"Gewerkschaften warnen: Noch wochenlang Aktionen bei Delhaize", titelt Het Nieuwsblad. "Mitarbeiter werden einige Geschäfte bis Dienstag geschlossen halten – 'Wir lassen Delhaize spüren, wer das Geld reinbringt'", so Gazet van Antwerpen. "Durch die Konzessionierung bricht der Retailer vor allem die Macht der Gewerkschaften", liest man bei De Tijd. "Delhaize kontert Streiks mit kostenlosen Lieferungen nach Hause, Gewerkschaften sind wütend", schreibt De Standaard.
Die Entscheidung von Delhaize, sich von den verbleibenden 128 betriebseigenen Märkten zu trennen und diese zu konzessionieren, also an Franchisenehmer zu übergeben, hat das Personal und die Gewerkschaften auf die Barrikaden gebracht, kommentiert La Libre Belgique. Aber dieses brutale Vorgehen illustriert ein echtes belgisches Problem: Anstatt jetzt nur zu kreischen und das Franchise-System zu verteufeln, sollten Gewerkschaften und Politik auch einräumen, dass Fehler gemacht worden sind – und helfen, die Probleme zu beheben, die die Mestdagh-, Colruyt- oder eben auch Delhaize-Gruppe plagen. Die Supermärkte leiden unter einer Übersättigung des Marktes und unter der Konkurrenz durch Newcomer wie Albert Heijn, Action oder Lidl. Auch die Inflation und die unter anderem durch die automatische Indexierung der Löhne bedingte Kostenexplosion zwingen die traditionellen Supermärkte dazu, sich neu zu erfinden. Und all das in einem so kleinen Land wie Belgien, in dem viele schnell zu den Nachbarn fahren können zum Einkaufen. Um die sozialen Errungenschaften zu erhalten, müssen die Gewerkschaften mehr Flexibilität an den Tag legen, beispielsweise bei der Abend- und Wochenendarbeit, fordert La Libre Belgique.
Die politische Bombe tickt weiter…
Derweil kriselt es vor allem in Flandern politisch heftig weiter: Die Stickstoff-Bombe tickt gnadenlos, schreibt Het Nieuwsblad. Und die Nerven sind zum Zerreißen gespannt, insbesondere bei der N-VA-Spitze. Die Partei hat die Wahl zwischen Pest und Cholera: Einer Einigung im Stickstoff-Streit zustimmen, die die selbst festgelegten roten Linien hinwegfegt – oder den ultimativen Gesichtsverlust erleiden, falls die flämische Regionalregierung darüber fallen sollte. Denn das würde der Idee den Todesstoß versetzen, dass eine Regierung mit der N-VA am Steuer es besser kann als das dauerstreitende föderale Vivaldi-Team. Die Schuld am Konflikt insbesondere mit der CD&V liegt dabei – neben inhaltlichen Differenzen – vor allem auch an der Art und Weise, wie die übermächtige N-VA mit ihren Koalitionspartnern umspringt. Beziehungsweise bisher umgesprungen ist, denn die CD&V scheint von dieser Arroganz die Nase gestrichen voll zu haben, analysiert Het Nieuwsblad.
Auch Le Soir blickt mit Sorge auf den Norden des Landes, nicht zuletzt, weil der große Sieger am Ende der rechtsextreme Vlaams Belang sein könnte, was dann weitreichende Folgen haben könnte. Abgesehen davon gibt es überhaupt keinen Grund, im Rest des Landes überheblich zu werden. Die wallonische, die Brüsseler und ganz sicher auch die föderale Regierung haben mit ähnlichen Problemen zu kämpfen. Vielleicht sollte die Lektion in Demut für alle Ebenen lauten: Die Probleme, denen sich alle Regierungen gegenübersehen, sind extrem komplex. Und sie können weder durch Hauruck-Losungen noch durch Schuldzuweisungen gelöst werden. Dafür braucht es Kompromisse, die Zeit und Respekt für die Partner erfordern – und weniger Testosteron. Kommunikation ist immer ein zweischneidiges Schwert und die Demokratie ein zu kostbares Gut, um es durch Spielchen zu gefährden, warnt Le Soir.
Top-Spion Tiktok
Het Belang van Limburg greift die Pläne des föderalen Justizministers Vincent Van Quickenborne auf, die chinesische Social-Media-App Tiktok in Behörden beziehungsweise auf Dienstgeräten verbieten zu lassen: Das kommt keinen Tag zu früh, diverse Länder und Institutionen haben das bereits getan und auch in Belgien warnen die Geheimdienste schon seit 2020. Tiktok ist ein wahrer Koloss, über eine Milliarde Menschen nutzen die Anwendung weltweit. Und damit haben die Chinesen Zugang zu einer Milliarde Leben. Tiktok weiß, wo sie schlafen, sitzen, arbeiten oder zur Schule gehen. Es weiß, was sie schreiben, filmen oder fotografieren. Die angeblich so harmlose App ist nichts anderes als ein Top-Spion. Was macht Tiktok mit all den Daten, die seit vielen Jahren als das neue Gold gelten? China jedenfalls hat ein Datenministerium eingerichtet. Tiktok ist natürlich kein Einzelfall, siehe beispielsweise Instagram und Facebook – aber im Gegensatz zu ihnen steht hinter Tiktok ein Staat, der diese Daten strategisch ausnutzen kann. Aber nicht nur die Politik sollte darüber nachdenken, wie sie mit Tiktok umgeht – auch die Medien sollten das tun, meint Het Belang van Limburg.
Langzeitarbeitslose zur Priorität machen
Ganz andere Geschichte bei La Dernière Heure: Die neuen Arbeitslosenzahlen sind da – 15,3 Prozent in Brüssel, in der Wallonie 13,8 Prozent – und in Flandern? Sechs Prozent! Diese Unterschiede haben natürlich weder etwas mit Genen zu tun noch mit der Bereitschaft, zu arbeiten. Dafür umso mehr mit historisch-ökonomischen Gründen. Eine Zahl alarmiert aber dennoch: Die Hälfte der wallonischen und Brüsseler Arbeitslosen sucht seit mindestens zwei Jahren einen Job. In Flandern ist es ein Viertel. Langzeitarbeitslose zurück in Arbeit zu bringen, muss zu einer politischen Priorität gemacht werden, diesen Menschen muss einfach effizienter geholfen werden. Aber es muss auch eine klare Botschaft an diejenigen geben, die sich nicht aufraffen können, einen neuen Job zu suchen, oder mäßige Arbeitslosenbezüge niedrigen Löhnen vorziehen: Arbeitslosigkeit ist zwar ein Recht – aber man darf sich nicht darin einrichten, unterstreicht La Dernière Heure.
Boris Schmidt