"MR platziert Bombe unter Steuerreform – Nein zu jeglicher Steuererhöhung", so der Aufmacher von Het Laatste Nieuws. "Die MR blockiert die Steuerreform: noch ein Psychodrama", titelt L'Avenir. "MR spielt mal wieder mit harten Bandagen – Steuerreform vor dem 21. Juli ist fraglich", schreibt das GrenzEcho. "Steuerreform: das große Chaos in der Vivaldi", liest man bei Le Soir.
Vor genau zwei Jahren hat Finanzminister Vincent Van Peteghem seine Blaupause für die Steuerreform vorgestellt, erinnert Gazet van Antwerpen in ihrem Leitartikel. Diese Vorlage ist zwar seitdem ziemlich gestutzt worden, aber der Plan war, sich noch in diesem Sommer über den Rest zu einigen. Nachdem der MR-Vorsitzende Georges-Louis Bouchez aus den Verhandlungen ausgestiegen ist, sind die Erfolgsaussichten allerdings stark geschrumpft. Bouchez schlägt nun vor, es im Oktober erneut zu versuchen – aber warum sollte dann klappen, was bisher gescheitert ist? Im Oktober wird es genau zwei Jahre her sein, dass der Finanzminister gesagt hat, dass man den Bürgern doch nicht mehr vermitteln könne, dass alle weiter ihre politischen Spielchen spielten wie in der Vergangenheit. Recht hat er. Das war damals schon nicht zu vermitteln – und ist es jetzt schon gar nicht mehr, wettert Gazet van Antwerpen.
Neuer Tiefpunkt
Eine bescheidene Pensionsreform, ein Deal mit Engie und die Freilassung von Olivier Vandecasteele – eigentlich war die letzte Zeit für Premierminister Alexander De Croo gar nicht so schlecht, schreibt De Standaard. Aber die MR wollte ihm die Kirsche auf der Torte nicht gönnen. Es ist keine Überraschung, dass MR-Präsident Bouchez die Tür zu einer Einigung in puncto Steuerreform zugeschlagen hat. Alle Parteien beschwören, dass sie das gleiche Ziel haben, dass sich Arbeit mehr lohnen müsse. Wie dieses Ziel erreicht werden soll, darüber gehen die Meinungen allerdings weit auseinander: Die linken Parteien träumen von einer Umverteilung, bei der Reiche und Betriebe die Rechnung präsentiert bekommen und die weniger Wohlhabenden profitieren. Finanzminister Van Peteghem denkt eher an eine Vereinfachung des komplizierten Steuersystems. Und die Liberalen setzen auf Steuersenkungen. Weil letzteres aber mit tiefroten Haushaltszahlen nicht geht, wollen sie in den Arbeitsmarkt eingreifen, um die Kosten so wieder hereinzuholen. Allerdings hat die MR mit ihrer Sabotagepolitik jetzt einen neuen Tiefpunkt erreicht. Wenn die Vivaldi-Koalition nicht mehr vorankommt, dann sollte sie besser das Handtuch werfen. Vorgezogene Wahlen bedeuten immerhin, dass die notwendigen Reformen schneller kommen werden. Und vielleicht wird es ohne Bouchez einfacher werden, Deals zu machen, meint De Standaard.
Bouchez: Talent für Drama – und Timing
Wieder einmal ist es Bouchez, der auf föderaler Ebene die gesamte Aufmerksamkeit monopolisiert, stellt Het Belang van Limburg fest. Dass Bouchez keine Lust auf die Steuerreform hat, war nach fünf Wochenenden ergebnisloser Gespräche glasklar. Aber jetzt hat er seine Botschaft eben noch per Pressekommuniqué unterstrichen. Es sei denn natürlich, dass auf seine Forderungen eingegangen wird, mehr Menschen zum Arbeiten zu bringen. Damit nimmt Bouchez vor allem seinen Erzfeind, die PS, ins Visier, die die Arbeitslosen seiner Meinung nach zu stark beschützt. Aber direkt nachdem es so schien, als ob die MR die Regierung in die Sommerpause geschickt hätte, hat Bouchez dann doch wieder Gesprächsbereitschaft signalisiert – wenn auch nur bilateral mit dem Premierminister. Man kann über Bouchez denken, was man will, aber der Mann hat auf jeden Fall Talent für Drama – und Timing, so Het Belang van Limburg.
Kein Liberaler kann dagegen sein, dass sich Arbeiten mehr lohnen muss, kommentiert Het Laatste Nieuws. Aber irgendjemand muss die Zeche auch zahlen. Der Zustand der Staatsfinanzen ist schon schlecht genug, sie noch weiter zu belasten, wäre absolut unverantwortlich. Deshalb muss die Regierung das Geld anderweitig auftreiben. Dafür setzt sie vor allem auf neue Steuern – die vorgeschlagenen Erhöhungen würden alles in allem aber eher gering ausfallen, die Logik niedrigerer Steuern auf Grundprodukte und höherer Steuern auf Luxusprodukte ist zu verteidigen. Steuererhöhungen ärgern die Menschen zwar natürlich immer, ein Drama wäre es dennoch nicht. Aber viele kleine Steuererhöhungen, die man vielleicht nie wieder loswird, im Tausch gegen 40 Euro mehr auf dem Lohnzettel? Was hätte die MR bei so einer zusammengewürfelten Liste von Steuererhöhungen zu gewinnen? Dem Plan für eine Steuerreform fehlt einfach etwas Essenzielles, um arbeitenden Menschen mehr zu geben auf eine Art und Weise, die sich für alle gerecht anfühlt: ein Anreiz, um Menschen, die nicht arbeiten, zum Arbeiten zu bringen, beklagt Het Laatste Nieuws.
Warum nicht länger warten für einen besseren Deal?
Die verschiedenen Parteien haben sich eingegraben und halten verbissen an ihren heiligen Kühen fest, analysiert L'Echo. Ist es unter diesen Bedingungen wirklich gesund, sich so auf eine Einigung in den nächsten Tagen zu versteifen? Setzt man sich damit nicht dem Risiko aus, dass der kreißende Steuer-Berg wieder nur eine Reform-Maus hervorbringt? Diese Gefahr ist nämlich durchaus reell und groß. Selbst wenn der Premier und sein Finanzminister auf der Jagd nach dieser Trophäe sind, könnten sie mit etwas Geduld vielleicht mehr gewinnen. Warum also nicht einige Monate länger warten, wenn dann die Aussicht auf den Abschluss einer besseren Vereinbarung besteht? Natürlich müsste dann jeder zurückstecken – inklusive der MR. Aber dafür wäre eine Steuerreform bis Ende des Jahres ein Prestigegewinn für die ganze Koalition. Eine Koalition, die mit ihren Kräften schon ziemlich am Ende ist, betont L'Echo.
Boris Schmidt