"Gnadenfrist für Lahbib – Die Ministerin muss sich Montag erklären", schreibt La Dernière Heure. "Iran-Affäre: Sozialisten und Grüne fordern, dass Lahbib Fehler eingesteht", so das GrenzEcho. "Ohne Entschuldigungen von Lahbib wird die Vivaldi fallen'", liest man auf Seite eins von L'Avenir. "Die Zukunft der Föderalregierung hängt am seidenen Faden", titelt Gazet van Antwerpen. "MR-Vorsitzender Bouchez hält das Schicksal der Regierung De Croo in Händen", präzisiert De Standaard. "Bouchez lässt lieber die Regierung stürzen als Lahbib zu opfern", lautet die Überschrift bei Het Nieuwsblad.
Zu sagen, dass die Verteidigung von Außenministerin Lahbib die Abgeordneten nicht überzeugt hat, wäre ein Euphemismus, stellt La Libre Belgique in ihrem Leitartikel fest. Selbst innerhalb der Mehrheit gehen die heftigen Angriffe auf die MR-Ministerin weiter. Dabei geht es längst nicht mehr um den Inhalt, die Visa für die Vertreter des iranischen Regimes. Alle Parteien sehen jetzt die Chance zu punkten und die Liberalen zu schwächen. Lahbib ist eine politische Schöpfung von Georges-Louis Bouchez, dem Vorsitzenden der frankophonen Liberalen MR. Ihre überraschende Ernennung war ein politischer und medialer Coup, der vielen sauer aufgestoßen ist, selbst in der liberalen Familie. Lahbib schwächen heißt also Hyper-Präsident Bouchez schwächen. Sie zu stürzen hieße, eine Trophäe zu erringen. Es wäre zwar schwer für die MR, den Sturz der Föderalregierung mit einem Festhalten an Lahbib zu rechtfertigen. Aber Vorsicht, die möglichen Folgen eines solchen Rücktritts sind unüberschaubar, sowohl für die Vivaldi-Koalition als auch für die MR, warnt La Libre Belgique.
Ein hochkomplexes Schlachtfeld
Die einen versuchen, einen Gegner innerhalb der eigenen Mannschaft zu schwächen, schreibt Le Soir. Die anderen wollen sich rächen, weil einer ihrer Partei zum Rücktritt gezwungen wurde. Wieder andere hoffen, sich an einem Parteipräsidenten zu rächen, den sie als unerträglich oder illoyal empfinden. Ganz zu schweigen von den Attacken auf eine wenig erfahrene Ministerin, die sich weigert, auch nur den geringsten Fehler einzuräumen. Das Ergebnis: Alle verlieren, von der Außenministerin über den Premierminister und die gesamte Regierung, die weiß Gott Wichtigeres zu tun hätte. Es lenkt selbst die Aufmerksamkeit der Opposition von anderen Baustellen ab. Und dem Image Belgiens im Ausland ist es sicher auch nicht zuträglich, bedauert Le Soir.
MR-Chef Georges-Louis Bouchez will Lahbib nicht aufgeben, weil er sie selbst aufs Spielfeld gesetzt hat und hofft, dass sie ihm viele Stimmen einbringen wird, analysiert Gazet van Antwerpen. Vooruit und die Grünen haben beide schon Minister verloren und haben schon lange die Nase voll von Bouchez, seiner Sturheit und seinem Unfug. Premier De Croo unterstützt den MR-Präsidenten, weil er ihn braucht, um die Regierung davor zu bewahren, in die Knie zu gehen. Wenn die MR aussteigen würde, würde die OpenVLD allein bleiben mit einem großen linken Block. Wir reden also wirklich von einer Krise, so die Schlussfolgerung von Gazet van Antwerpen.
Lahbib könnte die Lunte jederzeit aus dem Pulverfass ziehen
Was von vornherein eine schwierige Übung war, hat sich vollständig zu einem parteipolitischen Kräftemessen ausgewachsen, stellt auch De Tijd fest. Der Iran-Streit war der Funken, der nun droht, aus dem schwelenden Heidebrand brüchigen Vertrauens einen Großbrand werden zu lassen. Die schlimmste Folge ist die Arbeit, die dadurch liegenbleibt, die Dossiers für die nun nicht mehr genug Energie, Zeit oder Vertrauen da ist. An erster Stelle ist da natürlich die Steuerreform zu nennen. Dabei wäre es einfach, die brennende Lunte aus dem Pulverfass zu ziehen. Die Einzige, die das kann, ist Lahbib. Dazu muss sie aber zumindest klare Erklärungen liefern, meint De Tijd.
Ein ausgestreckter Mittelfinger und ein toter Papagei
Premier De Croo hat gestern erneut erfolglos versucht, die Bombe zu entschärfen, kommentiert Het Nieuwsblad. Dass ihm das als Regierungschef nicht gelungen ist, lässt das Schlimmste befürchten. Er hat selbst versucht, Lahbib telefonisch zu einem Kniefall zu bringen. Die Antwort: Geht nicht wegen Parteipräsident Bouchez. Das ist ein ausgestreckter Mittelfinger von Bouchez in Richtung De Croo. Der x-te. De Croo ist zum Spielball seiner Koalitionspartner geworden, vor allem der frankophonen. Wir reden von einem offenen Krieg mit einem Premier, der einsam und wider besseres Wissen mit seiner weißen Fahne im Niemandsland steht, aber nicht die Mittel hat, um den Konflikt zu lösen. Er hat das Schicksal seiner eigenen Regierung nicht mehr in der Hand, befürchtet Het Nieuwsblad.
Offensichtlich sind der OpenVLD acht Prozent in den Umfragen noch immer zu viel, sinniert De Standaard. Denn anders ist es nicht zu erklären, dass ihre Fraktion in der Kammer Hadja Lahbib nach ihrem desaströsen Auftritt weiter das Vertrauen schenken will. Deren Verhalten war schlicht ein Skandal: Wie eine Wetterfahne hat sie ihre Position wieder und wieder angepasst. Und wenn ihr die sachlichen Argumente ausgingen, holte sie eben die Emotionen raus. Als Außenministerin legt Lahbib auch einen merkwürdigen Mangel an diplomatischem Gespür an den Tag. Sie wirkt wie eine Alice im Wunderland, die nur nachplappert, was ihr Vorsitzender ihr einflüstert, dem sie ja tributpflichtig ist. Und De Croo erinnert immer mehr an den Verkäufer aus dem berühmten Monty-Python-Sketch "Der Papagei ist tot". Während sich der Kunde beschwert, dass ihm ein toter Vogel angedreht worden ist, wird der Verkäufer nicht müde, ihn als springlebendig darzustellen, giftet De Standaard.
Boris Schmidt