"Schuldig!“, titeln Het Laatste Nieuws und Het Nieuwsbald. "Schuldig des terroristischen Mordes an 35 Menschen“, präzisieren beide Blätter. "Sechs Angeklagte wegen terroristischen Mordes für schuldig befunden“, schreiben La Libre Belgique und das GrenzEcho auf Seite eins. "Abdeslam und fünf weitere Angeklagte schuldig wegen terroristischen Mordes“, so die Schlagzeile von La Dernière Heure und Gazet van Antwerpen.
Im Brüsseler Terrorprozess ist am Abend das Urteil ergangen. Bemerkenswert ist, dass auch Salah Abdeslam des terroristischen Mordes in 35 Fällen für schuldig befunden wurde. Seine Anwälte hatten nämlich geltend gemacht, dass ihr Mandant zum Zeitpunkt der Anschläge im Gefängnis saß. Bemerkenswert ist auch, dass es trotz der Tragweite des verhandelten Verbrechens Freisprüche gab. "Ein sehr motiviertes und sehr nuanciertes Urteil“, lobt jedenfalls L’Avenir. "Ein historisches Urteil“, schreibt sogar Le Soir in fetten Buchstaben auf Seite eins.
Es war letztlich doch noch ein Prozess von außerordentlicher Qualität, ist Le Soir in seinem Leitartikel überzeugt. Klar gab es da Anlaufschwierigkeiten, man denke nur an die Polemik um die Anklagebank, genauer gesagt die Glasboxen. Aber am Ende hat das Gericht in diesem siebenmonatigen Verfahren dann doch Enormes geleistet. Mit Akribie und größter Sorgfalt haben die Magistrate, Geschworenen, Ermittler und Anwälte die Anschläge vom 22. März noch einmal öffentlich aufgearbeitet. Ein großes Lob gebührt dabei der Vorsitzenden Richterin Laurence Massart. Und auch den Geschworenen, die während sieben Monaten mitunter in Abgründe schauen mussten. Die Pariser Terrorprozesse waren vorbildlich; das Brüsseler Verfahren steht dem aber in nichts nach.
Der beschrittene Weg der Aufarbeitung war richtig
Und was hatte der Terrorprozess auch schon im Vorfeld doch für Diskussionen gesorgt, konstatiert auch L’Echo. Es war etwa offensichtlich, dass die Föderale Staatsanwaltschaft viel lieber ein Strafgericht mit der Aufarbeitung der Anschläge befasst hätte. Und dann noch die diversen Startschwierigkeiten, die den Zeitplan gleich auf den Kopf stellten. Erst recht dann wollte niemand mehr ausschließen, dass der Prozess am Ende vielleicht sogar platzen könnte. Entsprechend groß ist jetzt die Erleichterung; "Und sie dreht ja doch, die Justiz“, möchte man sagen. Mehr noch: Eben weil in einem Schwurgerichtsverfahren die Aufarbeitung mündlich erfolgt, konnte man am Ende auch den Erwartungen der Opfer und Angehörigen gerecht werden.
La Libre Belgique sieht das genau so. Der Einsatz war hoch. Dem Terrorismus, der das Land destabilisieren und seine Bürger einschüchtern wollte, musste man eine angemessene Reaktion entgegenstellen. Und was wäre da besser geeignet als eine Geschworenenjury? Hier waren es nicht ausschließlich professionelle Richter, sondern es war letztlich die ganze Gesellschaft, die über diejenigen gerichtet hat, die unser Gesellschaftsmodell und unsere Werte attackiert haben. Und auch für die Opfer und Angehörigen war ein Schwurgericht der richtige Ort: Sie konnten ihren Leidensweg quasi "von Mensch zu Mensch“ schildern. Der belgische Weg der Aufarbeitung war der richtige.
De Tijd ist davon nicht ganz überzeugt. In Ländern wie Frankreich überlässt man derartig komplexe Prozesse ausschließlich Berufsrichtern. Und letztlich darf man sich die Frage stellen, ob das viel am Ergebnis ändert. Wird der Rechtsstaat wirklich besser repräsentiert durch eine zufällig zusammengewürfelte Geschworenenjury? Oder hat nicht ein Kollegium von Berufsrichtern doch mehr Legitimität? Fakt ist jedenfalls, dass Schwurgerichtsverfahren sehr aufwendig und sehr teuer sind. Und die Frage, ob sie wirklich einen Mehrwert darstellen, die muss erlaubt sein.
Genau daran besteht für die meisten Leitartikler aber kein Zweifel. Natürlich entspricht das Urteil im Brüsseler Terrorprozess ziemlich genau dem, was man im Vorfeld erwartet hatte. Und doch war es gut und sogar nötig, dass dieser Prozess stattgefunden hat, ist etwa Het Nieuwsblad überzeugt. Und der größte Mehrwert war eben, dass eine Jury bestehend aus "gewöhnlichen Menschen“ hier geurteilt hat, und nicht ausschließlich Berufsrichter, die nur Prozeduren und Paragraphen vor Augen haben. Die Stärke dieses Verfahrens ist in erster Linie die Tatsache, dass hier letztlich die Gesellschaft ein Urteil gesprochen hat. Das ist an sich schon eine Form von Läuterung für die Opfer.
Vorbildliches Engagement
Und die zwölf Geschworenen und auch die 15 Ersatzmitglieder haben im Verlauf des gesamten Verfahrens auch ein geradezu vorbildliches Engagement an den Tag gelegt, lobt auch L’Avenir. Sie haben bewiesen, dass sie nicht zu Dekorationszwecken da waren. Dass sie 18 Tage für ihre Beratungen über die Schuldfrage benötigt haben, allein das zeigt, wie sorgfältig die Jury gearbeitet hat. Respekt vor diesen insgesamt 27 Frauen und Männern, die die Gesellschaft vorbildlich repräsentiert haben.
"Ein Lob auf die Jury“, meint auch Gazet van Antwerpen. Natürlich kann man sich am Ende eines solchen Verfahrens Fragen stellen: Musste der Prozess wirklich so lange dauern? Musste man einer Jury von gewöhnlichen Menschen das antun? Musste das Ganze wirklich so viel Geld kosten? Die Antwort auf all diese Fragen lautet heute "Ja“. Auf den kompletten Irrsinn und die Barbarei der Terroristen gibt unsere Gesellschaft eine Antwort der Vernunft, der Solidarität und der Gerechtigkeit. Und dass hier gewöhnliche Bürger, Menschen wie du und ich, am Ende das Urteil fällen, das ist außerordentlich wichtig.
Der Vertreter einer Opfervereinigung brachte es auf den Punkt: "Die Jury repräsentiert unsere Demokratie, und genau die wollten die Terroristen zerstören“. Dieses Urteil kann leider die schmerzlich vermissten Todesopfer nicht zurückbringen, es kann auch nicht die Narben der Verletzten vergessen machen, es kann aber dabei helfen, eine Seite umzublättern, ohne das Buch zu schließen.
Roger Pint