"Die EU will ein Drittel der Gewinne der Energiekonzerne abschöpfen", titelt De Morgen. Der Erlös würde dann an die Mitgliedstaaten fließen. Außerdem plant die EU auch einen Preisdeckel für Elektrizität. Das zumindest steht anscheinend im Redemanuskript von Ursula von der Leyen. Sie wird nämlich heute vor dem EU-Parlament ihre Rede zur Lage der Europäischen Union halten. Die Rede wird mit Spannung erwartet, aber einige Punkte sind offensichtlich schon durchgesickert.
Die Rede zur Lage der Europäischen Union hat inzwischen Tradition, stellt L'Avenir in seinem Leitartikel fest. In diesem Jahr kann man davon ausgehen, dass EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen vor allem den Krieg in der Ukraine in den Vordergrund stellen wird. Und damit verbunden auch die großen Anstrengungen der 27 EU-Staaten: Nicht nur, dass sie die Ukraine unterstützt haben, sie haben Russland auch mit scharfen Sanktionen belegt, wissend, dass sie sich damit einer Energie-Erpressung durch den Kreml aussetzen würden. Und tatsächlich gehen die Energiepreise in Europa durch die Decke. Von der EU-Kommission darf man jetzt auch eine entsprechende Entschlossenheit erwarten, um die Bürger zu entlasten. Eine Aneinanderreihung von Lippenbekenntnissen und guten Absichten wird da nicht reichen. Die Kommission muss jetzt weitsichtig handeln.
Kopflos durch die Gegend
Het Nieuwsblad wundert sich über die Bocksprünge der Energiepreise an den internationalen Märkten. "3.600 Euro weniger innerhalb von zwei Wochen: Der Energiepreis spielt verrückt", so die Schlagzeile auf Seite eins. 3.600 Euro, das ist das, was ein Durchschnittshaushalt pro Jahr weniger bezahlt, wenn man die derzeitigen Preise als Grundlage nimmt, die ja aktuell sinken. "Die Regierung arbeitet an weiteren Maßnahmen", schreibt derweil das GrenzEcho. Denn auch die Föderalregierung will ja in Kürze ihr Hilfspaket vorlegen.
Doch mag es im Moment so aussehen, als wären die Regierungen in diesem Land genauso verloren wie die Russen auf dem Schlachtfeld, meint Het Laatste Nieuws in seinem Leitartikel. Nach wie vor rennt die Politik kopflos durch die Gegend. Die Sozialisten arbeiten sich - zusammen mit der kommunistischen PTB - an ihrem Lieblingsfeind ab: den Arbeitgebern. Und während man weiter auf die Pläne der flämischen Regierung wartet, schießt die N-VA lieber auf die Föderalregierung. Wobei jetzt schon klar ist, dass Flandern nur das Nötigste tun wird, man will nämlich das Haushaltsdefizit nicht weiter vergrößern. Die N-VA will offensichtlich einen Gegenentwurf schaffen, nach dem Motto "Armes Belgien, reiches Flandern". Und der Bürger? Der guckt und wartet. Und guckt. Und wartet.
Man sollte sich nicht zu früh freuen!
De Standaard ärgert sich über die aktuelle Ankündigungspolitik, der sich diesmal die föderale Energieministerin Tinne Van der Straeten schuldig gemacht hat. Nach dem EU-Energieministerrat kündigte die Groen-Politikerin auf allen Kanälen vollmundig einen Gaspreisdeckel an, der insbesondere auf Druck ihrer Regierung zustande gekommen sei. Nun, tatsächlich haben sich die EU-Energieminister für eine Gaspreisbremse ausgesprochen. Nur kann es ein sehr langer Weg sein zwischen einem Beschluss und seinem endgültigen Inkrafttreten. Es ist jedenfalls mehr als wahrscheinlich, dass Ursula von der Leyen in ihrer heutigen Rede zur Lage der Union wohl noch keinen Gaspreisdeckel ankündigen wird. Es ist ein Rätsel, warum eine eigentlich so kluge Ministerin wie Tinne Van der Straeten sich zu einer so dummen Kommunikation hat verleiten lassen. Man soll das Fell des Bären eben nicht verkaufen, bevor man ihn erlegt hat - und das auch im Sinne der Glaubwürdigkeit der Politik.
