"Ein Sweatshirt im Wert von 40 Euro, aber unschätzbar als Signal", so die Schlagzeile von Het Laatste Nieuws. "Selenskyj sah aus, als käme er buchstäblich gerade aus dem Schützengraben", bemerkt auch De Morgen auf Seite eins.
Einige Zeitungen kommen noch einmal zurück auf die USA-Reise des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj. Der hatte unter anderem eine viel beachtete Rede vor dem US-Kongress gehalten. Dabei trat er nicht etwa im Maßanzug auf, wie es der Anlass vielleicht geboten hätte, Selenskyj trug vielmehr sein inzwischen bekanntes khaki-farbiges Sweatshirt, das an Armeekleidung erinnert. Die damit verbundene Botschaft lautet wohl: Der Krieg ist noch nicht vorbei, glaubt Het Laatste Nieuws. De Morgen stellt seinerseits schon einen fast gewagten Vergleich an: "Ist Selenskyj der neue Churchill?"
"Blut, Schweiß und Tränen"
Auch De Standaard erinnert sich in seinem Leitartikel an den legendären britischen Premierminister. Winston Churchill reiste im Dezember 1941 in die USA. Bei der Gelegenheit wurde die westliche Allianz geschmiedet, die in den Folgejahren den Kampf gegen Hitler aufnahm. Es ist denn auch naheliegend, hier Parallelen mit dem Besuch von Selenskyj in Washington zu ziehen. Die Bilanz fällt allerdings aus ukrainischer Sicht durchwachsen aus. Zwar bekommt Selenskyj sein Patriot-Luftabwehrsystem. Zyniker würden aber anmerken, dass das Amerika von Joe Biden der Regierung in Kiew gerade mal genug Mittel zur Verfügung stellt, um der russischen Aggression standzuhalten, nicht genug jedenfalls, um Putin wieder vollständig aus der Ukraine zu vertreiben. Die Botschaft an die Ukrainer ist also eine nach dem Motto "Blut, Schweiß und Tränen", nach dem Vorbild der berühmten Churchill-Rede von 1940.
Le Soir beschäftigt sich seinerseits in seinem Kommentar mit der Situation der Flüchtlinge insbesondere in Brüssel. Das Ende der eisigen Winterkälte in unseren Breiten liefert der Vivaldi-Koalition ein willkommenes Feigenblatt, meint die Zeitung. Die Asylkrise kann jetzt nämlich wieder dahin verfrachtet werden, wo sie war: in den politischen Kühlschrank. Die Tatsache, dass Hunderte Asylbewerber hierzulande keine Unterkunft finden, ist offensichtlich so ungefähr die letzte aller Sorgen der Regierung. Vor allem die flämischen Koalitionspartner wissen nämlich, dass sie mit dem Thema Migration beim Wähler keinen Blumentopf gewinnen können. Das ist einer Demokratie unwürdig. Flüchtlinge sind die Sündenböcke der Populisten. Das ist aber kein Grund, sie zu den Vergessenen unserer Gesellschaft zu machen.
Vivaldi-Flickschusterei
Apropos Vivaldi: Einige Zeitungen blicken mit zunehmender Sorge auf den Zustand der Koalition. Wieder wurde in der Kammer ein trauriges Schauspiel zum Besten gegeben, beklagt etwa La Libre Belgique. Zwar wurde der Haushalt 2023 am Ende immerhin verabschiedet. Der Text bleibt aber in vielen Punkten viel zu unklar. Letztlich ist das ein Spiegelbild der inneren Zerrissenheit der Vivaldi-Equipe. Die sieben Partner sind offensichtlich allesamt im Kopf schon im Super-Wahljahr 2024. Das verheißt für die nächsten Monate nichts Gutes. Es liegen schließlich noch einige wichtige Reform-Vorhaben auf dem Tisch. Angesichts des drohenden Stillstands kann der Bürger nur zuschauen, mal fassungslos, mal wütend, oft aber leider auch schulterzuckend.
Gazet van Antwerpen bringt ein Beispiel für die Vivaldi-Flickschusterei. Schauen wir uns etwa mal die Urheberrechts-Reform an. Weil insbesondere die frankophonen Liberalen MR hier quergeschossen haben, wurde der Text in einigen zentralen Punkten allzu vage formuliert. Laut Experten wird das dazu führen, dass die Entscheidung über die Besteuerung von Einkünften aus Urheberrechten am Ende bei den einzelnen Steuerämtern liegt. Rechtssicherheit sieht anders aus. Und das ist eine regelrechte Schande, führt es doch dazu, dass sehr viele Bürger im Moment nicht genau wissen, welcher Steuersatz für sie am Ende gelten wird. Politisches Stückwerk also, das sich nicht mehr auf politische Spielchen beschränkt, sondern Zehntausende Menschen in Schwierigkeiten bringt.
Der Gipfel des Zynismus
Diese Koalition steht schon seit Monaten am Abgrund, analysiert La Dernière Heure. Mindestens tausend Mal hat man schon den Sturz der Regierung vorhergesagt. Sie ist immer noch da. Vielleicht nicht stolz aufrechtstehend, aber sie lebt immerhin noch. Dies aber allenfalls, weil sie sich nicht zum Sterben durchringen kann. Resultat von alledem sind allerdings halbgare Entscheidungen, die das Land nicht wirklich weiterbringen. Man kann nur hoffen, dass sich die sieben Parteien bis 2024 doch nochmal zusammenraufen können. Im Sinne der Bürger.
Der oder die Belgierin des Jahres wird jedenfalls kein Politiker, meint jedenfalls Het Laatste Nieuws. Die Zeitung denkt dabei auch an die eigene Rangliste, die sie traditionell zum Jahresende veröffentlicht. Mal ehrlich: Die politische Klasse in diesem Land hat sich zumal in den letzten Wochen nicht wirklich mit Ruhm bekleckert. Da sorgte sogar schon ein Reförmchen, das gerade mal 70 Millionen Euro einbringen soll, für ernsten Koalitionsstress. Da darf man gar nicht darüber nachdenken, dass wir eigentlich milliardenschwere Reformen brauchen, um aus der Schuldenfalle herauszukommen. Und wir? Wir diskutieren über WhatsApp-Nachrichten. Aller Unkenrufe zum trotz ist diese Regierung immer noch im Amt. Das als einen Erfolg zu bezeichnen, das wäre aber der Gipfel des Zynismus.
Roger Pint