"Putin besiegelt Annexionen in Ostukraine – scharfe Reaktion aus EU und USA", schreibt das GrenzEcho auf Seite eins. "Putin annektiert vier ukrainische Regionen. Und was jetzt?", fragt La Libre Belgique. "Putin macht aus der 'Spezialoperation' in der Ukraine einen existenziellen Kampf gegen den Westen", fasst De Standaard die Annexionsrede in Moskau gestern zusammen, bei der Wladimir Putin dem Westen alles Mögliche und Unmögliche vorgeworfen hat, von Kolonialismus bis Satanismus.
Für das GrenzEcho zeigen die Rede des Kremlherrschers und sein auch erneut nukleares Säbelrasseln, dass er eindeutig mit dem Rücken zur Wand steht. Die Gefahr einer nuklearen Eskalation ist möglicherweise so groß wie seit der Kubakrise 1962 nicht mehr. Russland ist der Aggressor und hat im Februar einen völkerrechtswidrigen Krieg vom Zaun gebrochen. Zur Wahrheit gehört aber ebenso, dass die USA nicht an einem raschen Ende der Kampfhandlungen interessiert sind, behauptet die Zeitung. Sie leisten nicht aus reiner Nächstenliebe zur Ukraine milliardenschwere Militärhilfe, sondern weil sie knallharte Interessen in Osteuropa verfolgen, während die EU mit sich selbst beschäftigt bleibt. Die Kubakrise ging mit einem Kompromiss der beiden Weltmächte und dem Abzug der jeweiligen Raketenbestände zu Ende. Hier endet der Vergleich, denn für eine Verständigung gibt es im Ukraine-Krieg derzeit keinerlei Spielraum. Dem Westen bleibt nicht anderes übrig, als die Ukraine weiterhin zu unterstützen und die Sanktionen gegen Russland aufrechtzuerhalten. Putin wird früher oder später nicht mehr Präsident sein. In die Knie zwingen kann ihn aber nur das eigene Volk oder die Elite in Russland, glaubt das GrenzEcho.
Die Evolution der Proteste im Iran
Le Soir blickt auf die Proteste im Iran: Aus der spontanen Empörung über den Tod einer jungen Frau ist eine Mobilisierung für mehr Freiheit geworden. Also eine Bewegung gegen die totalitäre iranische Politik. Die hat verstanden, was auf dem Spiel steht und hat die Reihen geschlossen. Der Staat hat im Iran quasi das absolute Monopol über alle Waffen und weiterhin zahlreiche fanatische Anhänger. Er zögert nicht, mit aller Gewalt die Proteste brutal niederzuschlagen. Aber wenn es nicht zu Blutbädern überall im Land kommt, ist es schwer vorstellbar, dass die Demonstranten einfach aufgeben werden. Man kann aktuell von einer vorrevolutionären Situation sprechen, mit all den Gefahren, die unorganisierte Demonstranten und ein zu allem entschlossenes Regime mit sich bringen, analysiert Le Soir.
Energiekrise: Die Zeit drängt
Das Hauptaugenmerk der Leitartikel gilt heute aber der Energie-Preiskrise und ihren finanziellen und wirtschaftlichen Folgen: Viel hängt bei der Bewältigung dieser Krise davon ab, wie erfolgreich alle Ebenen der Politik darin sein werden, wieder Ruhe in die Situation zu bringen, schreibt De Standaard. Unser Blick richtet sich hier aber weniger auf die Regionen oder auf Belgien, sondern auf Europa. Und hier stellen sich Fragen über das zugrundeliegende Solidaritätsprinzip. Dass Deutschland zwar einerseits ein beeindruckendes Unterstützungspaket für die eigenen Firmen und Haushalte geschnürt hat, aber gleichzeitig eine europäische Preisdeckelung für Gas blockiert, riecht stark nach einer "Jeder-für-sich"-Haltung. Die Bundesrepublik hat nun einmal tiefere Taschen als die anderen EU-Staaten, sie hat ihre Gasspeicher zu höchsten Preisen gefüllt. So ein Verhalten kennen wir noch aus der Bankenkrise. Auch damals handelte es sich um ein globales Problem, aber alle Mitgliedsstaaten wollten nur ihre eigenen Banken retten. Wenn die Fehler von damals wiederholt werden, dann kann das das Vertrauen in Europa ernsthaft beschädigen, warnt De Standaard.
