"Sanda-Dia-Urteil weiter ein Aufreger: Justizminister kritisiert PTB und CD&V", fasst das GrenzEcho auf Seite eins zusammen. "Mahdi verbucht Erfolg auf Tiktok, aber seine eigene Partei murrt", greift Het Belang van Limburg eine kontroverse Intervention des CD&V-Parteivorsitzenden auf. "Klicks, Socken und Werbedeals – das Geschäftsmodell von Acid", befasst sich Het Laatste Nieuws mit dem flämischen Videoblogger, der auf Youtube Mitglieder der Reuzegom-Studentenvereinigung an den Pranger gestellt hatte und den Sammy Mahdi dafür öffentlich unterstützt hat.
Peinlicher und unwürdiger Auftritt
Wenn Emotionen nach einem als ungerecht empfundenen Justizurteil hochkochen, wäre zuallererst Besonnenheit gefragt, erinnert das GrenzEcho. Doch mit Besonnenheit erzeugt man im Zeitalter der sozialen Medien keine Aufmerksamkeit: Das hat auch Sammy Mahdi, der Vorsitzende der flämischen Christdemokraten CD&V begriffen. Anders ist es nicht zu erklären, dass sich Mahdi auf die Seite eines flämischen "Influencers" geschlagen hat. Sogar Justizminister Vincent Van Quickenborne schaltete sich ein und übte scharfe Kritik an Mahdi. Ein peinlicher Vorgang und unwürdig für die Partei CD&V, die nicht akzeptieren kann, in Flandern nicht mehr die erste Geige zu spielen. Interessant ist in diesem Zusammenhang die Haltung der Mutter von Sanda Dia, die laut ihrer Anwältin vor allem Frieden wolle und mit Blick auf den Prozess von einer "reinigenden" Wirkung gesprochen hatte. Welch ein Kontrast zu Hass und Hetze, zu den Aufrufen zur Selbstjustiz und dem wütenden Verlangen nach Vergeltung in der Online-Welt, unterstreicht das GrenzEcho.
Youtube hat das Video von "Acid" wegen Cybermobbings gesperrt, hebt La Dernière Heure in ihrem Leitartikel hervor. Das wiederum hat Sammy Mahdi in seinem eigenen Tiktok-Filmchen angeprangert. Als Parteivorsitzender ist Mahdi auch am Schreiben der Gesetze beteiligt. Dennoch zetert er jetzt über angebliche "Klassenjustiz" und stellt damit die Legitimität des gesamten belgischen Justizapparates infrage. Betrachtet man das Ganze aus einer kurzfristigen Marketing-Perspektive, dann hat Mahdi definitiv ein Gespür für die Jagd nach "Likes" bewiesen. Betrachtet man seinen Auftritt allerdings aus langfristiger christdemokratischer Sicht, dann war das einfach beunruhigend, findet La Dernière Heure.
Der "Donald Trump vom Action-Discounter"
Dass der Vorsitzende einer Regierungspartei derartig gegen ein ausführlich begründetes Urteil wütet und sich so herablassend über Arbeitsstrafen äußert, hat es noch nie gegeben, hält Het Belang van Limburg fest. Mit seinen Angriffen leugnet Mahdi nicht nur die Gewaltenteilung, sondern untergräbt auch noch die Glaubwürdigkeit des Rechtsstaats. In Zeiten, in denen das Misstrauen in Politik und Institutionen ohnehin schon auf Rekordniveau ist, sucht und befeuert er die Wut in der Bevölkerung. Was in aller Welt hat ihn zu diesem billigen und schädlichen Auftritt getrieben? Die Antwort ist einfach: Likes, Applaus und Stimmen. Aber mit seinem unbedachten Auftritt hat sich der selbsternannte "Barack Obama vom Aldi" zum "Donald Trump vom Action-Discounter" degradiert. Er hat seine Partei aus der mutigen Mitte in den populistischen Abgrund gestoßen, wettert Het Belang van Limburg.
