"Richter verpflichtet Belgien zu strengerer Klimapolitik", meldet Het Nieuwsblad auf Seite eins. "Richter: unsere Klimapolitik muss strikter werden", titelt De Morgen. "Belgien muss 55 Prozent weniger ausstoßen – zweites Land nach den Niederlanden, in dem ein Richter Klimaziel auferlegt", fasst Gazet van Antwerpen zusammen. "Noch nie dagewesenes Klima-Urteil sorgt umgehend für noch mehr Zwietracht", so De Standaard.
Angesichts der düsteren Realität des Klimawandels und auf Grundlage der europäischen Menschenrechtskonvention und des Zivilgesetzbuches hatte der Brüsseler Appellationshof gar keine andere Wahl, als Staat und Regierungen auf die Finger zu klopfen, kommentiert De Standaard. Diese bahnbrechende Entscheidung gibt den Behörden gerade mal sieben Jahre Zeit, um das vorgegebene Klimaziel zu erreichen, sonst drohen Strafzahlungen. Die Politik wird das zur Kenntnis nehmen müssen, egal wie sehr jetzt über "aktivistische" Richter gewettert wird. Aber dennoch reden wir hier über eine enorm schwierige Herausforderung: Klimaziele auferlegen ist eine Sache, die Umsetzung aber erfordert viel Tatkraft und wird weitreichende soziale Implikationen haben. In Zeiten, in denen die Rechtsextremen im Aufwind sind, ist das eine delikate demokratische Übung, warnt De Standaard.
Der Kampf wird an den Wahlurnen gewonnen werden
Alle Vorwürfe, dass sich die Richter von Ideologien haben steuern lassen, ändern nicht das Geringste daran, dass hier ein unabhängiges Gericht ein Urteil gesprochen hat, unterstreicht Het Nieuwsblad. Und dass die Entscheidung eine absolute und enorme Blamage ist für die verschiedenen Regierungen des Landes. Oder es doch zumindest sein sollte. Regierungen, die Wirtschaft, große Betriebe, den Autoverkehr und die Landwirtschaft über das Recht auf Leben gestellt haben, wettert Het Nieuwsblad.
Das große Verdienst des Urteils ist, dass die Richter die Sache auf den Punkt gebracht haben, meint De Tijd. Sie haben die Behörden auf ihre internationalen Verpflichtungen hingewiesen und an ihre Aufgabe erinnert, Bürger vor Schaden durch Fahrlässigkeit zu bewahren. Das große Manko ist aber, dass der Prozess die komplexe politische Realität des Landes auf ein Dossier reduziert hat, egal, wie Recht das Gericht auch haben mag. Der Föderalstaat bezahlt auch schon Strafen, weil er seinen Verpflichtungen nicht nachkommt, etwa bei der Unterbringung von Asylbewerbern oder wegen der Lärmbelastung um den Brüsseler Flughafen.
Das zeigt, dass auch richterlicher Druck nicht immer eine Lösung erzwingen kann in schwierigen Dossiers. Manchmal ist die Wirklichkeit hartnäckig und manchmal will auch der Wähler nicht mitspielen. Auch deshalb wird das kommende Wahljahr entscheidend sein für den Kampf gegen den Klimawandel. Pragmatismus wird uns den Weg aus der Krise weisen müssen, wir müssen auf technologischen Fortschritt setzen, auf deutliche Erklärungen und Belege, welche Klimaregel was bringt, was die Auswirkungen auf die Kaufkraft sein werden und wie soziale Korrekturen aussehen werden. Der Kampf gegen den Klimawandel wird letztendlich an den Wahlurnen gewonnen werden, nicht vor Gericht, ist De Tijd überzeugt.
Das flämische Problem
Das Urteil wird das globale Problem der Erderwärmung nicht lösen, schreibt L'Avenir. Aber wenn wir nur auf die belgische Ebene blicken, dann wird sich die Verurteilung des Föderalstaats, der Region Brüssel-Hauptstadt und Flanderns durchaus auf die Politik auswirken. Vor allem, weil man sich wieder an den Verhandlungstisch wird setzen müssen, um den nationalen Klimaplan neu zu diskutieren. Trotz endloser Gespräche weigert sich Flandern ja nach wie vor, seinen Teil zur Reduzierung des Ausstoßes von Treibhausgasen beizutragen, 40 Prozent weniger ist für die Region das absolute Maximum, hebt L'Avenir hervor.
Die flämische Umweltministerin Zuhal Demir erwägt, wegen des Urteils vor den Kassationshof zu ziehen, ergänzt De Morgen. Die Botschaft aus Flandern lautet: Bitte nicht zu ehrgeizig! Dabei würde mehr Ehrgeiz beim Klima Flandern konkrete und spürbare Vorteile bringen. Beispielsweise mehr lokale Jobs und weniger Abhängigkeit von ausländischen Energiequellen. Hoffen wir, dass die Politik das Urteil nicht ignoriert, so wie es bei der Unterbringung der Asylbewerber der Fall ist, so De Morgen.
Gerichte müssen sich keine Gedanken machen über Rückhalt in der Bevölkerung, scheint Gazet van Antwerpen einzuhaken, Politiker hingegen schon. Gerichte müssen sich auch nicht mit den konkreten und potenziell schmerzlichen Maßnahmen befassen. Und Gerichte müssen auch nicht berücksichtigen, was in China und Indien passiert, wo zur Energiegewinnung ja noch massiv Steinkohle genutzt wird. Ja, es ist richtig, dass wir nicht länger zaudern dürfen, aber wer soll die Geschwindigkeit vorgeben?, fragt Gazet van Antwerpen.
Die gefährliche Mär vom "grünen Wachstum"
Das GrenzEcho blickt auf die UN-Klimakonferenz in Dubai: Der Kampf gegen die Klimakrise beruht auf dem Konzept des "grünen Wachstums". Das basiert auf der Annahme, dass Technologie und Effizienzsteigerung zu einer Entkopplung von Wirtschaftswachstum und Umweltbelastung führen und wird oftmals als Schlüssel zur Lösung der Klimakrise gepriesen. Dabei ist es nicht mehr als eine gefährliche Illusion, die Fortschritte reichen einfach nicht aus, um den Ausstoß von Treibhausgasen ausreichend zu reduzieren. Ein weiteres Phänomen ist die Abwälzung der Verantwortung auf technologische Lösungen, die in der Regel weder nachhaltig noch ausreichend erweiterbar und erst recht nicht vorhanden sind. Das Resultat ist eine gefährliche Verzögerungstaktik zugunsten einiger und zulasten vieler, die die Menschheit wertvolle Zeit kostet im Kampf gegen den Klimawandel, befürchtet das GrenzEcho.
Boris Schmidt