"Totaler Krieg zwischen Hamas und Israel", titelt L'Avenir. "Fassungslosigkeit und Entsetzen in Israel" schreibt La Libre Belgique auf Seite eins. "Hunderte Geiseln als menschliche Schutzschilde", so die Schlagzeile von Het Laatste Nieuws.
Der überraschende Angriff der palästinensischen Hamas am Samstagmorgen auf Israel ist auch zentrales Thema für die Leitartikler. Alle verurteilen scharf die Ermordung und Entführung hunderter Zivilisten durch die Hamas. Einige Zeitungen nuancieren allerdings in ihren Analysen.
La Libre Belgique ist deutlich: Nichts rechtfertigt diese Welle der Gewalt bei der unbewaffnete Zivilisten, Kinder, Frauen und alte Menschen ermordet, entführt und als Trophäen vorgeführt werden. Die Geiselnahme von so vielen unschuldigen Menschen lässt es einem kalt den Rücken herunterlaufen. Durch seinen grenzenlosen Hass hat Hamas am Samstag einen Flächenbrand entzündet, von dem niemand weiß, wann und wie er endet. Die Kriegsverbrechen der palästinensischen Organisation rufen Erinnerungen wach an das Entsetzen, das die Welt am 11. September gespürt hat, oder auch beim Angriff auf Pearl Harbour, schaudert La Libre Belgique.
Großer Schaden für Palästinenser
La Dernière Heure meint: Natürlich ist es richtig, dass das ein komplexer Konflikt ist; dass Opfer auf beiden Seiten zu beklagen sind; dass Israel auch Gräueltaten begangen hat; dass die Blockade des Gazastreifens durchaus Fragen aufwirft. Im aktuellen Fall ist es allerdings ganz klar, wer der Angreifer ist: eine islamistische Terrorgruppe, die Zivilisten bombardiert und deren massakrierte Körper als Trophäen feiert. Der 11. September für Israel? Das ist zu befürchten. Ebenso wie eine Ausweitung des Konflikts auf die Region, sorgt sich La Dernière Heure.
Le Soir weiß: Im Nahen Osten wird es ein vor und nach dem 7. Oktober 2023 geben. Die Anliegen der Palästinenser haben an diesem Wochenende großen Schaden erlitten. Die blutigen Angriffe gegen Zivilisten – also das, was man Terrorismus nennt – müssen auf Schärfste verurteilt werden. Unabhängig davon, dass es natürlich auch grundsätzlich Argumente für die Anliegen der Palästinenser gibt. Denn die Leiden des palästinensischen Volkes scheinen unendlich. Auch der Westen hat in den vergangenen Jahren nicht wirklich etwas getan, um den Nahostkonflikt zu lösen. Aber nochmal: Nichts rechtfertigt die Abscheulichkeiten, die am Samstag am Rande des Gazastreifens verübt worden sind, urteilt Le Soir.
Die Weigerung Israels
De Standaard sieht das anders und schreibt, nachdem auch er die Gewalt verurteilt hat: Es ist bequem, alle Schuld bei Hamas zu sehen. Doch die Gewalt hat ihren Grund. Der Keim des Konflikts liegt in der Weigerung Israels, den seit 70 Jahren dauernden Konflikt zu lösen, findet De Standaard.
Bei Het Laatste Nieuws zielt die Argumentation in eine ähnliche Richtung. Dort ist zu lesen: Für den israelischen Premierminister Benjamin Netanjahu kommt der Konflikt nicht ungelegen. Der Konflikt stärkt Netanjahu in seinem Streit mit der Opposition. Sein ganzes politisches Treiben der letzten Jahre hat ja sowieso nur das Ziel, ihm einen Prozess zu ersparen. Solange er als Premier politische Immunität besitzt, kann er so einen Prozess vermeiden. Deshalb klammert er sich an seine Koalition mit rechten Hardlinern, die immer wieder Öl aufs Feuer im Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern gießen. Vielleicht wäre es nicht zu der Eskalation von Samstag gekommen, wenn Netanjahu ganz unbehelligt seinen Ruhestand in der Hängematte genießen könnte, überlegt Het Laatste Nieuws.
Achtung vor der Falle
De Morgen fürchtet: Die Chance ist groß, dass sich der Konflikt zu einem langen und blutigen Krieg ausweitet. Um die israelischen Geiseln zu befreien, wird das israelische Militär sehr wahrscheinlich mit Bodentruppen in den Gazastreifen eindringen müssen. Und damit in die Falle laufen, die Hamas Israel stellt. Alle Toten auf palästinensischer Seite werden dann wieder gegen Israel genutzt. Die Empörung in der arabischen Welt soll dadurch entfacht werden. Arabische Staaten, die Friedensabkommen mit Israel haben oder solche verhandeln, könnten sich von Israel wieder distanzieren. Allen voran Saudi-Arabien. Das ist der große Plan des Irans, der hinter Hamas steht, analysiert De Morgen.
Gazet van Antwerpen veröffentlicht ein Interview mit dem Parteichef des Vlaams Belang, Tom Van Grieken und Filip Dewinter, eine der zentralen Figuren der flämischen Rechtsextremen. Im Kommentar schreibt die Zeitung: An dieses Bild des Vlaams Belang müssen wir uns noch gewöhnen. Weder Van Grieken noch Dewinter polemisierten gegen Moslems, Wallonen oder sonst jemanden. Der Diskurs klang gemäßigt. Ganz anders als Dewinter noch in den 90er Jahren geredet hatte. Ein ganz komischer Wandel ist das. Der Vlaams Belang als handzahme Partei, so ist die aktuelle Marschroute, beobachtet Gazet van Antwerpen.
Kay Wagner