"Maximale Spannung in der flämischen Regierung", titelt Le Soir. "Die flämische Regierung am Rande des Abgrunds", schreibt La Libre Belgique auf Seite eins "Stickstoff schneidet der Regierung Jambon den Atem ab", so die Schlagzeile von Gazet van Antwerpen.
In Flandern droht politischer Stillstand, nachdem die Regierung um den Ministerpräsidenten Jan Jambon es nicht geschafft hat, sich auf neue Stickstoff-Normen zu einigen. Bei der alles entscheidenden Gesprächsrunde am Sonntag hatte die CD&V am Ende den Verhandlungstisch verlassen.
"Und jetzt droht in der Stickstoff-Akte die totale Blockade", notiert De Morgen auf Seite eins. Für De Tijd ist die "Blockade schon perfekt". "Es wird noch nicht mal mehr verhandelt", so die Schlagzeile von Het Laatste Nieuws. Wobei: Die Partei, die sich quergelegt hat, will die Koalition offensichtlich auch nicht verlassen. "Die kriegen uns nicht aus der Regierung", so bringt Het Nieuwsblad die Position der CD&V auf den Punkt. Das Fazit auf Seite eins von De Standaard: "Das Chaos in der flämischen Regierung macht Flandern unregierbar".
Stickige Luft in der flämischen Regierung
"Die flämische Regierung droht am Stickstoff zu ersticken", meint Het Belang van Limburg in seinem Leitartikel. Bislang war das nur ein mittelprächtiges Wortspiel. Aber seit Sonntagabend ist das die traurige Realität. "Wechselmehrheit", "Minderheitsregierung", bis vor ein paar Tagen noch erschienen solche Begriffe als an den Haaren herbeigezogene Schreckensszenarios. Inzwischen sind diese Optionen im Bereich des Möglichen. Die flämische Regierung aus N-VA, Open VLD und CD&V hat sich hoffnungslos festgefahren. Und man kann es drehen und wenden, wie man will: Es gibt keine realistische Hintertür, keinen wirklichen Ausweg. Diese Koalition ist und bleibt die einzige wirkliche Option. Die CD&V einfach vor die Tür zu setzen, würde das Problem nicht lösen.
Noch nie steckte eine flämische Partei in einer so tiefen Krise, ist Gazet van Antwerpen überzeugt. Vor allem die N-VA und die CD&V haben sich mit ihrer kompromisslosen Positionierung in eine Situation gebracht, aus der es eigentlich kein Zurück mehr gibt. Jedes Zurückrudern käme einem Gesichtsverlust gleich. Es kursieren zwar einige Alternativszenarien, die sich aber bei genauerem Hinsehen schnell als unrealistisch herausstellen. All das macht aus dieser Krise eine enorme Blamage für die flämische Politik. Das gilt vor allem für den Ministerpräsidenten Jan Jambon und seine N-VA, die doch so gerne die Qualität und Effizienz der flämischen Selbstverwaltung hervorheben.
"Ceci n'est pas un gouvernement flamand"
"Viva Vlaanderen, von wegen!", giftet auch Het Laatste Nieuws. Sollte die flämische Regierung nicht ein positiver Gegenentwurf zum angeblich unregierbaren Föderalstaat sein? Was sehen wir jetzt stattdessen? Die flämische Regierung steht am Abgrund, während die Vivaldi-Koalition sich in aller Ruhe weiter kabbelt. Insofern ist es vor allem die nationalistische N-VA, die im Moment mit leeren Händen dasteht. Jetzt droht ein unregierbares Flandern. Oder, ums mal mit Magritte zu sagen: "Ceci n'est pas un gouvernement flamand".
"Was Flandern selbst macht, das macht es nicht immer besser", stichelt auch die frankophone La Libre Belgique. Denn das war doch immer der Anspruch im Norden des Landes: besser zu sein als Belgien. Diese Maxime ist am Sonntag in Scherben geflogen. Was lernen wir daraus? Es reicht nicht, sich in einem politischen Raum zu bewegen, der von einer einheitlichen sprachlich-kulturellen Identität geprägt ist. Spannungen entstehen nicht nur zwischen unterschiedlichen Sprachgruppen, sondern sind viel mehr das Wesen jeder Politik. Die Fähigkeit, Kompromisse zu schließen, hängt nicht von der Identität der Protagonisten ab, sondern nur von ihrem Willen und ihrer Weitsicht. Das flämische Trauerspiel stellt eine mögliche neue Staatsreform denn auch in ein neues Licht. Bevor man sich die Frage stellt, welche zusätzlichen Befugnisse an die Teilstaaten übertragen werden sollen, sollte man sich vielleicht überlegen, wie man ihre interne Funktionsweise verbessert.
Eine politische Zwangsehe à trois
Het Nieuwsblad sieht das bezeichnenderweise genauso. Die Kernfrage lautet jetzt, wie man aus Flandern eine wirklich reife Demokratie machen kann. Eine zentrale Feststellung ist dabei, dass die Regionen und Gemeinschaften keine Neuwahlen ausrufen können. Denn wenn man genau hinschaut, stellt man fest: Gäbe es die Gefahr, dass eine Regionalregierung stürzen kann, dann wäre es wohl nicht so weit gekommen. Dann hätte die CD&V früher Farbe bekennen und die N-VA sich schneller kompromissbereit zeigen müssen. Weil es kein ultimatives Damokles-Schwert gibt, konnten sich die Parteien stattdessen eingraben. Um es mal so auszudrücken: Wir beobachten hier alle eine Partie Schach, bei der aber keiner der Spieler ein Schachmatt forcieren kann.
Im Grunde sind die drei Koalitionspartner zueinander verdammt, glaubt De Tijd. Das wussten wir eigentlich schon 2019 nach der Wahl. Schon damals war klar, dass diese Dreierkoalition die einzige realistische Option war. Konkret: Die CD&V ersetzen kann man nur, wenn man sowohl Vooruit als auch Groen mit ins Boot nimmt, zum jetzigen Zeitpunkt völlig unrealistisch. Eine Minderheitsregierung wäre absolute Terra Incognita. Mit anderen Worten: Die einzige Option ist, irgendwie weiterzumachen. Zumal man in der Stickstoff-Problematik unbedingt eine Lösung braucht. Und es gibt da noch einige andere, vergleichbare Akten, wie zum Beispiel die ebenso umstrittene Ventilus-Hochspannungsleitung. Diese flämische Regierung ist dazu verurteilt, ein neues Gleichgewicht zu finden, zwischen Wirtschaft und Natur. Mit der Suche aufzuhören ist keine Option und die Problematik ignorieren kann man auch nicht.
Roger Pint