"Demonstration in Brüssel gegen Sexualkundeunterricht“, so die Schlagzeile von De Morgen. "Grimmige Proteste gegen Sexualkundeunterricht“, schreibt auch De Standaard auf Seite eins. Beide Zeitungen bringen auch Zitate von Teilnehmerinnen: "Es ist Sache der Eltern, ihre Kinder aufzuklären“, sagt eine Mutter. "Das ist ein Teufelsdekret, das sich Perverse ausgedacht haben“, meint sogar eine andere.
La Libre Belgique stellt sich die Frage, inwieweit die Proteste gerechtfertigt sind oder nicht: "Bedroht der Sexualkundeunterricht wirklich die elterliche Erziehung?“, so die Schlagzeile auf Seite eins.
Beängstigende Proteste
Die frankophonen Politiker können unmöglich auf die Drohungen der Aktivisten eingehen und Zugeständnisse machen, ist De Standaard überzeugt. In den Schulen alles totzuschweigen, was mit Sexualität oder Beziehungen zu tun hat, das ist keine Option. Allein die Tatsache, dass die Französische Gemeinschaft mehr Wert legen will auf Sexualerziehung, und das im Gegensatz zu den flämischen Kollegen, allein das ist schon ein positives Signal. Die heftigen Proteste gegen diese Pläne sind unverständlich, aber vor allem beängstigend.
Denn die Argumente, die die Demonstranten ins Feld führen, sind zum größten Teil basiert auf Desinformation. Die Verschwörungserzählungen, die in der Coronakrise sichtbar wurden, sind nun auch wieder nicht sehr weit weg. Auch deswegen darf man die Proteste jetzt auch nicht einfach ignorieren und die Teilnehmer pauschal als wirre Spinner abstempeln. Auch wenn die Erfahrung lehrt, dass man Verschwörungsgläubige schwerlich mit Gegenargumenten überzeugen kann, ist Dialog doch der einzige Weg.
Mehr Geld für Kitas
Auch über der flämischen Regierung ziehen dunkle Wolken auf. "Wenn es kein zusätzliches Geld für die Kinderbetreuung gibt, dann wird es auch keine 'Septembererklärung' geben", titeln De Standaard, Het Nieuwsblad und Gazet van Antwerpen. Die Schlagzeile steht in Anführungszeichen, denn es handelt sich um eine Drohung der CD&V. In der sogenannten 'Septembererklärung' skizziert der flämische Ministerpräsident zu Beginn des neuen politischen Jahres die wichtigsten Projekte der nächsten Monate. Und die flämischen Christdemokraten wollen die Rede also erst dann absegnen, wenn mehr Geld für Kitas vorgesehen wird.
Na das kann ja heiter werden, zischt Het Nieuwsblad in seinem Leitartikel. Die CD&V legt es also mal wieder auf eine Zerreißprobe an. Bereits im vergangenen Jahr hatte die Partei dafür gesorgt, dass die 'Septembererklärung' verschoben werden musste, wobei die CD&V damals eher als Verliererin aus dem Kräftemessen hervorgegangen war. Diesmal liegen die Karten aber günstiger: Die Wahlen rücken näher und die Kinderbetreuung ist für viele Bürger ein Thema. Schade nur, dass die Problematik erst jetzt im Wahlkampf auf den Tisch kommt. In die Kinderbetreuung zu investieren sollte eigentlich immer Priorität haben.
Das Klima ist im Augenblick aber nicht gerade günstig, befürchtet Gazet van Antwerpen. Ein Ultimatum einer Regierungspartei, und das vor dem Hintergrund der anstehenden Wahlen: Das verheißt nichts Gutes, da besteht die Gefahr, dass da am Ende halber Kram produziert wird. Dabei sind sich doch alle einig, dass die Kinderbetreuung ein sehr wichtiges gesellschaftliches Thema ist. Deswegen der Appell: Der N-VA-Finanzminister Matthias Diependaele sollte nicht weiter behaupten, es sei kein Geld mehr da, die CD&V sollte ihr Ultimatum zurückziehen. Die flämische Regierung muss jetzt schlichtweg beweisen, dass sie dieses Problem wirklich lösen will.
Assisenprozess hat Nutzen bewiesen
De Morgen zieht in seinem Leitartikel eine Bilanz des Brüsseler Terrorprozesses. Das Mammutverfahren ist ja am vergangenen Freitag mit der Festlegung des Strafmaßes für die Verurteilten zu Ende gegangen. Das war also der letzte Akt im wohl wichtigsten Prozess in der belgischen Justizgeschichte, meint das Blatt. Und wie sehr hatten doch Unglückspropheten im Vorfeld vor den Risiken und Fallstricken gewarnt. Der gemeinsame Nenner der Kritiker war die Überzeugung, dass ein Schwurgericht nicht der geeignete Rahmen für ein solches Verfahren sei. Der Brüsseler Terrorprozess scheint jetzt die Schwarzseher eines Besseren belehrt zu haben.
Vor allem hat sich hier noch einmal die starke symbolische Kraft eines Assisenprozesses gezeigt. Die Brüsseler Anschläge waren nämlich letztlich ein Angriff auf die Gesellschaft in ihrer Gesamtheit. Und über die Geschworenen haben wir nun als Gesellschaft eine kraftvolle Antwort formulieren können. So schwerfällig, gar altertümlich Schwurgerichtsprozesse auch sein mögen, als Ausnahme für die Aufarbeitung außergewöhnlicher Verbrechen bleiben sie nützlich.
Het Belang van Limburg blickt schließlich geschockt nach Libyen, wo die Zahl der Todesopfer nach der verheerenden Überschwemmungskatastrophe inzwischen auf über 11.000 gestiegen ist. Die Tragödie von Derna ist der traurige Höhepunkt eines geradezu verheerenden Sommers mit extremen Temperaturen, beispiellosen Regenfällen, riesigen Wald- und Buschbränden und außergewöhnlich heftigen Stürmen. Die übergroße Mehrzahl der Wissenschaftler ist sich einig, dass diese extremen Wetterphänomene vor allem die Folge des menschengemachten Klimawandels sind. Die Uhr tickt. Und doch bleiben unsere Politiker überwiegend still.
Natürlich kann Belgien allein die Klimakrise nicht lösen, auch die EU kann das nicht. Das ist aber kein Grund, untätig zu bleiben. Inzwischen befassen sich auch die Gerichte mit der Problematik. Umweltgruppen versuchen, die Politik über Gerichtsurteile zum Handeln zu zwingen. Ob das eine gute Idee ist, das sei aber dahingestellt. Wenn wir keine Mehrheit im Parlament erreichen und es am Ende alleine Gerichtsurteile gibt, dann muss man sich die Frage stellen, ob die Medizin dann nicht viel schlimmer ist als die Krankheit.
Roger Pint