"Joe Biden – eine erneute Kandidatur 'um die Arbeit zu beenden'", titelt L'Echo. "Er will weitermachen bis zu seinem 86. Lebensjahr", schreibt Het Nieuwsblad auf Seite eins. "Biden-Trump, gibt es eine präsidiale Revanche im Jahr 2024?", fragt sich La Libre Belgique.
US-Präsident Joe Biden hat angekündigt, dass er für eine zweite Amtszeit kandidieren will. Er ist inzwischen 80 Jahre alt; am Ende seiner dann zweiten Amtszeit wäre er 86.
Und das wäre ein absoluter Rekord, bemerkt L'Avenir in seinem Leitartikel. Schon jetzt ist Joe Biden der älteste Präsident, der je im Weißen Haus residiert hat. Geschweige denn mit 86. Und wenn man ehrlich ist: Wirklich verstecken kann Biden sein Alter nicht mehr. Aber, Gegenfrage: Ist der Ruhestand wirklich eine Frage des Alters? Bei der Arbeit geht es doch auch um die Frage, wie man sich dabei fühlt.
Drachentöter oder Seniorenclique?
Het Belang van Limburg sieht das nicht ganz so nuanciert. Die Älteren unter uns erinnern sich wohl noch an die Witze, die man über die Seniorenclique im Kreml gemacht hat. Doch die frühere Sowjetunion ist längst nicht mehr das einzige Beispiel für eine morsche Gerontokratie. Auch die USA sind in den letzten Jahrzehnten zu einer Demokratie von alten Männern geworden. Und genau hier liegt das Risiko für Bidens Wiederwahl. Gerade die Demokraten brauchen die jungen und die schwarzen Wähler. 2020 haben viele Amerikaner noch ihre Stimme abgegeben, weil sie Donald Trump loswerden wollten. Jetzt muss Biden die Wähler selbst mobilisieren.
Die Kandidatur von Joe Biden ist ein Spiegelbild der politischen Situation in den USA, analysiert Het Nieuwsblad. Unter Normalumständen würde es die Demokratische Partei nie riskieren, sich hinter einen Kandidaten zu scharen, der seine besten Jahre längst hinter sich hat. Zwar hat der Mann eine respektable Bilanz aufzuweisen. Der wichtigste Grund dafür, dass man ihn weiter unterstützt, das ist aber sein Spitzname: Er ist der "Drachentöter", er hat gegen Donald Trump gewonnen. Und 2024 droht ja ein Remake der letzten Wahl: Donald Trump will ja wieder antreten. Trump ist im Übrigen nur unwesentlich jünger als Biden. Die demokratische Lähmung, die die Vereinigten Staaten aktuell trifft, ist eine direkte Folge der extremen Polarisierung. Und das droht auch in Europa.
Zweites großes Thema ist das politische Schicksal von Sarah Schlitz. Die Zeitungen konnten nicht ahnen, dass die Staatssekretärin für Chancengleichheit am Morgen ihren Rücktritt ankündigen würde.
"Angriff ist die beste Verteidigung"
De Morgen macht heute auf mit dem, was ursprünglich geplant war: "Schlitz darf sich noch einmal erklären", so die Schlagzeile. Die föderale Staatssekretärin für Chancengleichheit stand seit Tagen unter Beschuss. Ihr wird unter anderem vorgeworfen, ihr privates Logo verwendet zu haben für Projekte, die ihr Ministerium finanziert hat, also mit anderen Worten, die Öffentliche Hand. Die Ecolo-Politikerin soll zudem das Parlament in dieser Sache belogen haben. Für Schlagzeilen sorgte dann noch eine Mitarbeiterin der Staatssekretärin, die in Sozialen Netzwerken einen Zusammenhang zwischen einem N-VA-Politiker und dem Nazi-Regime herstellte. "Schlitz hofft, mit einer Entschuldigung ihre Haut retten zu können", schreibt De Tijd auf Seite eins. L'Avenir scheint die neueste Entwicklung seinerseits geahnt zu haben: "Schlitz steht kurz vor dem Rücktritt".
Wie heißt es so schön, meint Le Soir in seinem Kommentar: "Angriff ist die beste Verteidigung." Das stimmt oft, aber eben nicht immer. Sarah Schlitz hätte sich im vorliegenden Fall einfach nur auf die Verteidigung konzentrieren sollen. Wenn man einen Fehler begangen hat, dann entschuldigt man sich. Und damit basta! Stattdessen haben die Ecolo-Politikerin und erst recht eine ihrer Mitarbeiterinnen wild um sich geschlagen. Bis hin zu einem plumpen Nazi-Vergleich. Fakt ist: Wenn Sarah Schlitz in dieser Woche fällt, dann ist das nicht die Schuld der "bösen" flämisch-nationalistischen Opposition, sondern ihre eigene. Einmal mehr hat Sarah Schlitz unter Beweis gestellt, dass sie unfähig ist, politische Probleme zu managen.
Muss man Schlitz wirklich ersetzen?
La Libre Belgique sieht das ähnlich. Hier wird nicht eine Person um ihretwillen attackiert. Ja, Sarah Schlitz ist eine Frau, noch dazu eine Grünen-Politikerin. Ja, sie steht für einen radikalen Feminismus. Und ja, die Politik ist eine raue und unbarmherzige Welt. Was man Sarah Schlitz vorwirft, das hat mit alledem aber nichts zu tun. Wirklich gar nichts! Das Einzige, was man von ihr erwartet, ist, dass sie Klarheit schafft, dass sie auf konkrete Fragen von Abgeordneten antwortet. Und dass sie dabei, bitte schön, die Wahrheit sagt. Mit ihren Nebelkerzen hat sie stattdessen die Polemik weiter angeheizt, was auch den Verdacht gegen sie zu bestätigen scheint. Sollte sich herausstellen, dass Sarah Schlitz das Parlament wirklich belogen hat, dann muss sie zurücktreten.
In Belgien ist es üblich, dass letztlich allein die Parteien über einen solchen Rücktritt entscheiden. "Aber kann dieses Tabu nicht endlich mal fallen?", fragt fordernd Het Laatste Nieuws. Warum die Partei? Wäre es nicht logischer, wenn der Teamchef darüber entscheidet, wer noch seinen Platz in der Mannschaft hat? Im vorliegenden Fall wäre das also Premierminister Alexander De Croo.
Andere, ebenso ketzerische Frage: Muss die Staatssekretärin überhaupt ersetzt werden? Sarah Schlitz hat bereits die Antidiskriminierungsgesetzgebung angeschärft. Ein zweites Mal wird das in dieser Legislaturperiode wohl nicht mehr passieren. Eigentlich braucht man also die Staatssekretärin vorläufig nicht mehr. Und das wäre zudem ein Zeichen von politischer Erneuerung.
Roger Pint