Populismus zieht Opportunisten an, weiß De Standaard. Und der prominenteste von ihnen ist Sammy Mahdi. Sein Tiktok-Video mit den haltlosen und gefährlichen Angriffen auf Justiz und Medien ist wahrlich ein Tiefpunkt. Und wie schlecht es um die CD&V als Partei bestellt ist, sieht man daran, dass niemand aus ihren Reihen Mahdi nach seinem Ausfall zur Ordnung gerufen hat, meint De Standaard.
In den vergangenen Monaten ist sehr viel darüber gesprochen worden, was eine gerechte Strafe für die Reuzegom-Studenten wäre, schreibt Het Nieuwsblad. Aber es gibt keine Antwort, die alle zufriedenstellen würde, keine Strafe, die das Leid ungeschehen machen würde. Dennoch ist der Zorn über die Urteile aufrichtig und nachvollziehbar. Auffällig ist aber noch etwas anderes: Je gründlicher sich Menschen mit dem Dossier befasst haben, desto mehr haben sie gezweifelt und nach Antworten gesucht. Als Symbol dafür kann man die fast übermenschliche Ruhe der Familie von Sanda Dia betrachten. Auf der anderen Seite haben wir dann aber einen Parteivorsitzenden, der sich Mistgabel und Fackel packt und sich an die Spitze des lautesten Mobs setzt, in der Hoffnung, dass sie ihn als Führer sehen werden. Eine sinnvolle Debatte stößt er damit nicht an. Aber Hauptsache, er kassiert viel Zustimmung in den Sozialen Medien, giftet Het Nieuwsblad.
Am Ende darf nur der Rechtsstaat gewinnen
Das Bedauerliche an Mahdis Tiktok-Salve ist nicht sein Auslöser, kommentiert De Tijd, die Wut über die Urteile kann legitim sein. Das Bedauerliche ist viel mehr, dass Mahdi mit seinem Auftritt dafür sorgt, dass eine komplexe und wichtige Debatte über die Legitimität der Justiz weniger Raum bekommt statt mehr. Der Vorsitzende einer Partei, die in den letzten 20 Jahren drei Justizminister gestellt hat, entzieht jeglicher sinnvollen Debatte den Boden, indem er als Politiker ein richterliches Urteil angreift und persönlich die Verteidigung eines jungen Mannes übernimmt, der einen dystopischen Schandpfahl-Kanal betreibt. Mit seinem kurzsichtigen Fischen nach Aufmerksamkeit kratzt Mahdi an der Gewaltenteilung, diesem Prinzip, das garantiert, dass die Justiz unabhängig ist, dass Recht Recht bleibt und sich nicht mit Politik vermischt. Wer an der Wichtigkeit dieses Prinzips zweifelt, muss nur nach Ungarn schauen, empfiehlt De Tijd.
Eines ist sicher, kommentiert Gazet van Antwerpen: Bestrafen dürfen nur Gerichte, nicht Youtuber, Twitter-Nutzer oder Parteipräsidenten. Politiker, die in solchen Dossiers keinen Abstand wahren, begeben sich aufs Glatteis. Die Grenze zwischen der namentlichen Nennung Verantwortlicher und einem Aufruf zu Lynchjustiz ist sehr dünn. Am Ende darf nur der Rechtsstaat gewinnen, denn andernfalls finden wir uns alle auf dem Glatteis wieder, warnt Gazet van Antwerpen.
Iran-Deal: Die Welt ist leider oft zynisch
L'Avenir schließlich greift die Freilassung von drei weiteren iranischen Geiseln auf, die in der Nacht auf dem Militärflughafen Melsbroek bei Brüssel angekommen sind: Was für eine Wendung, dass nach Olivier Vandecasteele nun auch noch zwei Österreicher und ein Däne aus den iranischen Kerkern befreit werden konnten. Zuallererst für die Betroffenen selbst natürlich, aber auch für Belgien ist das ein wichtiger diplomatischer Sieg, insbesondere nach all dem Ärger und den Kontroversen, die dem Deal vorausgegangen waren. Einen bitteren Beigeschmack hat das Ganze allerdings für die Menschen, die vom iranischen Regime auch in Europa verfolgt werden, denn im Gegenzug ist ja ein Terrorist freigekommen, der einen blutigen Anschlag auf sie verüben wollte. Aber die Welt ist leider nun einmal oft sehr zynisch, so L'Avenir.
Boris Schmidt