"Alexander De Croo glaubt noch an die Vivaldi-Koalition", titelt Le Soir. "Man muss an das Land glauben, um es verbessern zu können", sagt der Premierminister auf Seite eins von Het Nieuwsblad. "Ist De Croo der Roberto Martinez der Politik?", fragt sich derweil De Standaard.
Zum Auftakt des neuen politischen Jahres bringen viele Zeitungen heute Interviews mit Premierminister Alexander De Croo. Der gibt sich – grob zusammengefasst – kämpferisch. Er betont jedenfalls, dass er noch nicht in den Wahlkampfmodus gehen wolle und dass seine Regierung die noch verbleibenden zehn Monaten bis zu den Wahlen noch nutzen wolle. Vor diesem Hintergrund ist auch der Roberto Martinez-Vergleich von De Standaard zu verstehen: Der frühere Fußballnationaltrainer beteuerte auch immer wieder, dass die Stimmung bei den Roten Teufeln gut war, wobei das Gegenteil stimmte und auch die Ergebnisse ausblieben.
Im Kopf bei den nächsten Wahlen
Auch Le Soir bescheinigt dem föderalen Regierungschef in seinem Leitartikel "Tagträumerei". Alexander De Croo plädiert mit Verve für Zusammenarbeit, hebt alle naselang die Erfolge und Errungenschaften des Landes hervor, ist immer noch felsenfest davon überzeugt, dass seine Regierung das Land in gewisser Weise einen kann. Diese lyrischen Gedanken machen irgendwie Spaß und man hat fast schon Lust, zusammen mit De Croo auf dieser Wolke zu schweben. Schon gleich beim ersten Ministerrat nach der Sommerpause scheint De Croo aber schon wieder von der Wirklichkeit eingeholt worden zu sein, da wurde schon wieder gestritten, im vorliegenden Fall über die Asylpolitik. Und auch was die mittelfristigen Aussichten angeht, so fragt man sich, wie diese Equipe das Land einen will. Ganz oben auf der Prioritätenliste steht nämlich die Haushaltskontrolle, und damit ist eigentlich beim Wähler kein Blumentopf zu gewinnen. Trotz der von De Croo verbreiteten Aufbruchstimmung wird man den Eindruck nicht los, dass die meisten Parteien im Kopf nur noch bei den nächsten Wahlen sind.
Staatsbons - Beispielloser Erfolg
Wobei die Föderalregierung und insbesondere Finanzminister Vincent Van Peteghem gerade im Moment doch nochmal ein Erfolgserlebnis hat. Der Staatsbon ist ja regelrecht durch die Decke gegangen. Der Ertrag beläuft sich auf über 22 Milliarden Euro. Ein geradezu phänomenaler Erfolg, mit dem wohl niemand gerechnet hätte.
"Das gab es in der Tat noch nie", stellt Het Belang van Limburg in seinem Leitartikel fest. 22 Milliarden! Das bedeutet mit anderen Worten, dass sieben Prozent der belgischen Spareinlagen innerhalb einer Woche verschoben wurden. Kein Wunder, dass insbesondere kleinere Banken spürbar nervös werden. Vor allem Finanzminister Vincent Van Peteghem dürfte das als einen willkommenen Rückenwind empfinden. Nach seiner gescheiterten Steuerreform kann er sich jetzt zum Verteidiger der kleinen Sparer aufschwingen. Doch ist dieser Staatsbon eigentlich erst dann ein Erfolg, wenn die Banken auch wirklich ihre Sparzinsen erhöhen. Im Moment scheint sich da aber noch herzlich wenig zu bewegen. Vor allem die Großbanken scheinen sich eingegraben zu haben.
Wie reagieren jetzt die Banken?
Dabei ist der gigantische Erfolg dieser Staatsanleihe doch ein ohrenbetäubendes Signal an die Adresse der Geldhäuser, glaubt Gazet van Antwerpen. Denn, mal ehrlich: Laut Umfragen hat der Belgier besonders wenig Vertrauen in die Politik und in den Staat insgesamt. Und doch haben Hunderttausende Bürger ihr Spargeld in die Hände eben dieses Staats gegeben. Was also nur bedeuten kann, dass ihr Vertrauen in die Banken auf einem absoluten Tiefpunkt steht. Die Wut über die Geldhäuser ist groß: Sie weigern sich beharrlich, ihre Sparzinsen anzuheben, parallel dazu schrauben sie ihren Service zurück und schließen reihenweise Zweigstellen. Und in ihrer Halbjahresbilanz verzeichnen die Banken jetzt wieder astronomische Gewinne. Da kann man nur hoffen, dass der Erfolg des Staatsbons ein Weckruf ist. Denn der Graben zwischen den Banken und ihren Kunden ist gefährlich tief geworden.
De Standaard scheint sich an den epischen Zweikampf zwischen David und Goliath erinnert zu fühlen. Dieser Staatsbon hat inzwischen den Anstrich eines kollektiven Siegs der "kleinen Sparer" über die gierigen Banken. Diesen Spargeld-Exodus erklärte sich der Chef der Belfius-Bank mit der womöglich falschen Kommunikationspolitik der Banken. Die müssten ihre wirtschaftliche Rolle nur schlichtweg besser erklären. Sagte er, während er zugleich ein Rekordgewinn seiner Bank vermelden konnte. Diese Episode ist fast schon ein Musterbeispiel dafür, warum die Kunden so wütend sind. Finanzminister Vincent Van Peteghem hat jedenfalls gedroht, dass er – Zitat – "alle zur Verfügung stehenden Mittel" einsetzen werde, um die Banken zu einer Erhöhung der Sparzinsen zu nötigen. Für die Sparer ist das vielversprechend.
Bart De Wever - "Wokismus" als ideologische Bedrohung
La Libre Belgique bringt heute ihrerseits ein großes Interview mit dem NVA-Präsidenten Bart De Wever. Der träumt offensichtlich mehr denn je von der faktischen Spaltung des Landes. "Eines Tages werden die Sozialisten dazu imstande sein, ein Abkommen zu schließen mit Blick auf den Konföderalismus", zitiert La Libre Belgique den Vorsitzenden der flämischen Nationalisten auf Seite eins. In dem Interview steht aber vor allem De Wevers jüngstes Buch im Mittelpunkt, in dem er mit der so genannten Woke-Bewegung abrechnet. Mit diesem Kampfbegriff ist ja eine im Grunde nicht organisierte Gruppe von Menschen gemeint, die vor allem auf soziale Missstände oder Diskriminierung aufmerksam macht. De Wever sieht im "Wokismus" derweil eine ideologische Bedrohung.
Da hat der N-VA-Chef ja wieder ein neues Feindbild gefunden, frotzelt La Dernière Heure in ihrem Kommentar. Neben den Wallonen ist nun also auch die Woke-Bewegung ein rotes Tuch für die Flamen. Der flämische Nationalistenchef zielt damit im Grunde vor allem auf die grünen Parteien, die er am liebsten nicht mehr sehen will. Frage ist, ob diese Strategie aufgehen wird. Der rechtsextreme Vlaams Belang führt nämlich einen vergleichbaren Kreuzzug gegen den Wokismus, dies allerdings ohne Filter. Die offensichtliche Woke-Obsession von Bart De Wever könnte auch eine Nebelkerze sein, um von den Misserfolgen seiner Partei abzulenken. Ob die N-VA mit alledem ihre Position als größte Partei des Landes zurückerobern kann, ist jedenfalls fraglich.
Roger Pint