"Wladimir Putin hält lange erwartete Rede vor russischem Parlament", schreibt De Morgen auf Seite eins. "Putin setzt Nuklearabkommen mit Vereinigten Staaten aus", meldet Gazet van Antwerpen. "Putin nutzt erneut Angst vor Atomkrieg und bereitet Russen auf langen Krieg vor", so De Standaard. "Nukleare Erpressung und Putins Tirade gegen den Westen", fasst Het Belang van Limburg zusammen. "Er ist mehr denn je überzeugt, dass er recht hat – aber was stimmt eigentlich von seinen ganzen Behauptungen?", zerpflückt Het Nieuwsblad die Rede. "Wladimir Putin reiht erneut die Unwahrheiten aneinander, um seinen Krieg zu rechtfertigen", urteilt La Libre Belgique.
Was müssen wir von Putins widerlichem Potpourri in Erinnerung behalten?, fragt L'Avenir in ihrem Leitartikel. Zunächst seine Entschlossenheit, seine Offensive fortzusetzen – koste es, was es wolle. Zweitens, dass er sich mal wieder als friedlicher Führer darstellt, der sich nur verteidigt gegen einen Westen, der die Ukrainer als Geisel genommen hat. Auf ideologischer Ebene hat Putin den Krieg erneut als Kampf der Kulturen gegen den Westen dargestellt. Putin hat auch angekündigt, dass sich Russland aus dem nuklearen Abrüstungsabkommen "New Start" mit den USA zurückziehen wird, und er hat mit neuen Atomtests gedroht.
Innenpolitisch hat er bestätigt, dass es in Russland 2024 Präsidentschaftswahlen geben wird. Und auch wenn er nicht explizit seine Kandidatur bekanntgegeben hat, hat er doch unmissverständlich klargemacht, dass er sich für unverzichtbar hält und das Volk seine Macht zu bestätigen hat. Man sollte auch immer darauf achten, was nicht gesagt worden ist. Abgesehen von einer Schweigeminute für die angeblich von "ukrainischen Neonazi-Todesschwadronen" getöteten russischen Soldaten hat sich Putin nicht zur militärischen Lage geäußert. Ein Eingeständnis der Schwäche ein Jahr nach Beginn der Invasion, die nur einige Tage dauern sollte, so L'Avenir.
Faschistoid, rassistisch und homophob
Der Westen ist also das Reich der Perversion, in dem Kinder misshandelt werden und Pädophilie zur Tagesordnung gehört, fasst Le Soir zusammen. Hier werden Priester also gezwungen, homosexuelle Hochzeiten zu segnen, hier werden heilige Texte infrage gestellt und wollen einige Kirchen über einen Gott mit einem anderen Geschlecht nachdenken. Kurz: Der Westen ist eine spirituelle Katastrophe, die von einer wahnsinnig gewordenen Elite kontrolliert wird. Deswegen muss die einzige Mission lauten, zukünftige Generationen gegen diesen Verfall und diese Dekadenz zu schützen. Das ist zusammengefasst die faschistoide, rassistische und homophobe Rede Putins. Wer noch irgendwelche Zweifel hatte, dass es nur einen Täter gibt, nämlich Russland, und nur ein Opfer, die Ukraine, dem ist gestern das Gegenteil bewiesen worden. Vom Hauptverantwortlichen selbst, der hoffentlich bald Hauptangeklagter sein wird, giftet Le Soir.
Der Dritte Weltkrieg war noch nie so nah
Die kriegerische Rede Putins hat sicher nicht dazu beigetragen, die Weltuntergangsuhr aufzuhalten, stellt La Dernière Heure fest. Er hat in puncto Aggression sogar einen Gang höher geschaltet, indem er demonstrativ mit Atomwaffen gedroht hat. Wie in der "guten alten Zeit" des Kalten Krieges also. Und wie auch damals soll wieder der Westen an Allem schuld sein. Zweifelsohne versucht Putin, den Westen einzuschüchtern, damit der den Ukrainern nicht die geforderten Kampfjets und Raketen mit größerer Reichweite liefert. Selbst, wenn alle sich einreden wollen, dass es nicht so ist: Der Dritte Weltkrieg war noch nie so nah wie gerade, befürchtet La Dernière Heure.
Dass Putin das Abrüstungsabkommen aussetzt, sollte niemanden kalt lassen, warnt L'Echo. Selbst wenn das Abkommen eigentlich schon eine Weile ziemlich tot ist, so ist es doch der letzte verbindliche Text über Rüstungskontrollen zwischen den beiden Atommächten Russland und Vereinigte Staaten. Alle Länder der Welt, selbst die, die die russische Aggression nicht verurteilen wollen, sind davon betroffen, Moskaus Erpressungsversuche schaden allen. Russland sollte allerdings nicht erwarten, dass es sich mit einer internationalen Kontrolle seiner Arsenale den geforderten Rückzug der NATO und die Entwaffnung der Ukraine erkaufen kann, meint L'Echo.
China: Auf der falschen Seite der Geschichte
Der Herr des Kremls hat kein Interesse an Friedensverhandlungen erkennen lassen, hält La Libre Belgique fest. Im Gegenteil: Putin hat eine weitere Eskalation auf dem Schlachtfeld versprochen. Zeitgleich hat sich auch China zu Wort gemeldet und gefordert, dass bestimmte Länder nicht noch mehr Öl ins Feuer gießen sollten. Eine irritierende Aussage. China ist zwar nicht direkt für den Krieg verantwortlich, hat Putin durch seine "bedingungslose" Unterstützung aber sicher auch nicht entmutigt. Außerdem verhindert China eine Verurteilung Russlands und hilft dem Land wirtschaftlich und bei der Umgehung der internationalen Sanktionen.
Der logische Platz Chinas wäre doch an der Seite des Westens. Denn nur dank des Westens ist China die beispiellose Modernisierung der letzten vier Jahrzehnte gelungen. Aber stattdessen stellt sich China auf die falsche Seite der Geschichte und verteidigt seit einem Jahr einen gewissen- und gesetzlosen Aggressor. Diese Falschpositionierung hat China bereits vergangene Woche zementiert, als es einen anderen Kreml-Verbündeten empfangen hat, den iranischen Präsidenten. Und das in einer Zeit, in der das Mullah-Regime mehr denn je durch seine Unmenschlichkeit schockiert, wettert La Libre Belgique.
Boris Schmidt