"Ein typisch belgischer Kompromiss", titelt Le Soir zum gestern vorgestellten föderalen Haushalt für die Jahre 2023 und 2024. "Es gibt einen Haushalt, aber wenige Gründe, zu lachen", so die Überschrift bei Het Laatste Nieuws. "Zwei Budgets und ein neues Reformversprechen", fasst L'Echo zusammen. "Regierung beschließt drei Milliarden Euro Energiehilfe – 1.000 Euro Entlastung bei Gas und Strom", liest man auf Seite eins des GrenzEchos.
Die Regierungserklärung enthält zweifelsohne positive Maßregeln, unterstreicht Het Belang van Limburg: Es kommt eine retroaktive Besteuerung der Übergewinne von Energiefirmen. Die zusätzlichen Einkünfte werden die Nachlässe auf die Energierechnungen der Haushalte finanzieren. Die Mehrwertsteuer auf Gas und Elektrizität wird dauerhaft gesenkt, der ausgeweitete Sozialtarif beibehalten. Betriebe werden steuerlich entlastet, um den Energie- und Index-Infarkt zu verhindern. Das Flexi-Job- und Studentenjob-System wird ausgeweitet, der Wohnbonus auf Zweitwohnungen endlich abgeschafft. Und die Minister zeigen Empathie und Solidarität, indem sie acht Prozent ihres Gehalts abliefern. So viel zu den guten Nachrichten. Die schlechten sind, dass es keinen klaren Kurs gibt, dass es weiter keine großen Reformen gibt. Die so notwendige Sanierung der Staatsfinanzen ist einmal mehr aufgeschoben worden. Wie groß muss die Dringlichkeit eigentlich noch werden, um dieser typisch belgischen Prokrastination ein Ende zu machen?, fragt Het Belang van Limburg.
Was ist, wenn sich der Sturm nicht legt?
Die Aufgabe des Staates ist, die Menschen in so schwierigen Zeiten zu beschützen, zitiert De Tijd aus der gestrigen Regierungserklärung. Aber um jemanden beschützen zu können, muss man selber gesund sein. Und das ist der Föderalstaat seit Jahrzehnten nicht mehr. Während der Premierminister vor der Kammer sprach, veröffentlichte der Internationale Währungsfonds Wirtschaftsaussichten, nach denen Belgien für 2025 auf das größte Haushaltsdefizit der Eurozone zusteuert. Gleichzeitig sind die Zinsen für belgische Staatsschulden auf den höchsten Stand in zehn Jahren geschossen. Das Bild, das wir von der Regierungserklärung zurückbehalten, ist das eines Staates, der versucht, seine Rolle als Beschützer so weit wie möglich auszufüllen, aber dabei auf Grenzen stößt, fasst De Tijd zusammen.
Mit erst der Corona- und dann der Energiekrise hat diese Regierung sehr viel Kraft in zwei enorme und noch nie dagewesene Krisen stecken müssen, merkt Het Laatste Nieuws an. Das sollte die Kritiker am Spielfeldrand etwas milder stimmen bei der Bewertung des Haushalts. Aber das bedeutet nicht, dass wir uns blind und taub stellen sollten angesichts der Herausforderungen, die noch auf uns zukommen. Denn die werden groß sein. Premier De Croo hat gesagt, dass er die Menschen beschützen will. Wird er uns beschützen, wenn es um bezahlbare Renten geht? Wird der Staat genug Mittel haben, um unsere Widerstandskraft gegen den Klimawandel zu stärken? Man werde das Haus Belgien auf Vordermann bringen, wenn sich der Sturm gelegt habe, so De Croo. Aber was ist, wenn sich der Sturm nicht legt? Dann wird die Zugluft, die durch all die nicht reparierten Löcher und Ritzen hereinströmt, für sehr viel Kälte sorgen, warnt Het Laatste Nieuws.
Eine verpasste Chance
Eigentlich ist das doch ein historischer Augenblick, meint Gazet van Antwerpen. Die Regierung wird Übergewinne besteuern und sich Geld bei denen holen, die es im Überfluss haben, um es unter der Bevölkerung zu verteilen, die unter der Energiekrise ächzt. Vor einem Jahr hätte man so etwas noch als reine politische Science-Fiction abgetan, jetzt wird es Realität. Zumindest, wenn es nicht noch juristisch gekippt wird. Auf der Minusseite und wenn man zynisch sein will, kann man sagen, dass sich die Regierung mit dem neuen Haushalt einmal mehr in einer klassisch belgischen Disziplin geübt hat, nämlich dem Einziehen von Steuern. Und man wird sehen müssen, ob die Zahlen, die jetzt auf Papier in den Haushaltstabellen stehen, sich auch bewahrheiten werden. Große Reformen sind einmal mehr unerreichbar gewesen. Aber das waren sie immer, unter jeder Regierung, erinnert Gazet van Antwerpen.
Für L'Echo ist der Haushalt durch den Mangel an Reformen eine verpasste Chance: All die Baustellen, die so wichtig für die Zukunft des Staates sind, bleiben in der Schwebe, werden auf später verschoben. Es gibt nicht die geringste Maßnahme bezüglich der Renten, noch nicht einmal eine Skizze einer Steuerreform. Und was die lang versprochene Reform des Arbeitsmarkts angeht, ist bislang auch noch nicht wirklich viel passiert. Anstatt nur kurzfristige Notfallmaßnahmen zu ergreifen, hätte die Regierung gut daran getan, einige ihrer internen Differenzen zu überbrücken, um mit einer Einigung zu landen, die auch etwas für die Zukunft bringt, beklagt L'Echo.
Bazooka oder Wasserpistole?
Zumindest hat es die Regierung geschafft, eine Einigung zustande zu bringen, das ist schon mal ein Verdienst, hebt La Dernière Heure hervor. Die Frage, ob es sich um eine gute Einigung handelt, tja, darüber kann man zumindest streiten. All die vorgestellten Energiemaßnahmen werden nicht ausreichen, um Dramen so gut verhindern zu helfen, wie es eine Deckelung der Energiepreise gekonnt hätte. Der Premier hat bombastisch davon gesprochen, dass der Staat "die Bazooka", die Panzerfaust herausgeholt habe. Dann sollte er mal bitte auf Deutschland und sein Unterstützungspaket von 200 Milliarden Euro schauen. DAS ist eine Bazooka. Jedenfalls im Vergleich zur Wasserpistole, die Belgien gezückt hat, kritisiert sinngemäß La Dernière Heure.
Es ist der Klassiker, kommentiert L'Avenir: Alle Parteien der Regierungskoalition haben gewonnen, alle können sich mit einer neuen Feder schmücken. Die Kunst des belgischen Kompromisses. Manche vermissen schon strukturelle Reformen. Aber ist das nicht letztlich eine gute Sache? Es gibt nichts mit ungewisserem Ausgang, als solche Entscheidungen in aller Eile treffen zu müssen. Ja, eine so heterogene Mannschaft wie die Vivaldi kann zu lähmenden Kompromissen führen. Aber in diesem Fall ist das zu begrüßen, denn so werden so wenige Menschen wie möglich im Stich gelassen. Es ist ein Kompromiss des geringsten Übels, meint L'Avenir.
Boris Schmidt