"Gewaltstreich", titelt Le Soir zu einem Foto aus der französischen Nationalversammlung. "Französische Wut nach Alleingang von Macron", liest man bei De Standaard. "Renten: mit Gewalt durchgedrückt, das Land kocht", so L'Avenir. "Macron geht ein Risiko ein", ergänzt La Libre Belgique. "Machtwort in Paris: Regierung drückt Rentenreform gegen erheblichen Widerstand in der Nationalversammlung durch", fasst das GrenzEcho im Innenteil zusammen.
Macron hat also im letzten Augenblick doch noch gekniffen, kommentiert Le Soir die Tatsache, dass die französische Regierung auf einen Sonderartikel der Verfassung zurückgegriffen hat. Damit hat Macron eine Abstimmung mit höchst unsicherem Ausgang im Parlament vermieden. Die Reform war Macron zu wichtig, als dass er bereit gewesen wäre, sie aufs Spiel zu setzen, schließlich war sie auch ein Wahlkampfversprechen. Zwei Drittel der Franzosen lehnen die Anhebung des Rentenalters von 62 auf 64 Jahre derweil ab. Macron wird seine Reform vermutlich dennoch bekommen, es sei denn, die Regierung wird doch noch durch ein Misstrauensvotum gestürzt. Aber zu welchem Preis! Wer Brutalität sät, könnte Sturm ernten – erste, spontane Demonstrationen haben schon einen Vorgeschmack gegeben auf die überkochende Wut. Macron mag zwar für den Moment seine Macht demonstriert haben, aber man kann ihm nur viel Glück wünschen für zukünftige Baustellen. Denn das immer tiefer gespaltene Land wird sich nicht einfach in die von ihm gewünschte Richtung führen lassen, so Le Soir.
Frankreich stehen unruhige Zeiten bevor
Der politische Preis dieser verfassungsrechtlichen Kriegslist ist beträchtlich, schreibt La Libre Belgique. Denn das Vorgehen Macrons ist Wasser auf die Mühlen der Populisten. Und es wird die ohnehin schon wütende Nationalversammlung nur noch weiter auf die Palme bringen. Gleichzeitig befeuert die französische Regierung die Mobilisierung der Bevölkerung auf den Straßen. Die französische Regierung ist ein enormes Risiko eingegangen, meint auch L'Avenir. Denn selbst, wenn sie die Misstrauensabstimmungen aus allen politischen Richtungen übersteht, wird ihr ein potenziell sehr gewalttätiger sozialer Konflikt bevorstehen.
Ein gestreckter Mittelfinger in Richtung Den Haag
Die Blicke der Zeitungen richten sich aber auch auf die niederländischen Nachbarn und den massiven Erfolg der populistischen "Bauer-Bürger-Bewegung" BBB bei den Provinzialwahlen: "Politische Revolution in den Niederlanden", schreibt De Morgen auf Seite eins. "Monstersieg der Bauer-Bürger-Bewegung verursacht politisches Erdbeben in den Niederlanden", so die Überschrift von De Tijd. "Caroline Van der Plas, die Frau, die das politische Spielfeld in den Niederlanden durcheinanderwirbelt", befasst sich La Libre Belgique mit der Chefin der BBB.
Dass die BBB gut abschneiden würde, war von vielen erwartet worden, so Het Belang van Limburg in ihrem Leitartikel, aber nicht das Ausmaß ihres Sieges. Aus heiterem Himmel kam das aber sicher nicht. Die BBB wurde 2019 zwar als Protestpartei gegen die Stickstoff-Politik gegründet, hat es aber seitdem besser als alle anderen geschafft, Unzufriedene aus allen Bereichen der niederländischen Gesellschaft anzuziehen. Das Wahlergebnis ist also auch ein gestreckter Mittelfinger in Richtung Den Haag. Caroline Van der Plas hat auch schon gesagt, dass man so etwas auch in Flandern sehen könnte. Und in der Tat ist im Internet schon eine flämische BBB-Initiative lanciert worden. Mit welchem Erfolg, bleibt abzuwarten. Generell sind Vergleiche zwischen den Niederlanden und Flandern immer schwierig, denn sowohl soziologische Realitäten als auch die Parteienlandschaften unterscheiden sich stark. Dass auch hier Parteien aus dem Nichts kommen können, hat zwar 2007 die Liste Dedecker bewiesen. Aber die Lücke, die die BBB in den Niederlanden gefüllt hat, wird hierzulande schon vom Vlaams Belang besetzt, analysiert Het Belang van Limburg.
Eigentlich muss man die Hartnäckigkeit der Niederländer loben, schreibt ironisch De Standaard: Immer wieder vertrauen sie Neuankömmlingen, die ihnen eine "andere Politik" versprechen. Bis diese Versprechen mit den politischen Realitäten des tatsächlichen Regierens kollidieren, siehe Anhänger von Pim Fortuyn. Oder bis sie in der Opposition hängenbleiben und dort ihren Glanz einbüßen, wie Geert Wilders und Thierry Baudet, erinnert De Standaard.
Kann Dedecker vom "perfekten Sturm" profitieren?
Het Laatste Nieuws beschäftigt sich in diesem Zusammenhang mit Erfolgsaussichten für Jean-Marie Dedecker mit seiner "Liste Dedecker": Dieses Mal bewegen wir uns vor den Wahlen auf einen "perfekten Sturm" zu: Aus der größten Gesundheitskrise der jüngeren Geschichte kommend, befinden wir uns noch mitten in einer der größten Energie-, Nahrungsmittel- und Inflationskrisen. Das Klima geht den Bach runter, der Haushalt entgleist, die Struktur des Staates ächzt und kracht, und wir bekommen die illegale Migration nicht unter Kontrolle. Obendrauf kommen dann noch die internationalen beziehungsweise geopolitischen Spannungen – ein wahrhaft explosiver Cocktail. Aber wird Dedecker Profit daraus schlagen können? Er könnte durchaus attraktiv sein für enttäuschte Wähler der traditionellen Parteien, denen Vlaams Belang und PTB zu extrem sind. Andererseits ist auch Dedecker nicht jünger geworden in all den Jahren. Und er würde auch ein solides Team um sich versammeln müssen und sicher nicht zuletzt auch jemanden mit tiefen Taschen im Hintergrund brauchen, gibt Het Laatste Nieuws zu bedenken.
Boris Schmidt