Einige Blätter blicken natürlich auch heute wieder in die Ukraine: "Ist Russland noch in der Lage, den Kriegsverlauf nochmal zu drehen?", fragt sich etwa De Standaard. "Putin hat nur noch zwei Optionen: Entweder er passt seine Kriegsziele an, oder er entscheidet sich für eine neue Eskalation", so die Schlagzeile von Het Nieuwsblad.
Viele Leitartikler warnen vor übertriebener Euphorie. "Man sollte sich bloß nicht zu früh freuen", meint etwa das GrenzEcho. Klar, man kann nur feststellen, dass der Krieg nicht so läuft, wie sich das der Kreml wohl ursprünglich mal erhofft hatte. Experten ziehen auch schon Vergleiche zum US-Militäreinsatz in Vietnam. Doch die Hoffnung, dass Moskau schon bald gezwungen sein könnte, sich an den Verhandlungstisch zu setzen, ist verfrüht. Wahrscheinlicher ist, dass Putin die Flucht nach vorn ergreift und es zu einer weiteren Eskalation kommt.
Der Krieg ist noch nicht gewonnen
"Für Freudenfeste ist es noch zu früh", warnt auch La Libre Belgique. Allen voran die Ukrainer wissen, dass der Wind sich schnell wieder drehen kann. Und auch wir müssen akzeptieren, dass dieser Krieg noch lange dauern kann. Entsprechend dürfen wir jetzt auch nicht unsere Solidarität und Unterstützung zurückfahren. Vielmehr müssen wir - jetzt erst recht - die Hilfen intensivieren. Denn wir sehen jetzt, dass die Waffenlieferungen richtig waren.
"Die Ukraine hat eine Schlacht gewonnen, nicht - oder noch nicht - den Krieg", ist auch Le Soir überzeugt. Der Kreml hat schon klar gemacht, dass er seine "Spezialoperation" so lange fortsetzen werde, bis die Ziele erreicht seien. Parallel dazu wird er wohl auch seinen hybriden Krieg gegen den Westen weiterführen und insbesondere Europa unvermindert mit Desinformation und Lügen überschütten. Dies in der Hoffnung, dass die Bürger ihren Regierungen wegen der Inflation und den hohen Energiepreisen irgendwann aufs Dach steigen.
Doch auch in Russland hört man zunehmend kritische Stimmen, meint Het Belang van Limburg. Zwar ist es unwahrscheinlich, dass Putin in naher Zukunft aus dem Kreml vertrieben wird. Doch sollten wir hier auf wirklich alle Szenarien vorbereitet sein. Man sollte nämlich nicht glauben, dass nach Putin quasi automatisch liberale Kräfte das Ruder im Kreml übernehmen würden. Eher im Gegenteil. Viel wahrscheinlicher ist, dass da noch größere Hardliner warten.
Eine andere große Frage ist, wie sich die Ukrainer nach ihren neuerlichen Siegen verhalten werden, gibt Het Nieuwsblad zu bedenken. Bei jeder Befreiung eines Dorfes werden russische Gräueltaten ans Licht kommen. Und mit jedem solcher Fälle könnten die Rachegelüste größer werden. Es wäre aber ein schlimmer Fehler, wenn sich die Ukrainer dazu verleiten ließen, die gleichen Verbrechen wie ihre russischen Feinde zu begehen. Das wäre nämlich ein Geschenk für Putin und seine zynische Propagandamaschine. Und zugleich würde man damit schnell die internationale Sympathie verspielen.
Roger Pint