"Der Ex-Sowjet-Führer Michail Gorbatschow ist tot", schreibt lapidar Het Nieuwsblad auf Seite eins. "Mit Michail Gorbatschow ist der letzte Präsident der Sowjetunion gestorben", so die Schlagzeile von Le Soir. Der Friedensnobelpreisträger ist gestern im Alter von 91 Jahren gestorben. Die Meldung kam für viele Zeitungen zu spät.
Im Mittelpunkt steht heute vielmehr der Konzertierungsausschuss. Die Vertreter aller Regierungen des Landes werden heute Nachmittag um 15 Uhr zusammenkommen, um über die Energiekrise zu beraten. "Inflation bei fast zehn Prozent: Der Konzertierungsausschuss steht mit dem Rücken zur Wand", titelt Le Soir. "Teure Energie erhöht den Druck auf die Regierung", schreibt auch das GrenzEcho auf Seite eins. "Die Erwartungen sind hoch – Was wird die Politik machen"?", fragt sich La Libre Belgique. Die Antwort könnte ernüchternd ausfallen: So groß die Erwartungen tatsächlich sind, so klein ist nämlich der Handlungsspielraum der Regierungen des Landes. Inzwischen ist man etwa zu der Einsicht gelangt, dass ein Einfrieren der Gaspreise nur auf Ebene der EU erfolgen kann. Und eine mögliche Steuer auf Übergewinne von Energiekonzernen ist noch nicht spruchreif. Die flämische N-VA-Energieministerin Zuhal Demir sah denn auch nach eigenen Worten keinen Sinn im heutigen Konzertierungsausschuss und sprach von einer Show-Veranstaltung.
Zuhal Demirs krasse Verkennung der Realität
"Wer zieht hier eine Show ab?", giftet in diesem Zusammenhang Het Nieuwsblad in seinem Leitartikel. Zuhal Demir hat sich den denkbar schlechtesten Moment ausgesucht, um ihr politisches Nümmerchen aufzuführen. Sie hat den Konzertierungsausschuss torpediert, bevor er überhaupt begonnen hatte. Ist das Thema vielleicht nicht wichtig genug? Hier geht es doch schließlich um die astronomisch hohen Energierechnungen, die die Bürger und Unternehmen vor fast unlösbare Probleme stellen. Zuhal Demir ist offensichtlich der Ansicht, dass es reicht, wenn jede Regierung im Rahmen ihrer Zuständigkeiten das tut, was sie tun muss. Das ist eine krasse Verkennung der Realität. In diesem Land sind alle Machtebenen mehr oder weniger miteinander verwoben, auch und erst recht im Bereich Energie. Und die einzige Antwort auf diese Krise kann nur sein, dass sich alle Regierungen zusammenraufen und an einem Strang ziehen.
Die Widersprüche der N-VA
Denn wir stecken in einer tiefen, tiefen Krise, meint nachdenklich Gazet van Antwerpen. Die Besorgnis über die hohen Energiepreise ist inzwischen umgeschlagen in nackte Panik. Aber anscheinend ist die Krise noch nicht tief genug. Frau Demir hat jedenfalls nach eigenen Worten keine Lust auf den heutigen Konzertierungsausschuss. Jede Regierung müsse doch nur ihre Hausaufgaben machen, glaubt die flämische Energieministerin. Ach so? Belgien gehört zu den wenigen Ländern, die noch keine wirklichen Maßnahmen getroffen haben, um Energie einzusparen. Es mag so aussehen, dass hierzulande erst das Licht ausgehen muss, damit eine einheitliche Politik geführt werden kann. Aber inzwischen funktioniert das womöglich selbst im Dunkeln nicht mehr.
