"Delhaize, das Ende eines Modells", titelt L'Echo. "Delhaize stellt 128 Geschäfte in die Vitrine", schreibt Gazet van Antwerpen auf Seite eins. "Delhaize – Franchise und Wut", so die Schlagzeile von Le Soir.
Die Direktion der Supermarkt-Kette Delhaize hat gestern für einen Paukenschlag gesorgt. Das Unternehmen kündigte an, sich von allen noch verbleibenden 128 betriebseigenen Filialen zu trennen und sie an Franchise-Nehmer abzugeben. Für das Traditionshaus, das den ersten Supermarkt Europas eröffnete, ist es das Ende einer Ära.
"Delhaize lehrte die Belgier das Einkaufen, jetzt verkauft das Unternehmen all seine Geschäfte", so formuliert es Het Laatste Nieuws. "Und jetzt hängen 9.000 Mitarbeiter in der Schwebe", schreibt anklagend Het Nieuwsblad auf Seite eins. "Delhaize-Mitarbeiter im Schockzustand", titelt das GrenzEcho. "Und das Abstoßen der 128 Filialen sorgt für eine nie dagewesene Streikwelle", notiert De Tijd.
Delhaize: So ist "das echte Leben"
"Und plötzlich hängen die Mitarbeiter in der Luft", meint Gazet van Antwerpen nachdenklich in ihrem Leitartikel. Zwar kann man nicht unmittelbar von einem Sozialdrama sprechen. Es sollen schließlich keine Mitarbeiter entlassen und auch keine Märkte geschlossen werden. Für die 9.000 Beschäftigten bedeutet die Entscheidung der Direktion nichtsdestotrotz, dass ihre berufliche Zukunft mit einem Mal doch wesentlich unsicherer geworden ist. Angefangen damit, dass sie künftig in einer neuen Organisationsstruktur arbeiten werden. Selbstständige Supermarkt-Betreiber zahlen weniger und verlangen demgegenüber längere und flexiblere Arbeitszeiten. Als einen sozial-ökonomischen Fortschritt kann man das wohl nicht bezeichnen.
"Delhaize, echt wie das Leben", so lautete doch der Werbeslogan der Supermarkt-Kette, bemerkt L'Avenir. In gewisser Weise mag das auch im vorliegenden Fall stimmen. Was jetzt bei Delhaize passiert, sind leider Zeichen der Zeit. Der Einzelhandel ist hart umkämpft. Und für das Unternehmen waren die 128 Filialen offensichtlich ein Klotz am Bein. Wie viel einfacher ist es doch, wenn man die Risiken und die Lohnkosten loswerden kann und doch weiter Gewinne einstreicht? Das ist offensichtlich das "echte Leben" in der heutigen Zeit. Ob das gesellschaftlich gesund ist, steht auf einem anderen Blatt.
Aus dem einstigen Platzhirsch ist nun mal ein kleiner Fisch geworden, analysiert L'Echo. Auch Delhaize musste sich in dem extrem umkämpften und nahezu gesättigten Marktumfeld neu positionieren. Und das Franchise-Modell scheint im Einzelhandel nun mal die Zukunft zu sein, weil es vor allem erlaubt, die Risiken und auch die Kosten auszulagern. Dabei wird das belgische Modell des sozialen Dialogs allerdings mehr und mehr in Frage gestellt.
Die "Delhaize-Familie" gibt es nicht mehr
Im Grunde müssen Selbstständige hier die Multinationals retten, glaubt De Tijd. Die Franchise-Nehmer sollen jetzt das schaffen, was Delhaize selbst nicht gelungen ist, nämlich der Supermarkt-Kette eine neue Dynamik geben. Das darf man auch eine Blamage nennen. Die Verlierer, das sind die Beschäftigten. Bislang arbeiteten sie für einen multinationalen Konzern, in dem die Gewerkschaften eine starke Position hatten. Ihr künftiger Arbeitgeber ist ein kleines oder mittleres Unternehmen mit unvorteilhafteren Arbeitsbedingungen.
Die "große Delhaize-Familie", die gibt es nicht mehr, stellt denn auch Le Soir verbittert fest. Naja, wenn man ehrlich ist, dann war Delhaize längst nicht mehr das urbelgische Familienunternehmen, das es einst war, spätestens seit der Fusion mit dem niederländischen Handelskonzern Ahold im Jahr 2016. Was wir gestern gesehen haben, ist allerdings ein besonders extremer Bruch mit der langjährigen Betriebskultur. Und das wirft auch gesamtgesellschaftliche Fragen auf: Wie kann man verhindern, dass unser bisheriges sozialwirtschaftliches Modell in eine allgemeine "Uberisierung" abdriftet, in der sämtliche Arbeitnehmerrechte auf der Strecke bleiben?
With or Without You
Die flämischen Zeitungen beschäftigen sich daneben auch weiter mit der Krise in der flämischen Regierung. Gestern gab es einen Eklat im flämischen Parlament: Die CD&V-Vizeministerpräsidentin Hilde Crevits giftete in Richtung N-VA. Das Zitat steht auf Seite eins von De Standaard: "Das wird nicht funktionieren, wenn eine Partei an die Wand geknallt wird", sagte Crevits.
Es wäre schön, wenn man Atomreaktoren mit Stickstoff betreiben könnte, meint augenzwinkernd Het Belang van Limburg. Stickstoff scheint nämlich das ideale Spaltmaterial zu sein. Nach dem Auftritt einiger Minister gestern im Parlament muss man sich jedenfalls die Frage stellen, ob die flämische Regierung überhaupt noch existiert. Naja, am Freitag soll ja wieder verhandelt werden. Aber auch da die Frage: Gibt es überhaupt noch etwas, über das verhandelt werden kann?
Man kann allenfalls noch von einer virtuellen Regierung sprechen, ist auch Het Laatste Nieuws überzeugt. Das Schlimme ist allerdings, dass die Partner zueinander verdammt sind. Oder um es mit der Band U2 zu sagen: "Ich kann mit dir nicht leben, aber auch nicht ohne dich". Und das Schlimmste ist, dass die Bürger zu dieser Regierung verdammt sind.
Ein Mangel an Vertrauen
Es ist vor allem Ministerpräsident Jan Jambon, der sich verkalkuliert hat, glaubt De Standaard. Was in Teufels Namen hat ihn geritten, als er verkündete, dass das Stickstoff-Abkommen "mit großer Mehrheit" von der Regierung angenommen wurde? Eine "große Mehrheit" in einer Regierung gibt es nicht, sie entscheidet immer im Konsens. Gestern hat man im Parlament sehen können, welchen Schaden er damit angerichtet hat. Das Ganze wirkte wie das missglückte Manöver eines Tyrannen. Die Waffe, mit der Jambon die CD&V in die Knie zwingen wollte, ist ihm in der Hand explodiert.
Die gestrige Debatte im flämischen Parlament hat nochmal eindrucksvoll gezeigt, was am meisten fehlt in der Regierung Jambon, nämlich Vertrauen, glaubt De Morgen. Die Partner trauen sich nicht mehr über den Weg. Der Fehler liegt zunächst bei der N-VA: Wenn Parteichef De Wever offen herumposaunt, dass er die CD&V "kaputtkriegen" will, dann muss man sich nicht wundern. Die CD&V ist auch nicht frei von Schuld: Sie hat ihre Unterschrift unter dem ursprünglichen Abkommen unter doch fadenscheinigen Vorwänden zurückgezogen. Selbst wenn diese Equipe noch weiter macht, dann muss man nicht mehr viel erwarten, der Schaden ist zu groß.
Roger Pint