"Die Kommunisten sind stärker als die Liberalen", titelt Het Laatste Nieuws. "Die Versuchung der extremistischen Parteien", schreibt lapidar Le Soir auf Seite eins. Beide Schlagzeilen sind im Grunde nur die groben Schlussfolgerungen aus dem jüngsten Politbarometer, das die beiden Zeitungen zusammen mit den Fernsehsendern RTL-TVI und VTM veröffentlichen. Ganz grob gerafft: Der rechtsextreme Vlaams Belang bleibt laut der Umfrage stärkste Kraft in Flandern. Die marxistische PTB verteidigt in der Wallonie mit knapp 19 Prozent ihren dritten Platz und schafft es zudem in Flandern, die Zehn-Prozent-Schwelle zu knacken. Damit sind die Kommunisten stärker als die OpenVLD von Premierminister Alexander De Croo, die einen historischen Tiefpunkt erreicht hat.
"Die OpenVLD hat sich kaputtregiert", analysiert Het Laatste Nieuws in seinem Leitartikel. Seit 24 Jahren sind die flämischen Liberalen ununterbrochen an der Föderalregierung beteiligt. Das gilt zwar auch für die frankophone MR, doch stellt die OpenVLD in dieser Legislaturperiode ja auch noch den Premier, was dazu führt, dass sich die Partei noch weniger inhaltlich profilieren kann. Dies zumindest in Bezug auf die eigentliche Kernkompetenz der flämischen Liberalen. Da kann Justizminister Vincent Van Quickenborne noch so viele Reformen in seinem Bereich durchsetzen, da kann man sich sogar mit der Befreiung von Olivier Vandecasteele brüsten, was die traditionelle liberale Wählerschaft wirklich interessiert, sind aber sozialwirtschaftliche Themen. Und da passiert erwiesenermaßen zu wenig.
Hinzukommt dann noch eine dramatische Fehleinschätzung von Alexander De Croo: Wenn die fünftstärkste Partei in einer Koalition den Premierminister stellt, dann wird man zum Spielball der Partner. Eigene Akzente setzt man da nicht.
Dem Populismus das Wasser abgraben!
Le Soir empfiehlt seinerseits, sich nicht ausschließlich auf die Zahlen zu konzentrieren. Natürlich sind Umfragen erstmal aufschlussreich, wenn's um die Frage geht, wer denn gerade besonders gut in der Wählergunst steht. Doch verbergen sich hinter diesen reinen Zahlen auch die Sorgen, Nöte und Bedürfnisse der Bürger. Eben darum geht es letztlich und das erst recht, wenn man sich den Höhenflug der extremistischen Parteien ansieht. Hier stellen sich zentrale Fragen: Warum tendieren die Wähler zu den Extremen? Warum wenden sie sich generell von der Politik ab? Woher kommt diese Wut auf die traditionellen Parteien? Wir, die Medien, würden einen schweren Fehler machen, wenn wir nur Umfragekurven kommentieren und auf dieser Grundlage über mögliche Koalitionen spekulieren würden. Es geht auch und vor allem um die Fragen, die sich die Bürger stellen.
Dass die extremistischen Parteien derzeit den Wind in den Segeln haben, bereitet auch L'Echo Sorgen. Ein möglicher Wahlerfolg von Vlaams Belang oder PTB ist aber nicht zwingend vorgezeichnet, man muss sich diesem Schicksal nicht ergeben. Wenn's auch kein Wundermittel gegen Populismus gibt, so kann man ihm zumindest das Wasser abgraben. Zum Beispiel, indem man auf allen Ebenen systematisch transparent und integer agiert. Oder indem man den Wählern reinen Wein einschenkt und sie nicht mit falschen Versprechen ködert.