Het Laatste Nieuws weist auf die Widersprüche in der Haltung der N-VA hin. Was ist der Unterschied zwischen Bart De Wever und Zuhal Demir? Der eine will einen nationalen Sicherheitsrat zusammenrufen, um über die Drogenproblematik in Antwerpen zu beraten. Und die andere empfindet einen Meinungsaustausch zwischen den Regierungen des Landes über die hohen Energierechnungen als Zeitverlust. Das ist einfach nur peinlich. Fällt es einer flämischen Energieministerin so schwer, eine Sitzung über sich ergehen zu lassen, wenn die ganze Gesellschaft ächzt unter turmhohen Energiepreise? Ob ein solches Treffen Zeitverschwendung ist, hängt in erster Linie von den Männern und Frauen ab, die am Tisch sitzen. Und wenn's nur ist, dass man den Bürgern das Gefühl gibt, dass die Politik an Lösungen arbeitet.
Regierungen mit einer nüchternen, einmütigen Vorbildfunktion
Warum schafft es die N-VA sogar in entscheidenden Momenten nicht, sich mal konstruktiv aufzustellen, fragt sich sinngemäß Het Belang van Limburg. In einem Moment, in dem andere aufrichtig nach Lösungen suchen, trällert die Nationalistenpartei ihre flämische Lieblingsmelodie, die da lautet: "Was wir selber machen, das machen wir besser". Das ist falsch und zudem unanständig. Nur zwei Zahlen: Die Föderalregierung hat bereits vier Milliarden Euro in die Hand genommen, um die Energierechnung abzumildern, die flämische Regierung gerade mal 200 Millionen. Es mag sein, dass der Konzertierungsausschuss nicht wirklich viel Handlungsspielraum hat, und dass der Schlüssel wohl eher bei der EU liegt. Dennoch ist der heutige Konzertierungsausschuss keine Zeitverschwendung, geht es doch in erster Linie darum, die Bürger und die Unternehmen dieses Landes davon zu überzeugen, dass die Politik diese Krise ernst nimmt und nach Lösungen sucht.
De Morgen sieht das genauso. Natürlich ist es eine Tatsache, dass kein föderale und keine regionale Regierung kurzfristig etwas ausrichten kann gegen einen komplexen, internationalen Energieschock. Dennoch, oder gerade deswegen müssen die Regierungen jetzt aber eine nüchterne, einmütige Vorbildfunktion einnehmen, wenn sie die Bürger vertrauensvoll zum Ende des Tunnels geleiten wollen. Genau deswegen ist dieser Energie-Konzertierungsausschuss durchaus von wesentlicher Bedeutung, ungeachtet des begrenzten Handlungsspielraums.
Es geht hier auch um den viel beschworenen Bürgersinn
Insgesamt steht die Politik vor einem schwierigen Dilemma, analysiert ihrerseits De Tijd. Die Versuchung ist groß, dass man allein die Bürger vor Augen hat und sich darauf beschränkt, deren Kaufkraft zu schützen. Das ist natürlich legitim, nur sollte man dabei nicht vergessen, dass ein nicht unwesentlicher Teil dieses Schocks von den Unternehmen getragen werden muss. Die sind nicht nur mit der teuren Energie, sondern auch noch mit den stetig steigenden Lohnkosten konfrontiert. Im Moment redet man nur von Übergewinnen. Dabei vergisst man, dass die meisten Firmen aktuell unter immensem Druck stehen. Die Politik wird hier ein Gleichgewicht finden müssen.
"Die günstigste Energie ist am Ende immer noch die, die man nicht verbraucht". Diese Phrase mag inzwischen abgedroschen sein, meint Le Soir. Was aber nicht bedeutet, dass sie plötzlich nicht mehr stimmt. Aber muss uns der Konzertierungsausschuss jetzt wieder, wie schon in der Coronakrise, Maßnahmen aufs Auge drücken? Müssen wir dazu gezwungen werden, Energie einzusparen? Müssen wir wirklich auf die Politik warten, um bewusster zu leben? Langsamer fahren, das Thermostat um ein Grad runtersetzen… Im Gegensatz zu den Corona-Auflagen klingt das doch sehr erträglich. Hier geht's also auch wieder um den viel beschworenen Bürgersinn.
Roger Pint