonie in diesem Zusammenhang. Das beginnt beim eigentlichen Initiator der Kundgebung. Dieser Joël Rubinfeld, der Chef der belgischen Liga gegen Antisemitismus, hatte nichts Besseres zu tun, als gestern seine Rechnungen mit der PS zu begleichen; ein würdeloses Hauen und Stechen. Insgesamt erweist es sich als sehr kompliziert, die verschiedenen Strömungen und Interessen unter einen Hut zu bringen. Und man kann nur bedauern, dass dieser Marsch nicht unter einem besseren Stern steht. Dem Kampf gegen Antisemitismus ist mit alledem jedenfalls nicht gedient.
Roger Pint