"Einigung über Pensionsreform – System bezahlbar halten: Rentenbonus belohnt längeres Arbeiten", fasst das GrenzEcho auf Seite eins die gestern vorgestellte Rentenreform zusammen. "Die begrenzte Pensionseinigung ist für sich genommen schon ein kleines Wunder – Was bedeutet der Deal für Sie", liest man bei De Standaard. "Pensionsdeal ist nur ein 'Dealchen'", so Het Laatste Nieuws. "Eine Reform, die nur die Mehrheit zufriedenstellt", beklagt L'Avenir. "Die Vivaldi drückt die Vergreisungskosten um gerade mal eine Milliarde", schreibt De Tijd.
Ein Versagen bei der Rentenreform war für die Regierung De Croo keine Option, erinnert Le Soir in seinem Leitartikel, gerade auch vor dem Hintergrund der festgefahrenen Gespräche um die Steuerreform. Hinzu kommt die Drohung der Europäischen Kommission, einen Teil des Geldes aus dem Topf zur wirtschaftlichen Wiederbelebung zurückzuhalten, wenn Belgien seine Vergreisungskosten nicht senkt. Die Regierung musste also eingreifen, unterstreicht Le Soir.
Die Reise ist noch lang
Bis 2070 soll diese Reform die Kosten des Rentensystems um 0,5 Prozent des Bruttoinlandsproduktes verringern, so L'Echo. Wenn man die steigenden Kosten für die Erhöhung der Mindestrente abzieht, dann schrumpft das auf nur noch 0,2 Prozent. Wir reden also eigentlich um eine Nachkomma-Reform. Das soll aber nicht heißen, dass alles an der Reform schlecht wäre: Zumindest geht die Reise jetzt – im Gegensatz zum letzten Sommer – in die richtige finanzielle Richtung. Zweites positives Element: Nach Jahrzehnten wird endlich an der Heiligen Kuh des Angleichungskoeffizienten für Beamtenrenten gerüttelt. Wie bei anderen Reformen der aktuellen Föderalregierung gilt: Die Richtung stimmt zwar, aber die Schritte sind winzig, weil sie niemandem wehtun dürfen. Die Reise ist also noch lang, warnt L'Echo.
Jede Verbesserung ist zu begrüßen, unterstreicht De Tijd. Aber diese Einigung kommt mal wieder zu spät. Jetzt, gerade mal zehn Monate vor dem Ende der Legislatur, bleibt keine Zeit mehr, um weiterzugehen. Dabei sind die Haushaltszahlen doch eindeutig: Die Reform des Rentensystems muss weiter vorangetrieben werden. Wie so viele ihrer Vorgänger wird auch diese Föderalregierung den Stab an ihre Nachfolger weiterreichen, kritisiert De Tijd.
Ceci n'est pas eine Rentenreform
Es besteht kein Zweifel daran, dass die neuen Maßnahmen der Vivaldi-Regierung bei Weitem nicht ausreichen werden, um die Renten langfristig finanziell abzusichern, wettert La Libre Belgique. Wie wir schon so oft geschrieben haben: Der Horizont der Vivaldi reicht nur bis 2024. Trotz der verschiedenen positiven Elemente bleibt festzuhalten: Das hier ist keine Reform des Pensionssystems. Egal, wie symbolisch die neuen Maßnahmen für manche auch sein mögen, sie sind verschwindend klein angesichts der kolossalen Aufgabe, bis 2040 die immer weiter steigenden Vergreisungskosten unter Kontrolle zu bringen. Belgien wird es mit seiner Minimalanstrengung zwar wohl gelingen, die Europäische Kommission im zweiten Anlauf in puncto Rentenreform zufriedenzustellen. Aber das ändert nichts daran, dass all das sehr holprig ist und jegliche ganzheitliche strategische Vision vermissen lässt, findet La Libre Belgique.
Ceci n'est pas eine Rentenreform, giftet auch Het Laatste Nieuws. Die Regierung De Croo hat es nur geschafft, gerade noch rechtzeitig ein Loch im Rentensystem zu füllen, das sie selbst letzten Sommer gegraben hatte. That's it. Die Regierung erhöht die Mindestrenten, hurra! Aber die Einsparungen überlässt sie zum Großteil den nächsten Regierungen. Nein, wir haben von einer so bunten Koalition weder einen Big Bang noch eine Revolution erwartet. Und ja, es stimmt, dass es in diesem Land seit Jahren zwar langsam, aber beständig vorangeht. Wenn auch oft nur wegen des Drucks von der Europäischen Kommission – wie auch dieses Mal wieder. Aber auch kleine Schritte müssen zumindest in die richtige Richtung gemacht werden. In dieser Anpassung unserer Renten braucht man jedenfalls nicht groß nach Logik zu suchen, so das vernichtende Urteil von Het Laatste Nieuws.
Den Boden ebnen für eine groß angelegte Rentenreform
Die heute 20- bis 35-Jährigen sehen ihre finanzielle Zukunft oft mit einem gewissen Zynismus, stellt La Dernière Heure fest. Aber egal, wie beunruhigend die Debatte um die Altersversorgung auch ist, sollte sie doch nie als etwas gesehen werden, auf das man sowieso keinen Einfluss hat. Stattdessen müssen wir das Ganze als eine der großen Herausforderungen unseres Jahrhunderts betrachten. Wir müssen die Gegenwart der heutigen Alten mit der Zukunft der künftigen Alten aussöhnen, müssen ein Gleichgewicht schaffen zwischen den Interessen von Links und von Rechts. Das ist natürlich eine verdammt harte sozioökonomische Nuss, die es zu knacken gilt. Aber sind wir in Belgien nicht an solche Nüsse gewohnt? Deswegen dürfen wir es jetzt auch nicht bei diesem Beginn einer Reform belassen, fordert La Dernière Heure.
Eine hohe Beschäftigungsquote, für Wirtschaftswachstum sorgen und das tatsächliche Rentenalter erhöhen – das sind Maßnahmen, um die Kosten des Rentensystems nicht ausufern zu lassen, so das GrenzEcho. Daran muss auch die neue Föderalregierung arbeiten, wie auch immer sie nach den nächsten Wahlen aussehen mag. Gleichzeitig sollte die Politik den Boden für eine groß angelegte Rentenreform ebnen. Ähnlich wie bei Gesprächen um mögliche Staatsreformen sollte dabei ein breiter Konsens quer über alle Parteigrenzen angestrebt werden. Auf diese Weise könnte ein Konzept entstehen, das dem Rentensystem jahrzehntelange Stabilität verleiht und nicht wieder von anderen Mehrheiten infrage gestellt wird, hofft das GrenzEcho.
Boris Schmidt