"Sie konnte nicht anders, als ihren Rücktritt einzureichen", so die Schlagzeile von Het Nieuwsblad. "Der Rücktritt von Sarah Schlitz war am Ende unvermeidlich", notiert auch L'Avenir. "Das Ganze war unerträglich geworden", zitiert Le Soir sinngemäß die Ecolo-Politikerin.
Sarah Schlitz ist gestern von ihrem Amt als föderale Staatssekretärin für Chancengleichheit zurückgetreten. Sie reagierte damit auf die Polemik um die missbräuchliche Verwendung ihres persönlichen Logos bei staatlich bezuschussten Projekten. Problematisch war aber auch ihr Umgang mit der Krise. Unter anderem wurde ihr vorgeworfen, vor dem Parlament in dieser Sache nicht die ganze Wahrheit gesagt zu haben.
"Hat die angeblich 'weiblichste Föderalregierung aller Zeiten' etwa ein Problem mit Frauen?", fragt sich derweil provokativ De Standaard. Die bislang vier Regierungsmitglieder, die die Mannschaft verlassen haben, waren nämlich ausschließlich Frauen. Neben Sarah Schlitz waren das Eva De Bleeker, Meryame Kitir und Sophie Wilmès.
Aus einer Mücke machte Sarah Schlitz einen Elefanten
"Der Rücktritt der Staatssekretärin für Chancengleichheit war tatsächlich unvermeidlich, analysiert sinngemäß De Standaard in seinem Leitartikel. Ums mal bildlich auszudrücken: Wer sich aus eigener Schuld in einem tiefen Loch befindet, der sollte möglichst aufhören zu graben. Im Klartext: Das, was man Sarah Schlitz vorwarf, nämlich die Verwendung ihres persönlichen Logos bei staatlich subventionierten Projekten, das war eigentlich eine Bagatelle. Natürlich gehört sich das nicht, aber dafür muss man nicht zurücktreten. Aus der Bagatelle wurde aber ein schwerwiegender Vorgang, als die Staatssekretärin vor dem Parlament offensichtlich log. Für ein Regierungsmitglied ist das unannehmbar. Premier De Croo gab seiner Staatssekretärin dennoch noch eine letzte Chance. Und die vergeigte ihr Kabinett, als eine Mitarbeiterin einen Zusammenhang herstellte zwischen dem N-VA-Politiker Sander Loones und dem Nazi-Regime.
Het Nieuwsblad sieht das genauso. Indem Sarah Schlitz vor dem Parlament gelogen hat, hat sie selbst aus einer Mücke einen Elefanten gemacht. Bei einer Lüge im Parlament reagieren wir unerbittlich. Allerdings auch selektiv unerbittlich. Auf der ganzen Welt ist zu beobachten, dass man mit Lügen davonkommen kann, wenn man das nur häufig, grotesk und schamlos tut. Gestolpert ist Sarah Schlitz letztlich über ihren Mangel an politischem Gespür und vor allem über ihre unprofessionelle Kommunikation.
Ein Rücktritt mit unangenehmem Nachgeschmack
Bei alledem bleibt dennoch ein unangenehmer Nachgeschmack, gibt Le Soir zu bedenken. In der Tat: Sarah Schlitz und ihre Mitarbeiter haben tausend gute Gründe geliefert, die einen Rücktritt zu rechtfertigen scheinen. Und doch wirft ihre Entscheidung ein Licht auf all die Rücktritte, die in letzter Zeit eben nicht erfolgt sind. Man denke nur an die Irrungen und Wirrungen des wallonischen Parlaments; oder an die Affäre um die Pensions-Extras in der Kammer. Das waren Skandale eines ganz anderen Kalibers. Und doch sind da keine politische Köpfe gerollt. Im Gegenteil. Die Affären wurden kleingeredet und die Verantwortlichen konnten sich hinter den Schutzmauern verbergen, die ihre Parteien eiligst errichtet hatten. Der Rücktritt von Sarah Schlitz mag auch ein Beweis dafür sein, wie selektiv Empörung und politische Attacken letztlich sein können.
"Wird hier wirklich mit zweierlei Maß gemessen?", fragt sich aber Het Laatste Nieuws. Ging es hier wirklich in erster Linie darum, dass Sarah Schlitz eine Frau ist? Warum ist Theo Francken nicht als Asylstaatssekretär über die Affäre um die Sudanesen gestolpert? Diese Fragen mögen auf den ersten Blick berechtigt sein. Doch wenn die Grünen unbedingt einen Schuldigen benennen wollen, dann müssen sie mit dem Finger auf sich selbst zeigen. Sarah Schlitz hat sich selbst in die Bredouille gebracht. Und sogar bei ihrem Abgang sorgte sie noch für Verwirrung, als sie erklärte, dass sie auch ein Zeichen setzen wollte gegen sexistische und sexuelle Gewalt von politischen Amtsträgern. Als man sie darum bat, Ross und Reiter zu nennen, konnte sie aber keine konkreten Beispiele nennen.
"Mitleid ist hier fehl am Platz"
Mitleid ist hier fehl am Platz, findet auch De Morgen. Sarah Schlitz hat sich selbst das Grab geschaufelt. Erst eine Regel überschritten, dann darüber gelogen, und am Ende noch eine Krisenkommunikation, die völlig aus dem Ruder läuft: All das rechtfertigt einen Rücktritt. Zu Fall gebracht wurde Sarah Schlitz letztlich durch ihren eigenen Mitarbeiterstab. Ein Kabinett dient allein der Vorbereitung von politischen Entscheidungen, nicht als Sturmgeschütz gegen unliebsame Oppositionsparteien.
Und doch sieht sich Sarah Schlitz offensichtlich nach wie vor in der Opferrolle, beklagt L'Avenir. Sie sprach wörtlich von einem "traurigen Sieg des Sexismus und des Patriarchats". Seien wir mal nicht naiv: Natürlich ist die Politik eine Macho-Welt, in der Frauen allzu lange allenfalls als Dekoration dienten. Und natürlich war eine Frau wie Sarah Schlitz mit ihrem entschlossenen Engagement für Geschlechtergleichheit besonders im Fadenkreuz insbesondere von konservativen Parteien wie der N-VA. Die Episode ihres Rücktritts auf einen bloßen Sieg des Patriarchats zu reduzieren, das ist aber höchstwahrscheinlich falsch.
La Dernière Heure sieht das genauso. Sarah Schlitz musste nicht zurücktreten, weil die N-VA sie ins Visier genommen hatte; auch nicht, weil sie, wie ihre Fürsprecher behaupten, "die nächste Frau auf der Abschlussliste war". Nein, Sarah Schlitz musste gehen, weil sie die Wahrheit verdreht hat, um ihren Fehler zu verdecken.
Roger Pint