"Historischer Blitzbesuch", titelt Het Belang van Limburg. "Biden in Kiew ist wie Kennedy in Berlin 1963", zieht La Libre Belgique einen historischen Vergleich. "Staatsbesuch mit hohem Symbolwert", liest man beim GrenzEcho. "Bedingungslose Unterstützung vom 'besten Verbündeten': Nach dem Überraschungsbesuch von Biden in Kiew heißt es Warten auf die Rede Putins", blickt De Standaard voraus. "Bidens Besuch in Kiew: eine Warnung an potenzielle Unterstützer Russlands", titelt L'Avenir.
Die Botschaft hätte nicht klarer ausfallen können, kommentiert De Standaard den Besuch des US-Präsidenten in der ukrainischen Hauptstadt bei heulenden Luftschutzsirenen: Die Amerikaner und damit der Westen stehen fest hinter dem ukrainischen Volk und seinem Präsidenten Wolodymyr Selenskyj. Diese Bilder werden in die Geschichte eingehen, jeder Versuch, an diesem Bündnis zu kratzen, wird Vergleiche mit Neville Chamberlain 1938 in München nach sich ziehen. Die Russen werden sich derweil nur noch weiter in ihrer Überzeugung gestärkt sehen, dass sie Krieg gegen den gesamten Westen führen und dass es um nichts weniger als den Fortbestand Russlands geht. Gleichzeitig arbeitet Moskau selbst an starken diplomatischen Signalen, indem es versucht, China noch stärker hinter sich zu bringen. Nicht zufällig haben die Vereinigten Staaten China gerade erst wieder deutlich vor Waffen- und Munitionslieferungen für Putin gewarnt. Falls es den Russen unter schweren Verlusten gelingen sollte, in der Ukraine große Fortschritte zu machen, wird sich auch die Frage nach der Lieferung weiterer, noch mächtigerer US-Waffen stellen. Der erste Jahrestag wird nicht das Ende des Kriegs in Sicht bringen, noch nicht einmal den Anfang des Endes – höchstens das Ende des Anfangs, befürchtet De Standaard.
Der Blick richtet sich auf China
War es eine Warnung? Eine Provokation? Eine lange Nase? Eine Herausforderung? Eine Kriegserklärung? Man kann es analysieren, wie man will, schreibt Le Soir, aber eines ist sicher: Der Coup ist gelungen. Und der Zeitpunkt war sicher nicht zufällig gewählt, kurz vor dem ersten Jahrestag der russischen Invasion, denn die kommenden Wochen werden entscheidend werden – sowohl militärisch als auch politisch. Russland setzt weiter voll auf Angriff und die Gerüchte um chinesische Waffenlieferungen verheißen nichts Gutes, selbst wenn Peking die Vorwürfe kategorisch bestreitet, so Le Soir.
Het Belang van Limburg wirft China Doppelzüngigkeit vor: Einerseits behauptet Peking, vermitteln und Frieden schaffen zu wollen. Andererseits will China eine Demütigung Russlands in der Ukraine verhindern. Denn wenn der Westen in der Ukraine siegt, dann, so die Angst Chinas, wird es seine Entschlossenheit stärken, Taiwan gegen eine chinesische Aggression zu verteidigen. Nicht umsonst versuchte China auf der Münchner Sicherheitskonferenz platt, einen Keil zwischen Europa und die Vereinigten Staaten zu treiben. Auch wenn das bisher nicht zu gelingen scheint, zeigt es doch deutlich, was China vorhat, warnt Het Belang van Limburg.