La Libre Belgique blickt nach Belgien und fragt: Ist es Inkompetenz? Mangelnder politischer Mut? Eine dramatische Handlungsunfähigkeit? Natürlich haben Belgien und seine Regionen nicht die Art von Hebeln, um gegen die aktuelle Inflationswelle zu kämpfen, wie sie etwa Frankreich oder Deutschland haben. Hebel haben sie aber trotzdem. Es ist die Komplexität der politischen Allianzen, die einmal mehr die Entscheidungsprozesse ausbremst. Natürlich werden starke Maßnahmen viel kosten, sehr viel sogar. Keine Maßnahmen bedeuten aber Pleiten, eine Verarmung der Mittelschicht und eine Explosion der Arbeitslosigkeit. Kosten also, die langfristig völlig außer Kontrolle geraten würden. Deshalb brauchen wir eine Regulierung beziehungsweise Deckelung der Strompreise, die Aussetzung bestimmter Umweltsteuern und die Senkung der Sozialbeiträge für Firmen und Steuererleichterungen für die Einkommen. Die Zeit drängt!, unterstreicht La Libre Belgique.
Während Energiekonzerne wie TotalEnergies und Shell und ihre Anteilseigner über Milliardengewinne jubeln, zerrütten die hohen Energiepreise unsere Gesellschaft, Wirtschaft und Politik, hält De Morgen fest. Das ist eine unhaltbare Situation, das müssen selbst die liberalsten Verteidiger der freien Marktwirtschaft zugeben. Die Mega-Profite sind ja nicht die Folge genialer Innovationen oder einer gesteigerten Produktivität, sondern eines Versagens der Märkte. In dieser Hinsicht ist es gut, dass die Europäische Union sich endlich darauf geeinigt hat, die Übergewinne bestimmter Firmen zu besteuern. Wenn das richtig umgesetzt wird, dann wird das zeigen, dass die Politik als Vertretung des Volkes zwar vielleicht nicht über Wunderlösungen verfügt, aber auch nicht vollkommen machtlos da steht. Es ist mehr als Symbolpolitik, mit dem abgeschöpften Geld kann der Staat den Menschen zum Beispiel helfen, ihre Häuser besser zu isolieren und ihre Gasheizungen loszuwerden. Das wird umso wichtiger jetzt, wo es mehr und mehr danach aussieht, dass die Krise und das Zähnezusammenbeißen mehr als nur einen Winter dauern wird, ist De Morgen überzeugt.
Die Frage der automatischen Indexierung der Löhne
Het Belang van Limburg greift, wie viele andere Zeitungen auch, eine Forderung des Gouverneurs der Nationalbank, Pierre Wunsch, auf. Der hatte unter anderem gesagt, dass es möglich sein müsse, über die Modalitäten der automatischen Indexierung der Löhne zu sprechen. Durch diese Indexierung bekommen unsere Firmen immer mehr Probleme, kommentiert die Zeitung. Trotz der großen Gewinne des Jahres 2021 müssen sie Investitionen und Neueinstellungen verschieben, es drohen der Verlust von Arbeitsplätzen und selbst Pleiten. Dennoch halten viele weiter krampfhaft an der heiligen Kuh der automatischen Indexierung fest. Nicht darüber zu sprechen, ist schlicht fahrlässig. Gespräche machen aber nur dann Sinn, wenn sowohl Arbeitgeber als auch Arbeitnehmer ihre Blockadehaltung aufgeben und akzeptieren, dass der Staat keine Vollkaskoversicherung gegen alle Risiken sein kann. Es gibt das Sprichwort, dass harte Zeiten harte Maßnahmen erfordern. Höchste Zeit, entsprechend zu handeln, appelliert Het Belang van Limburg.
Die Wirtschaftszeitung De Tijd hält eine tatsächliche Reform der automatischen Lohnindexierung mit einem Kriegswinter vor der Tür für unrealistisch. Aber Nachdenken darüber, wie die schmerzhaften Folgen der Inflation zwischen Bürgern, Betrieben und Staat verteilt werden könnten, würde dennoch Sinn machen. Nur so kann diese Lawine gestoppt werden. Aber das passiert aktuell nicht, stattdessen schieben sich alle gegenseitig den Schwarzen Peter zu, beklagt De Tijd.
Boris Schmidt