"Kirche screent sich selbst auf der Suche nach Pädophilen", titelt Het Laatste Nieuws. "20 neue Opfer kontaktieren Meldepunkt nach VRT-Dokuserie", heißt es im Aufmacher von Gazet van Antwerpen. "Ein Untersuchungsausschuss will sich um die Finanzierung der Kirche kümmern", meldet De Standaard auf Seite eins.
Die neue Diskussion um sexuellen Missbrauch in der katholischen Kirche beschäftigt gerade die flämischen Zeitungen auch in ihren Leitartikeln. In den vergangenen Wochen hatte die VRT im Fernsehen eine Dokuserie ausgestrahlt, in der Opfer von sexuellem Missbrauch in der Kirche über ihr Schicksal sprachen. Dadurch wurde noch einmal klar, dass die Aufarbeitung bislang unzureichend ist.
Het Laatste Nieuws kommentiert: Der Antwerpener Bischof Johan Bonny kristallisiert sich in der aktuellen Diskussion als Speerspitze der Reformer. In den Interviews, die er gibt, bezieht er klar Stellung. Er legt den Finger in die Wunde, kritisiert den Vatikan und verspricht, aktiv auf Missbrauchsopfer zuzugehen. Das hört sich alles gut an. Doch letztlich muss Bonny an seinen Taten gemessen werden. Der Bischof steht vor einer historischen Wahl: Wird er zum Katalysator für eine wirkliche Veränderung in der Kirche oder nur eine vorübergehende Stimme in einer endlosen Debatte?, fragt Het Laatste Nieuws.
"Operation Kelch" ist gefloppt
De Standaard stellt fest: Im Grunde stehen wir vor einem Dilemma. Denn die VRT-Dokuserie hat ja nichts Neues ans Licht gebracht. Sie hat nur noch einmal vor Augen geführt, wie schlimm und schmerzhaft das alles für die Opfer war und ist. Die Aufarbeitung ist bislang gescheitert. Der Vatikan will nicht durchgreifen. Bei uns hat die strafrechtliche Aufarbeitung unter dem Namen "Operation Kelch" gefloppt. Was auch damit zu tun hat, dass viele Straftaten verjährt und Täter verstorben sind. Wenn jetzt ein Untersuchungsausschuss im Parlament sich um die Sache kümmern will, ist das zwar legitim. Aber man sollte sich gut überlegen, was genau untersucht werden soll und wie, rät De Standaard.
De Morgen sieht das ähnlich: Dass die Politik die Sache jetzt so schnell aufgegriffen hat und in einem Untersuchungsausschuss behandeln möchte, ist verständlich. Frei nach dem Motto: Was das Volk beschäftigt, beschäftigt uns auch. Doch muss man tatsächlich fragen, was genau der Ausschuss untersuchen soll. Die Zeit kann er ja nicht zurückdrehen. Was verjährt ist, lohnt sich nicht mehr aufzugreifen. Aber der Ausschuss könnte nützlich sein, um die Strukturen des Missbrauchs in der katholischen Kirche aufzudecken. Zu zeigen, wie so etwas möglich war. Daraus könnte man dann auch für die Zukunft lernen. Nämlich um solche Strukturen zu verhindern, überlegt De Morgen.
Deutschland als Vorbild
De Tijd schlägt vor: Ein gutes Thema für den Untersuchungsausschuss wäre, sich mit der Finanzierung der Kirche zu beschäftigen. Aktuell unterstützt nämlich jeder Steuerzahler die Kirche. Denn ein Teil des Steuergeldes wird immer an die Kirche überwiesen. Somit wird jeder quasi auch zum Täter, wenn man so will. Vorbild könnte Deutschland sein. Hier kann jeder Steuerzahler angeben, an welche Religionsgemeinschaft er Steuergelder zahlen will oder ob er es lassen möchte. Das gibt Menschen die Möglichkeit, sich von Einrichtungen zu distanzieren, mit denen sie nicht einverstanden sind. Die Trennung von Staat und Kirche würde in Belgien dadurch deutlicher, urteilt De Tijd.
La Dernière Heure beschäftigt sich mit der Flüchtlingspolitik: Staatssekretärin Nicole de Moor hat wieder einmal eine neue Idee. Jeder Asylantragssteller, der Geld verdient, soll mit einem Teil seines Lohnes seine Unterkunft bezahlen. So etwas hat noch nicht einmal Theo Francken gewagt, vorzuschlagen. Der Hauptgrund für den Vorschlag wird sein, dass de Moor Flüchtlinge abschrecken will, nach Belgien zu kommen. Sie will sich dadurch profilieren. Vor den Wahlen durchaus verständlich. Aber der Vorschlag droht, bei Linken und Zentrumshumanisten auf Empörung zu stoßen, analysiert La Dernière Heure.
Sie können doch noch miteinander...
L'Avenir berichtet zur Windenergie in der Wallonie: Der zuständige Minister Willy Borsus hat jetzt sein Veto eingelegt gegen den Bau eines Windparks in der Gemeinde Houffalize. Das Projekt dort wurde von der Gemeinde selbst betrieben. Heißt das jetzt, dass Windkraft einen schlechten Stand in der Wallonie hat? Grundsätzlich ist das nicht so. Aber es gibt weiter Befürworter und Gegner. Dass Borsus jetzt ein Projekt ablehnt, das eine ganze Gemeinde will, ist ein schlechtes Zeichen an all diejenigen, die gerne auf Windenergie setzen wollen, urteilt L'Avenir.
Le Soir meldet: In geheimen Verhandlungen haben sich die Parteichefs von PS, Ecolo und MR darauf geeinigt, die politischen und administrativen Strukturen zwischen Französischer Gemeinschaft und den Regionen Wallonie und Brüssel zu vereinfachen. Das ist eine sehr gute Neuigkeit. Denn dadurch könnten einige Absurditäten wegfallen, die zum Beispiel dazu führen, dass es ganze neun Gesundheitsminister im Land gibt. Außerdem zeigt es, dass die drei Parteichefs es schaffen, konstruktiv zusammenzuarbeiten, wo sie sich doch sonst so oft in der Öffentlichkeit zerfleischen, freut sich Le Soir.
Kay Wagner