Für La Libre Belgique war der Besuch Bidens ein starkes Signal in gleich mehrere Richtungen: Zunächst natürlich an die Ukrainer, dass die USA trotz interner politischer Veränderungen weiter zu ihnen stehen. Dann an die europäischen Verbündeten, dass Amerika entschlossen an ihrer Seite kämpft. Russland sollte klargemacht werden, dass die USA bereit sind, sich bis zum Sieg der Ukraine zu engagieren. Und schließlich war es auch ein Signal an die Bevölkerung der Vereinigten Staaten selbst: dass ihr Commander-in-Chief, ihr Oberbefehlshaber, auch mit 80 Jahren noch Herr der Lage ist. Der Kiew-Besuch gehört ganz eindeutig auch zur Strategie Bidens, sich die Wiederwahl zu sichern, analysiert La Libre Belgique.
Noch viel zu früh, um den Sieg zu feiern
De Tijd blickt auf die vom Ukrainekrieg verursachte Energie- und Wirtschaftskrise in Belgien: Der Staat hat die Wirtschaft kurzfristig vor großem Schaden bewahrt, räumt die Zeitung ein. Aber die teure staatliche Unterstützung war üppig, wenig selektiv und zeitlich nicht begrenzt genug. Dadurch fehlte Haushalten und Firmen oft ein echter Anreiz, sich anzupassen. Das wird sich langfristig rächen, denn es gibt keine Wirtschaftswunder. Es ist manchmal besser, sich für den kurzen Schmerz zu entscheiden, anstatt Ungleichgewichte zu schaffen, die der Wirtschaft langfristig schaden. So oder so ist es viel zu früh, um schon den Sieg zu feiern: Die Endabrechnung für diesen Krieg wird noch eine ganze Weile auf sich warten lassen, unterstreicht die Wirtschaftszeitung.
Lese- und Literaturkompetenz statt Verstümmelung
Themenwechsel: Der britische Herausgeber der Werke von Roald Dahl hat Hunderte Änderungen in den Kinderbüchern des Autors angekündigt. Begründung: Man wolle anstößige Inhalte und Wörter entfernen, die Themen wie Gewicht, psychische Gesundheit, Gewalt, Gender und Hautfarbe beträfen.
Dagegen regt sich internationaler Widerstand, merkt De Morgen an. Zu Recht, auch wenn sich die Entrüstung gegen breite Zensurversuche von allen Seiten richten sollte. Es ist wohl auch kein Zufall, dass diese sprachlichen Anpassungen kommen sollen, nachdem der Streaming-Anbieter Netflix die Stiftung übernommen hat, die die Rechte an Roald Dahls Werken verwaltet. So wie auch Facebook und Apple ist Netflix wohl daran gelegen, möglichst glatte, ja nicht anstößige Inhalte zu haben, deswegen die präventive Säuberung, um Ärger in der Zukunft zu vermeiden. Und das ist ein Problem: Hier wird in den Kern von Büchern eingegriffen, in das, was diese Ikone moderner Kinderliteratur ausmacht. Natürlich müssen und werden alle möglichen Bücher, Comics und so weiter im Lauf der Jahre modernisiert. Aber wenn uns Mediengiganten ihre Überempfindlichkeit aufzwingen wollen, ist große Zurückhaltung angebracht, findet De Morgen.
Hier geht es um Fiktion, um fantastische Geschichten, die durch Übertreibungen und Klischees nur noch besser werden, wirft Gazet van Antwerpen ein. Kinder, die das lesen, begreifen das. Zumindest Kinder, die in den Genuss von Sprach- und Literaturunterricht gekommen sind. Und genau hier drückt der Schuh: Dieser Unterricht ist so vernachlässigt worden, dass viele Kinder größte Mühe haben, überhaupt zu lesen – von Verständnis für das Gelesene ganz zu schweigen. Anstatt die Literatur anzupassen, sollten wir lieber Kindern besseres Lesen und den Umgang mit Literatur beibringen. Dann kann jeder Autor schreiben was und wie er will und müssen die Verlagshäuser nicht bei jeder neuen Ausgabe die Lupe rausholen, um unser literarisches Erbgut zu verstümmeln, giftet Gazet van Antwerpen.
Boris Schmidt