"Belgien kassiert zwei Milliarden Euro durch den Verkauf eines Teils seiner BNP-Paribas-Anteile", titeln L'Echo und De Tijd. Der belgische Staat war bislang der Hauptaktionär der französischen Großbank. Dies war noch eine Folge der Weltfinanzkrise. Als die Fortis-Gruppe 2008 ins Wanken geriet, hatte der belgische Staat die Finanz-Holding erst übernommen, um sie dann größtenteils an BNP Paribas weiterzuverkaufen. Der Deal wurde unter anderem in Aktien abgewickelt. Eine erste Tranche dieser Anteile hat der belgische Staat schon 2017 zu Geld gemacht. Ein Drittel der noch verbleibenden Anteile wird jetzt verkauft. Der Erlös: knapp zwei Milliarden Euro.
Die richtige Entscheidung
Diese Entscheidung ist richtig, urteilt De Tijd in ihrem Leitartikel. Es ist schlicht und einfach nicht die Aufgabe eines Staates, Großaktionär eines ausländischen kommerziellen Geldhauses zu sein. Und wirklich Einfluss nehmen auf die Entscheidungen des Managements konnte man im Übrigen auch nicht. Klar: Der Staat hat durch seine Beteiligung stattliche Dividenden kassiert. Aber auch das ist kein Argument; Steuergelder sollten nun mal nicht für Anlageinvestitionen verwendet werden. Der Erlös in Höhe von zwei Milliarden Euro geht in Ordnung. Der heutige Aktienkurs entspricht mehr oder weniger dem von 2008. Mit dem Geld kann man jetzt die Staatsschuld etwas drücken. Nur ist das leider ein Tropfen auf dem heißen Stein.
Viele Leitartikler beschäftigen sich aber vor allem mit einem neuen Vorstoß der flämisch-nationalistischen N-VA. Die Partei von Bart De Wever wünscht sich demnach die Einführung eines sogenannten "Volksbegehrens", das es dem Parlament erlauben würde, Entscheidungen des Verfassungsgerichtshofes oder des Europäischen Menschenrechtsgerichtshofes zu überstimmen.
Die N-VA rüttelt am Fundament der Demokratie
"Hände weg von den Richtern!", zischt Le Soir in seinem Kommentar. Wir wissen längst, dass die N-VA sich schwer damit tut, sich Gerichtsentscheidungen zu unterwerfen, die ihr politisch nicht in den Kram passen. Wiederholt haben Leute wie Theo Francken Richter pauschal als "weltfremd" abqualifiziert. Besonders scharf schoss die N-VA auf den Menschenrechtsgerichtshof in Straßburg, der angeblich die Staaten daran hindere, die Migrationspolitik zu führen, die sie wollen.
Aus Sicht der N-VA ist es also nur konsequent, wenn sie jetzt die Gerichte der Politik unterordnen will. Das allerdings ist ein Angriff auf ein fundamentales demokratisches Prinzip. In einem Rechtsstaat gilt nun mal die Gewaltenteilung, ist es Aufgabe der Justiz, die Bürger vor möglichem Machtmissbrauch der Politik zu schützen. Dass eine Partei dieses Fundament der Demokratie antasten will, muss aufs Schärfste verurteilt werden.
De Morgen sieht das genauso. Die N-VA scheint denselben Weg einschlagen zu wollen wie Ungarn, Polen oder jetzt auch Israel. Auch hier ist es das Ziel, der Justiz und insbesondere dem Verfassungsgerichtshof die Flügel zu stutzen. Das "Volksbegehren" der N-VA mag ja auf den ersten Blick noch legitim erscheinen. Grob gesagt hätte das Volk über seine Vertreter im Parlament das letzte Wort. Und die Macht liegt ja schließlich beim Volk. In einem demokratischen Rechtsstaat garantiert aber die Judikative, dass der Mehrheitswille nicht in eine Diktatur der Mehrheit ausartet. Demokratie bedeutet nämlich auch: Respekt der Minderheit.
Das 20. Jahrhundert hat uns gelehrt, wie gefährlich es sein kann, wenn eine Mehrheit ungebremst agieren kann. Wer ein Problem damit hat, dass Richter bei der Interpretation von Gesetzen eine zu gewichtige Rolle einnehmen, für den gibt es eine Lösung: Dann muss der Gesetzgeber seine Texte eben präziser ausformulieren.
Der N-VA-Vorschlag lässt erschaudern
De Standaard nimmt einen nuancierteren Standpunkt ein. Auf der einen Seite ist es natürlich richtig, dass der Volkswille durch Leitplanken begrenzt wird; dass es Gesetze und Richter gibt, die die individuellen Rechte und auch die von Minderheiten schützen. Auf der anderen Seite werden Demokratien aber auch bedroht durch das, was Forscher als einen "aristokratischen Exzess" bezeichnen.
Grob zusammengefasst: Institutionen sind nie vollkommen wertfrei; sie dienen Interessen und agieren häufig mit Blick auf ihren eigenen Machterhalt. Auf diese Weise schaffen sie de facto eine privilegierte Elite. Und für einige Forscher ist die Konzentration von Macht und Reichtum bei einer kleinen Elite gefährlicher für die Demokratie als die Bedrohung durch den Populismus. Denn, mal ehrlich: Wo bleibt denn das "Volksbegehren" gegen die Monstergewinne, die in der Corona- oder Energiekrise von einigen multinationalen Konzernen eingefahren wurden?
All dieser staatsphilosophischen Überlegungen zum Trotz, findet Het Nieuwsblad den N-VA-Vorstoß immer noch beunruhigend. Vor allem der Vorwurf, wonach gewisse Gerichte die Politik regelrecht torpedieren, kann nichts anderes sein als ein populistischer Kinnhaken. Das fängt schon bei der Wortwahl an: Von "aktivistischen Richtern" zu sprechen, das klingt so, als handele es sich dabei um lupenreine Saboteure. Wenn eine Partei nach eigenen Worten dem "Volkswillen wieder seinen gebührenden Platz einräumen" will, dann kann es einem nur kalt über den Rücken laufen. Nun gut, bislang ist es ja nur ein Vorschlag. Wenn der N-VA-Parteikongress wirklich, wie er selbst behauptet, der "Hüter der Demokratie" ist, dann kann er diese Idee am kommenden 14. Mai nur abschmettern.
Roger Pint