"Föderales Parlament: Illegale Pensionen für mehrere hohe Beamte", titelt Le Soir. "Jedes Jahr abgesegnet, aber niemand will etwas gewusst haben", fasst De Morgen auf Seite eins zusammen. "Parlament genehmigte Extra-Pension Jahr um Jahr – für 2023 wieder 103.000 Euro vorgesehen", schreibt Het Laatste Nieuws.
Gestern war der zweite Tag der Saga rund um die Pensionen von zwei Ex-Kammervorsitzenden und einigen Spitzenbeamten, rekapituliert Het Nieuwsblad in seinem Leitartikel: Und es wurde nur noch beschämender. Ehrlich gesagt bleiben kaum noch Argumente, um den Vorwurf zu widerlegen, dass sich Politiker bei Geld gerne selbst bedienen. Viele fundamentale Fragen sind nach wie vor unbeantwortet: Wer hat was beschlossen? Wie kann es sein, dass äußerst großzügige Pensionsobergrenzen festgelegt wurden, die für die Ex-Kammervorsitzenden Herman De Croo, Open VLD, und Siegfried Bracke, N-VA, noch aufgestockt wurden? Geht es hier um bewussten Betrug? Waren es Machenschaften von Spitzenbeamten? Gestern kam noch eine neue Dimension dazu: Die Kammer stellt nicht nur den eigenen Haushalt auf, sondern überwacht auch selbst die entsprechenden Ausgaben. Offensichtlich ist niemandem im Halbrund aufgefallen, dass hier jahrelang etwas schiefgelaufen ist: Jahr um Jahr hat das Parlament die Zusatzzahlungen automatisch genehmigt. Die Politiker nehmen doch schon seit Jahren alle Haushaltszahlen genauestens unter die Lupe, um noch irgendwo sparen zu können. Aber offenbar ist dieser Spardrang wesentlich weniger ausgeprägt, wenn es um das eigene Geld geht, giftet Het Nieuwsblad.
Eine Demütigung für viele hart arbeitende Belgier
Das Schauspiel wird immer beschämender, hält auch Gazet van Antwerpen fest. Dass die aufgestockten Pensionen so lange ausbezahlt worden sind, ist ein Skandal. Und die weltfremde Reaktion von Herman De Croo tat einfach weh: Er habe die 6.000 Euro pro Monat gar nicht bemerkt. Auch das Gehabe von Siegfried Bracke, der während seines Urlaubs nicht mit solchen Lappalien behelligt werden wollte, ist einfach empörend. Extrem bizarr ist auch, dass angeblich niemand mehr weiß, wie diese Regelung ursprünglich überhaupt zustande gekommen ist – und wie sie damals grünes Licht bekommen konnte. Das sagt leider sehr viel über die Qualität der Arbeit des Parlaments aus, so die heftige Kritik von Gazet van Antwerpen.
Siegfried Bracke galt während der letzten Regierungsperiode doch als einer der Pensionsexperten der N-VA, erinnert De Morgen. Bracke war beteiligt an der Anhebung des gesetzlichen Rentenalters und der Abschaffung von Pensionsboni. Schmerzhafte Eingriffe, so der N-VA-Politiker damals, aber notwendige, um die Pensionen bezahlbar zu halten. Ein Pensionsbonus ist seinem Expertenauge aber offenbar entgangen. Der, in dessen Genuss er selbst üppig kommt. Es stimmt zwar, dass weder De Croo noch Bracke die Regeln für ihre eigenen Pensionen aufgestellt haben. Aber die Einstellung, solche Zusatzzahlungen "normal" zu finden, ist schlicht eine Demütigung für die vielen hart arbeitenden Belgier, die mit einem Bruchteil davon klarkommen müssen, wettert De Morgen.
Was wusste die PTB wirklich?
Die Zusatzzahlungen allein sind schon höher als die Renten vieler Bürger, hebt Het Laatste Nieuws hervor. Gestern hat die linksextreme PTB erklärt, dass sie diese Sonderregelung ja schon habe streichen lassen wollen. Die traditionellen Parteien hätten dies aber wie immer abgeschmettert. Aber die PTB will ja immer alles streichen. Die Frage ist auch, ob die PTB überhaupt wusste, was sie damals abschaffen wollte. Falls ja: Warum ließ sie diese mediale Bombe damals nicht platzen? Warum überließ sie diese Steilvorlage den Erzrivalen der frankophonen Sozialisten PS, die die Geschichte jetzt publik machten?, fragt Het Laatste Nieuws.
Für La Libre Belgique reiht sich der Pensionsskandal ein in eine endlos scheinende Reihe der Verschwendung öffentlicher Gelder. Siehe kontroverse Reisen von Politikern, überzogene Spesen von Regionalabgeordneten oder auch, dass CSC-Gewerkschaftsboss Marc Leemans effektiv in Rente will, obwohl er doch eigentlich noch gar nicht die dafür notwendigen Bedingungen erfüllt. Diejenigen, die öffentliche Gelder missbrauchen, schaden uns allen. Der Aufstieg populistischer Parteien sollte uns nicht nur beunruhigen. Vielmehr sollte er uns zwingen, endlich hart gegen so parasitäres Verhalten durchzugreifen, fordert La Libre Belgique.
Steuerreformpläne: doch kein Wunder
Ein weiteres politisches Thema in den Leitartikeln sind die Steuerreformpläne von Finanzminister Vincent Van Peteghem: Es schien fast wie ein Wunder in der Kammer nach der Schlammschlacht um die Pensionszuschläge, kommentiert De Standaard. Van Peteghems Vorschläge bekamen von einer Mehrheitsfraktion nach der anderen Zustimmung im Halbrund. Durch harte Arbeit und subtile Gleichgewichte schien der Finanzminister alle Vivaldi-Partner überzeugt zu haben, die sich sonst ja nichts mehr gönnen. Das führte zu einer paradoxen Situation: Premierminister Alexander De Croo, der sich, wie auch sein Parteivorsitzender, gerade noch skeptisch über einen Erfolg geäußert hatte, bekam eine mögliche Einigung quasi auf dem Silbertablett serviert. Tja, wenn da nur nicht wieder der MR-Vorsitzende Georges-Louis Bouchez gewesen wäre, der die Pläne umgehend wieder in den Papierkorb beförderte. Auch wenn Bouchez mit seiner inhaltlichen Kritik teilweise Recht hat: Er hat mit seinem demonstrativen und öffentlichen Machtwort von außen achtlos den Eindruck zunichtegemacht, dass Regierung und Parlament auch unter schwierigen Umständen eine konstruktive und innovative Politik führen können, bedauert De Standaard.
Boris Schmidt