"Erdogan triumphiert: Fünf zusätzliche Jahre; Zweifel um demokratische Erneuerung", titelt De Morgen. "Wie es Erdogan geschafft hat, alle Hindernisse zu überwinden“, so die Schlagzeile von La Libre Belgique. "Nach dem Sieg von Erdogan – die Türkei in unsicheren Gewässern", schreiben Le Soir und L'Echo auf Seite eins.
Der langjährige Amtsinhaber Recep Tayyip Erdogan hat die zweite und entscheidende Runde der türkischen Präsidentschaftswahl gewonnen. Vor allem im Westen reagiert man zurückhaltend; auch die Finanzmärkte sind verunsichert.
Recep Tayyip Erdogan hat es also doch wieder geschafft, stellt Het Belang van Limburg in seinem Leitartikel fest. Der starke Mann der AKP darf sich also für fünf weitere Jahre Präsident der Türkei nennen. Der Urnengang selbst ist offensichtlich weitgehend korrekt und ehrlich verlaufen. Das gleiche kann man allerdings nicht vom Wahlkampf behaupten. Die Opposition bekam in den Medien und im öffentlichen Diskurs so gut wie keinen Stich. In den vergangenen 20 Jahren hat Erdogan nämlich sein Gängelband rund um die Medien und die Justiz immer straffer angezogen. Auf den alten und neuen Präsidenten warten aber große Herausforderungen. Die Wirtschaft befindet sich seit einigen Jahren auf dem absteigenden Ast; die Inflation beläuft sich auf stolze 66 Prozent.
Die Sirenengesänge des türkischen Nationalismus'
Erdogan hat es aber verstanden, von all diesen Problemen abzulenken, konstatiert sinngemäß Le Soir. Mit freundlicher Unterstützung der Opposition, die es offensichtlich vergessen hatte, ein Gegenmodell, einen alternativen Weg vorzuschlagen. Und damit hatte sich der Wahlkampf genau dorthin bewegt, wo sich Erdogan am wohlsten fühlt: Am Ende drehte sich alles nur noch um einen überhitzten Nationalismus, der inzwischen alle Bevölkerungsschichten erfasst hat. Recep Tayyip Erdogan hat diese Karte gekonnt ausgespielt, gilt er doch als der Inbegriff des wiedererlangten türkischen Nationalstolzes. Die Herausforderungen allerdings, die bleiben die gleichen.
Auch La Libre Belgique hat im türkischen Wahlkampf vor allem die Sirenengesänge des Nationalismus' gehört. Selbst die Opposition hat am Ende dieses Register gezogen. Das ist mit Sicherheit der einfachste, um nicht zu sagen banalste Weg in diesen komplizierten Zeiten. Erdogan schwadronierte etwa über ein "türkisches Jahrhundert". Wie sähe das denn aus? Will er das Osmanische Reich wiederbeleben? Und entsprechend den Nachbarländern seinen Willen aufzwingen? Die Botschaft, die aus Zentralanatolien in die Welt ausgesandt wurde, ist jedenfalls eindeutig: Wenigstens die Hälfte der Türken wünschen sich einen starken, unabhängigen Staat, der niemandem gegenüber Rechenschaft schuldig ist. Zumindest für die kommenden fünf Jahre hat Europa keine andere Wahl, als sich mit diesem Präsidenten und dieser Türkei zu arrangieren.
Realpolitik
"Realpolitik so lautet hier das Zauberwort", ist L'Echo überzeugt. Die vor allem westlichen Beobachter, die Erdogan eine Niederlage vorausgesagt hatten, haben daneben gelegen. Und dies insbesondere, weil sie die Kraft des Nationalismus' unterschätzt haben. Unter Erdogan hat sich die Türkei zudem zu einer illiberalen Demokratie entwickelt. Nur führt eben weiter kein Weg an Erdogan vorbei. Beflügelt von seinem Wahlsieg könnte er sogar noch unvorhersehbarer werden. Europa wird hier eine pragmatische Haltung an den Tag legen müssen. Vor allem gilt es, Abhängigkeiten möglichst abzubauen, man denke nur an das Flüchtlingsabkommen. Die jüngste Vergangenheit hat gezeigt, wie gefährlich es sein kann, Autokraten auf Gedeih und Verderb ausgeliefert zu sein.
Die Wiederwahl von Recep Tayyip Erdogan ist jedenfalls keine gute Neuigkeit, glaubt Het Nieuwsblad. Nicht für die Welt, und auch nicht für Belgien. Auf dem internationalen Parkett spielt die Türkei eine dubiose Rolle. Im Ukraine-Krieg etwa gibt Ankara die Friedenstaube, profitiert aber auf der anderen Seite schamlos vom günstigen russischen Öl. In Belgien stehen wir derweil vor der Feststellung, dass sieben von zehn Mitbürgern mit türkischem Pass für Erdogan gestimmt haben. Dessen Rechnung scheint aufgegangen zu sein, tut er doch seit 20 Jahren alles, um die Integration türkischstämmiger Menschen zu sabotieren. Wir hier im Westen werden auch alles tun müssen, um die giftigen Fangarme von Erdogan abzuschlagen.
Sparzinsenerhöhung – Es bedarf einer faktenbasierten Diskussion
Ganz andere Geschichte auf Seite eins von Le Soir: "2022 haben die Belgier 163 Milliarden Euro Steuern bezahlt", titelt das Blatt. Das ist Rekord. Noch nie ist so viel Geld ins Steuersäckel geflossen. Ursache ist das Wachstum und die Inflation.
Apropos Geld: "BNP Paribas Fortis sieht Spielräume für eine begrenzte Erhöhung der Sparzinsen", so die Aufmachergeschichte von De Tijd. Hauptgeschäftsführer Michael Anseeuw hält es demnach für denkbar, dass die Zinsen auf Sparbüchern gegen Ende kommenden Jahres auf ein Prozent steigen könnten.
De Tijd wünscht sich in diesem Zusammenhang eine sachlichere Debatte. Die Parteien haben sich in den letzten Tagen gegenseitig überboten mit Forderungen nach Zwangsmaßnahmen zur Erhöhung der Sparzinsen. Die Banken mahnen demgegenüber zur Vorsicht und plädieren für Augenmaß. Es wäre denn auch schön, wenn die Diskussion faktenbasiert geführt würde und nicht auf der Grundlage von Eindrücken oder eines vagen Bauchgefühls. Denn, wenn die Politik hier mit der Brechstange vorgehen würde, dann könnte das sehr unschöne Wirkungen haben. Denkbar ist zum Beispiel, dass die Banken – um ihre Gewinnmargen zu erhalten – einfach Kredite teurer machen oder Tarife anheben. Etwaige Zwangsmaßnahmen wollen also wohl überlegt sein.
Roger Pint