"Getöteter Polizist: Durcheinander und Fragen", titelt Le Soir. "Justizminister im Zentrum der Kritik", so der Aufmacher beim GrenzEcho. "Nach Messerstecherei im Brüsseler Nordbahnhofsviertel: 'Hier ist es schlimmer als in den Favelas'", zitiert De Standaard Anwohner auf seiner Titelseite.
Der tödliche Angriff auf zwei Polizisten vom vergangenen Donnerstag in der Nähe des Brüsseler Nordbahnhofs beschäftigt die Zeitungen weiter auch in ihren Leitartikeln. Allgemeiner Tenor dabei ist, dass es für Schuldzuweisungen noch zu früh ist.
Le Soir gibt zu bedenken: Viele Fragen sind weiter ungeklärt, wichtige Details fehlen immer noch. Zum Beispiel wissen wir noch nicht, was genau der spätere Attentäter auf der Polizeistation vor dem Anschlag gesagt hat. Wir wissen auch noch nicht, was genau dazu geführt hat, dass der Attentäter nicht bei der Polizei geblieben ist, sondern an einem Krankenhaus verwiesen wurde. Unklar ebenfalls, warum der Mann die Notaufnahme des Krankenhauses wieder verlassen hat. Fragen über Fragen. Der Bericht der Staatsanwaltschaft könnte erste Antworten liefern, hofft Le Soir.
Nullrisiko gibt es nicht
Het Nieuwsblad findet: Es bringt nichts, jetzt wild um sich zu schlagen und die Köpfe von vermeintlich Verantwortlichen zu fordern – so wie das die Polizeigewerkschaften gemacht haben. Sie haben den Rücktritt von Justizminister Vincent Van Quickenborne gefordert. Es liegt auf der Hand, dass die Gewerkschaften damit offene Rechnungen mit dem Minister begleichen wollen, die mit dem Anschlag nichts zu tun haben. Die Wut der Polizisten ist verständlich. Aber das Spektakel, das sie jetzt aufführen, ist fast schon respektlos. Es nützt weder den Opfern noch ihren Familien, noch verbessert es die Sicherheit der Polizisten selbst, ärgert sich Het Nieuwsblad.
Auch De Standaard rät zur Besonnenheit und zieht ein Vergleich mit der Vergangenheit: Als vor gut zehn Jahren der Missbrauch von Kindern durch Geistliche für eine Welle der Empörung gesorgt hat, wurden sinnvolle Konsequenzen daraus gezogen. Der Informationsfluss zwischen Ärzten, Lehrern, Psychiatern und anderen wurde deutlich verbessert, um besser gegen sexuellen Missbrauch an Kindern vorgehen zu können. Durchaus mit Erfolg. Ähnliches sollte jetzt passieren. Man muss die Ereignisse kritisch aufarbeiten und schauen, an welchen Stellen etwas verbessert werden kann, um das Risiko für solche Anschläge in Zukunft zu verringern. Wobei wir nicht vergessen dürfen: Das Nullrisiko gibt es leider nicht, bedauert De Standaard.
Demokratie in Frage gestellt
La Dernière Heure berichtet: Am Ort des Anschlags sollen ab heute alle kommerzielle Aktivitäten zwischen 1 Uhr und 6 Uhr morgens ruhen. In der Straße gibt es viel Prostitution, viele Nachtshops und einige behaupten, dass es kein Wunder sei, dass gerade dort der Messerangriff möglich wurde. Ein Zusammenhang zwischen Ort und Tat ist aber alles andere als bewiesen. Ganz im Gegenteil muss man davon ausgehen, dass der Polizistenmörder überall hätte zuschlagen können. Um die Sicherheit an einem bestimmten Ort zu erhöhen, bedarf es Langzeitmaßnahmen. Kurzfristige Aktionen bringen gar nichts, behauptet La Dernière Heure.
La Libre Belgique kommentiert die Ergebnisse einer repräsentativen Umfrage: Fast jeder zweite Jungwähler zeigt sich davon überzeugt, dass unsere Gesellschaft besser funktionieren würde, wenn eine einzige Person an der Spitze des Staates stünde. Jeder fünfte Belgier wäre sogar dazu bereit, die Demokratie aufzugeben. Diese Meinungen sind nicht nur das Ergebnis der großen Unübersichtlichkeit unseres politischen Systems in Belgien, sondern auch ein Zeichen der großen gesellschaftlichen Spaltung in vielen Bereichen. Festzuhalten ist allerdings auch, dass es gute Vorbilder für besser funktionierende System nicht gibt. Für unsere Politiker sollte das Meinungsbild Ansporn sein, wieder weitsichtige, verantwortungsvolle Politik zu führen und aus dem ständigen Wahlkampfmodus herauszukommen, der die aktuelle Politik prägt, rät La Libre Belgique.
Wiederholt sich die Geschichte?
De Morgen schreibt zur Situation in der Ukraine: Nach dem Rückzug der russischen Truppen aus Cherson, ein erneuter großer Rückschlag für das russische Militär, werden in der Ukraine schon Stimmen laut, die von einem möglichen Sieg bis zum Sommer sprechen. Ganz von der Hand zu weisen, ist das nicht. Im vergangenen Jahrhundert hat Russland viermal Kriege nicht gewonnen, die es gegen viel kleinere Staaten geführt hat: 1904 gegen Japan, 1921 gegen Polen, 1939 gegen Finnland und in den 80er Jahren gegen Afghanistan. Die Geschichte könnte sich wiederholen. Es wäre zu hoffen, notiert De Morgen.
L'Avenir bemerkt zur anstehenden Fußballweltmeisterschaft in Katar: Bis zum Schluss hält die Kritik an dem reichen Wüstenstaat an. Die Ausbeutung der Arbeiter, die unter menschenunwürdigen Verhältnissen die Stadien für die WM bauen mussten, wird weiter angeprangert. Ganz zum Unmut der Kataris. Die daran erkennen müssen: Nicht alles lässt sich mit Geld kaufen, unterstreicht L'Avenir.
Kay Wagner