Der Populismus ernährt sich auch von der Angst der Menschen: Angst vor Wohlstandsverlust, Angst vor dem sozialen Abstieg, Angst angesichts all der Herausforderungen unserer Zeit: Krieg in der Ukraine, Energiewende, Migration. Hier bedarf es Parteien mit einer wirklichen gesamtgesellschaftlichen Vision. Hier geht es nicht nur um Kaufkraft, hier geht es auch und vor allem um Perspektiven.
Vlaams Belang & PTB: Keine Parteien wir jede andere
Het Nieuwsblad spricht seinerseits eine ungewöhnlich deutliche Warnung aus. Der Vlaams Belang und auch die PTB sind keine Parteien wie jede andere. Ihr Ziel ist nämlich nicht die Demokratie. Beispiel Vlaams Belang: Die Pläne der Rechtsextremisten mit Blick auf die flämische Unabhängigkeit führen geradewegs ins Chaos bis hin zu möglicher Gewalt. Und auch die PTB will ihre kommunistische Vision zwar mithilfe der Demokratie dann aber doch allen aufs Auge drücken; und das ist dann wieder undemokratisch. Es ist jedenfalls kein Zufall, dass beide Parteien als einzige Fraktionen in der Kammer eine Resolution nicht unterstützt haben, in der Russland als "Staatssponsor des Terrorismus" bezeichnet wurde. Die Demokratie ist die bestmögliche, oder sagen wir, die am wenigsten schlechte Staatsform. Dazu passt jedenfalls keine Regierungspartei, die das Land ins Chaos stürzen will.
Einige Zeitungen kommentieren heute auch noch die Einigung der EU-Innenminister auf eine Reform der Asylpolitik. Die Leitartikler sind da hin- und hergerissen.
Nach Jahren des Streits gibt es nun endlich eine Einigung. "Aber zu welchem Preis?", fragt sich etwa La Libre Belgique. Die Reform läuft darauf hinaus, dass an den Außengrenzen regelrechte Lager entstehen werden, in denen Migranten festgehalten werden. Im Prinzip wird hier die "Festung Europa" ein für allemal besiegelt. Die ach so oft beschworenen europäischen Werte drohen hier auf der Strecke zu bleiben.
Europa verschanzt sich hinter einer Mauer der Angst
"Europa lässt ratternd die Rollläden herunter", kann auch De Standaard nur feststellen. Man mag es bedauern, aber dieser schwere Kompromiss ist wohl letztlich der Ausdruck von Realpolitik. Das europäische Migrationschaos ist nämlich für die Zentrumsparteien in Europa inzwischen zu einer Frage des politischen Überlebens geworden. Niemand will sich noch dem Wähler stellen, wenn das zentrale Wahlkampfthema die unkontrollierte Einwanderung ist. Ob das Ganze überhaupt funktionieren wird, ist allerdings fraglich. Erstmal regt sich Widerstand: Bei den deutschen Grünen probt die Basis den Aufstand; auch bei der SPD brodelt es. Und hierzulande haben auch Ecolo und Groen heftige Bauchschmerzen.
Das GrenzEcho macht im Wesentlichen die gleiche Analyse. Es ist ein offenes Geheimnis, dass der Trend in Richtung einer immer restriktiveren Migrationspolitik geht. Befeuert wurde diese Entwicklung durch die Wahlerfolge extremrechter Parteien in mehreren Mitgliedsländern. Die Folge ist, dass sich Europa hinter einer Mauer der Angst und Unsicherheit verschanzt. Auf der einen Seite spiegelt das also die politischen Realitäten auf dem Kontinent wider. Auf der anderen Seite ist das aber mit Blick auf die europäischen Werte eine Bankrotterklärung.
Es ist eben ein erster Schritt, so das Fazit von Gazet van Antwerpen. Denn erstmal man muss festhalten, dass es in dieser Frage überhaupt eine Einigung gibt. Jahrelang wurde darüber gestritten. Insofern kann man zumindest von einem Durchbruch sprechen. Nach acht Jahren ist man zumindest zu der Einsicht gekommen, dass man dieses Problem nur gemeinsam lösen kann.
Roger Pint